Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

der organischen Funktionen, und erscheint sonach überhaupt
(was für die Behandlung der abnormen Menstruation von
größter Wichtigkeit ist) als äußeres Zeichen des ge-
meinsamen Zustandes in der Bildungsthätigkeit
des Organismus
. -- das Lebensalter betreffend, wo
dieses Verschwinden der Menstruation und mit ihm das Er-
löschen der Zeugungsfähigkeit Statt hat, so ist dasselbe, dem
verschiedenen Eintritte derselben gemäß, auch in unserm
Clima mannigfachen Abänderungen unterworfen, worüber na-
mentlich von Haller in den Elementen der Physiologie
viele Beyspiele gesammelt worden sind. Als gemeingültigste
Norm darf man bey uns das 45ste Jahr betrachten, obwohl
auch Abweichungen vom 43sten bis 48sten Jahr häufig vor-
kommen, ja Beyspiele, wo Weiber noch in den funfziger
Jahren concipirt haben, nicht allzuselten sind *). Uebrigens
verschwindet gewöhnlich die Menstruation nicht plötzlich, son-
dern wird allmählig schwächer, und es empfinder der Körper
bey dieser Revolution in der Regel eine Reihe ungewöhnlicher
Zustände, welche den allgemeinen Vorboten der Menstruation
(§. 119.) oft nicht unähnlich sind, und sich leicht erklären,
wenn man bedenkt, daß bey beginnender Decrepidität an-
fänglich doch immer die thätigere Reproduktion fort wirke,
obwohl nicht mehr mit hinreichender Kraft, um das Erschei-
nen ihres äußern Zeichens (d. i. der Blutergießung) zu be-
wirken, daß daher eine gewisse Ueberfüllung der Gefäße nicht
mangeln könne, und ebendadurch Congestionen nach Kopf und
Brust, Stockungen im Pfortadersystem, Hämorrhoidalcongestio-
nen oder Ergießungen, gichtische Beschwerden u. s. w. häufig ent-
stehen müssen. Ja als einer besonders merkwürdigen Erscheinung
ist hier noch der zuweilen sogar im hohen Alter wieder erwachen-
den Congestion nach den Genitalien, und der wiederkehrenden
Menstruation zu gedenken, Fälle, welche dem Zahnen im
hohen Alter vergleichbar sind, die Aehnlichkeit, welche in so
mancher Hinsicht zwischen Decrepidität und Kindheit Statt
findet (§. 75.) erhöhen, allein gewöhnlich für den Organis-

*) Oeffentliche Blätter erzählten noch neuerlich den Fall, wo eine
Frau in Frankreich ihr letztes Kind im 69sten Jahre gebahr.
I. Theil. 7

der organiſchen Funktionen, und erſcheint ſonach uͤberhaupt
(was fuͤr die Behandlung der abnormen Menſtruation von
groͤßter Wichtigkeit iſt) als aͤußeres Zeichen des ge-
meinſamen Zuſtandes in der Bildungsthaͤtigkeit
des Organismus
. — das Lebensalter betreffend, wo
dieſes Verſchwinden der Menſtruation und mit ihm das Er-
loͤſchen der Zeugungsfaͤhigkeit Statt hat, ſo iſt daſſelbe, dem
verſchiedenen Eintritte derſelben gemaͤß, auch in unſerm
Clima mannigfachen Abaͤnderungen unterworfen, woruͤber na-
mentlich von Haller in den Elementen der Phyſiologie
viele Beyſpiele geſammelt worden ſind. Als gemeinguͤltigſte
Norm darf man bey uns das 45ſte Jahr betrachten, obwohl
auch Abweichungen vom 43ſten bis 48ſten Jahr haͤufig vor-
kommen, ja Beyſpiele, wo Weiber noch in den funfziger
Jahren concipirt haben, nicht allzuſelten ſind *). Uebrigens
verſchwindet gewoͤhnlich die Menſtruation nicht ploͤtzlich, ſon-
dern wird allmaͤhlig ſchwaͤcher, und es empfinder der Koͤrper
bey dieſer Revolution in der Regel eine Reihe ungewoͤhnlicher
Zuſtaͤnde, welche den allgemeinen Vorboten der Menſtruation
(§. 119.) oft nicht unaͤhnlich ſind, und ſich leicht erklaͤren,
wenn man bedenkt, daß bey beginnender Decrepiditaͤt an-
faͤnglich doch immer die thaͤtigere Reproduktion fort wirke,
obwohl nicht mehr mit hinreichender Kraft, um das Erſchei-
nen ihres aͤußern Zeichens (d. i. der Blutergießung) zu be-
wirken, daß daher eine gewiſſe Ueberfuͤllung der Gefaͤße nicht
mangeln koͤnne, und ebendadurch Congeſtionen nach Kopf und
Bruſt, Stockungen im Pfortaderſyſtem, Haͤmorrhoidalcongeſtio-
nen oder Ergießungen, gichtiſche Beſchwerden u. ſ. w. haͤufig ent-
ſtehen muͤſſen. Ja als einer beſonders merkwuͤrdigen Erſcheinung
iſt hier noch der zuweilen ſogar im hohen Alter wieder erwachen-
den Congeſtion nach den Genitalien, und der wiederkehrenden
Menſtruation zu gedenken, Faͤlle, welche dem Zahnen im
hohen Alter vergleichbar ſind, die Aehnlichkeit, welche in ſo
mancher Hinſicht zwiſchen Decrepiditaͤt und Kindheit Statt
findet (§. 75.) erhoͤhen, allein gewoͤhnlich fuͤr den Organis-

*) Oeffentliche Blaͤtter erzaͤhlten noch neuerlich den Fall, wo eine
Frau in Frankreich ihr letztes Kind im 69ſten Jahre gebahr.
I. Theil. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <p><pb facs="#f0117" n="97"/>
der organi&#x017F;chen Funktionen, und er&#x017F;cheint &#x017F;onach u&#x0364;berhaupt<lb/>
(was fu&#x0364;r die Behandlung der abnormen Men&#x017F;truation von<lb/>
gro&#x0364;ßter Wichtigkeit i&#x017F;t) <hi rendition="#g">als a&#x0364;ußeres Zeichen des ge-<lb/>
mein&#x017F;amen Zu&#x017F;tandes in der Bildungstha&#x0364;tigkeit<lb/>
des Organismus</hi>. &#x2014; das Lebensalter betreffend, wo<lb/>
die&#x017F;es Ver&#x017F;chwinden der Men&#x017F;truation und mit ihm das Er-<lb/>
lo&#x0364;&#x017F;chen der Zeugungsfa&#x0364;higkeit Statt hat, &#x017F;o i&#x017F;t da&#x017F;&#x017F;elbe, dem<lb/>
ver&#x017F;chiedenen Eintritte der&#x017F;elben gema&#x0364;ß, auch in un&#x017F;erm<lb/>
Clima mannigfachen Aba&#x0364;nderungen unterworfen, woru&#x0364;ber na-<lb/>
mentlich von <hi rendition="#g">Haller</hi> in den Elementen der Phy&#x017F;iologie<lb/>
viele Bey&#x017F;piele ge&#x017F;ammelt worden &#x017F;ind. Als gemeingu&#x0364;ltig&#x017F;te<lb/>
Norm darf man bey uns das 45&#x017F;te Jahr betrachten, obwohl<lb/>
auch Abweichungen vom 43&#x017F;ten bis 48&#x017F;ten Jahr ha&#x0364;ufig vor-<lb/>
kommen, ja Bey&#x017F;piele, wo Weiber noch in den funfziger<lb/>
Jahren concipirt haben, nicht allzu&#x017F;elten &#x017F;ind <note place="foot" n="*)">Oeffentliche Bla&#x0364;tter erza&#x0364;hlten noch neuerlich den Fall, wo eine<lb/>
Frau in Frankreich ihr letztes Kind im 69&#x017F;ten Jahre gebahr.</note>. Uebrigens<lb/>
ver&#x017F;chwindet gewo&#x0364;hnlich die Men&#x017F;truation nicht plo&#x0364;tzlich, &#x017F;on-<lb/>
dern wird allma&#x0364;hlig &#x017F;chwa&#x0364;cher, und es empfinder der Ko&#x0364;rper<lb/>
bey die&#x017F;er Revolution in der Regel eine Reihe ungewo&#x0364;hnlicher<lb/>
Zu&#x017F;ta&#x0364;nde, welche den allgemeinen Vorboten der Men&#x017F;truation<lb/>
(§. 119.) oft nicht una&#x0364;hnlich &#x017F;ind, und &#x017F;ich leicht erkla&#x0364;ren,<lb/>
wenn man bedenkt, daß bey beginnender Decrepidita&#x0364;t an-<lb/>
fa&#x0364;nglich doch immer die tha&#x0364;tigere Reproduktion fort wirke,<lb/>
obwohl nicht mehr mit hinreichender Kraft, um das Er&#x017F;chei-<lb/>
nen ihres a&#x0364;ußern Zeichens (d. i. der Blutergießung) zu be-<lb/>
wirken, daß daher eine gewi&#x017F;&#x017F;e Ueberfu&#x0364;llung der Gefa&#x0364;ße nicht<lb/>
mangeln ko&#x0364;nne, und ebendadurch Conge&#x017F;tionen nach Kopf und<lb/>
Bru&#x017F;t, Stockungen im Pfortader&#x017F;y&#x017F;tem, Ha&#x0364;morrhoidalconge&#x017F;tio-<lb/>
nen oder Ergießungen, gichti&#x017F;che Be&#x017F;chwerden u. &#x017F;. w. ha&#x0364;ufig ent-<lb/>
&#x017F;tehen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en. Ja als einer be&#x017F;onders merkwu&#x0364;rdigen Er&#x017F;cheinung<lb/>
i&#x017F;t hier noch der zuweilen &#x017F;ogar im hohen Alter wieder erwachen-<lb/>
den Conge&#x017F;tion nach den Genitalien, und der wiederkehrenden<lb/>
Men&#x017F;truation zu gedenken, Fa&#x0364;lle, welche dem Zahnen im<lb/>
hohen Alter vergleichbar &#x017F;ind, die Aehnlichkeit, welche in &#x017F;o<lb/>
mancher Hin&#x017F;icht zwi&#x017F;chen Decrepidita&#x0364;t und Kindheit Statt<lb/>
findet (§. 75.) erho&#x0364;hen, allein gewo&#x0364;hnlich fu&#x0364;r den Organis-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#aq">I.</hi> Theil. 7</fw><lb/></p>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0117] der organiſchen Funktionen, und erſcheint ſonach uͤberhaupt (was fuͤr die Behandlung der abnormen Menſtruation von groͤßter Wichtigkeit iſt) als aͤußeres Zeichen des ge- meinſamen Zuſtandes in der Bildungsthaͤtigkeit des Organismus. — das Lebensalter betreffend, wo dieſes Verſchwinden der Menſtruation und mit ihm das Er- loͤſchen der Zeugungsfaͤhigkeit Statt hat, ſo iſt daſſelbe, dem verſchiedenen Eintritte derſelben gemaͤß, auch in unſerm Clima mannigfachen Abaͤnderungen unterworfen, woruͤber na- mentlich von Haller in den Elementen der Phyſiologie viele Beyſpiele geſammelt worden ſind. Als gemeinguͤltigſte Norm darf man bey uns das 45ſte Jahr betrachten, obwohl auch Abweichungen vom 43ſten bis 48ſten Jahr haͤufig vor- kommen, ja Beyſpiele, wo Weiber noch in den funfziger Jahren concipirt haben, nicht allzuſelten ſind *). Uebrigens verſchwindet gewoͤhnlich die Menſtruation nicht ploͤtzlich, ſon- dern wird allmaͤhlig ſchwaͤcher, und es empfinder der Koͤrper bey dieſer Revolution in der Regel eine Reihe ungewoͤhnlicher Zuſtaͤnde, welche den allgemeinen Vorboten der Menſtruation (§. 119.) oft nicht unaͤhnlich ſind, und ſich leicht erklaͤren, wenn man bedenkt, daß bey beginnender Decrepiditaͤt an- faͤnglich doch immer die thaͤtigere Reproduktion fort wirke, obwohl nicht mehr mit hinreichender Kraft, um das Erſchei- nen ihres aͤußern Zeichens (d. i. der Blutergießung) zu be- wirken, daß daher eine gewiſſe Ueberfuͤllung der Gefaͤße nicht mangeln koͤnne, und ebendadurch Congeſtionen nach Kopf und Bruſt, Stockungen im Pfortaderſyſtem, Haͤmorrhoidalcongeſtio- nen oder Ergießungen, gichtiſche Beſchwerden u. ſ. w. haͤufig ent- ſtehen muͤſſen. Ja als einer beſonders merkwuͤrdigen Erſcheinung iſt hier noch der zuweilen ſogar im hohen Alter wieder erwachen- den Congeſtion nach den Genitalien, und der wiederkehrenden Menſtruation zu gedenken, Faͤlle, welche dem Zahnen im hohen Alter vergleichbar ſind, die Aehnlichkeit, welche in ſo mancher Hinſicht zwiſchen Decrepiditaͤt und Kindheit Statt findet (§. 75.) erhoͤhen, allein gewoͤhnlich fuͤr den Organis- *) Oeffentliche Blaͤtter erzaͤhlten noch neuerlich den Fall, wo eine Frau in Frankreich ihr letztes Kind im 69ſten Jahre gebahr. I. Theil. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/117
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/117>, abgerufen am 21.11.2024.