Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

Bild:
<< vorherige Seite

Wachsthums Gelegenheit giebt, daß sich das Mißverhältniß
zwischen bildender und zerstörender organischer Thätigkeit aus-
gleicht, daß von diesem Zeitpunkte an die Assimilation und
Blutbereitung wieder in das angemessene Verhältniß zur all-
gemeinen Organisation tritt, und endlich das Uebergewicht er-
hält, welches das Erscheinen der Menstruation begründen
kann. Im Gegentheile, wo die Krankheit reines Produkt
ungünstiger äußerer Verhältnisse war, sehen wir sie sich ver-
lieren, sobald die Kranke in eine bessere Lage versetzt wird,
wo die Blutbereitung durch freye Einwirkung von Licht und
gesunder Luft, durch vermehrte Muskularthätigkeit und Genuß
kräftigerer Nahrungsmittel befördert wird. Ja endlich selbst
bey unheilbaren Verbildungen der Geschlechtstheile und gänz-
lichem Mangel der Menstrualfunktion wird zuweilen die Ge-
sundheit wieder hergestellt, indem entweder der Körper sich
an vicariirende Ausleerungen, z. B. regelmäßigen Hämor-
rhoidalfluß gewöhnt, oder der Ueberfluß plastischer Stoffe
auf die Ausbildung anderer Organe verwandt wird, weßhalb
wir denn öfters bey solchen unvollkommnen weiblichen Ge-
schöpfen die Muskelthätigkeit in hohem Grade entwickelt, und
überhaupt die Bewegungsorgane in einem Grade ausgebildet
finden, welcher mehr einen männlichen, als einen weiblichen
Körper zu bezeichnen pflegt. -- Dieses alles ist nun bey
Anordnung der ärztlichen Behandlung zu erwägen.

§. 222.

Hauptanzeige bleibt es aber im Allgemeinen, theils
die Sanguifikation und Bildungsthätigkeit auf ihren normalen
Standpunkt zu führen, theils die Richtung der Bildungsthä-
tigkeit auf das Geschlechtssystem und die Menstrualfunktion
zu berücksichtigen, und etwaige hier sich entgegenstellende Hin-
dernisse zu beseitigen. -- In ersterer Hinsicht nun wird es
den Arzt zunächst beschäftigen müssen, die veranlassenden Ur-
sachen der Krankheit auszuforschen und zu entfernen, wobey
denn, da die meisten dieser Zufälle von unzweckmäßiger Le-
bensweise ausgehen, auch eine sorgfältige Anordnung der-
selben einen der wichtigsten Punkte des Heilplans ausmachen
wird. Reine, freie, trockne Luft, mäßiges Warmhalten,

Wachsthums Gelegenheit giebt, daß ſich das Mißverhaͤltniß
zwiſchen bildender und zerſtoͤrender organiſcher Thaͤtigkeit aus-
gleicht, daß von dieſem Zeitpunkte an die Aſſimilation und
Blutbereitung wieder in das angemeſſene Verhaͤltniß zur all-
gemeinen Organiſation tritt, und endlich das Uebergewicht er-
haͤlt, welches das Erſcheinen der Menſtruation begruͤnden
kann. Im Gegentheile, wo die Krankheit reines Produkt
unguͤnſtiger aͤußerer Verhaͤltniſſe war, ſehen wir ſie ſich ver-
lieren, ſobald die Kranke in eine beſſere Lage verſetzt wird,
wo die Blutbereitung durch freye Einwirkung von Licht und
geſunder Luft, durch vermehrte Muskularthaͤtigkeit und Genuß
kraͤftigerer Nahrungsmittel befoͤrdert wird. Ja endlich ſelbſt
bey unheilbaren Verbildungen der Geſchlechtstheile und gaͤnz-
lichem Mangel der Menſtrualfunktion wird zuweilen die Ge-
ſundheit wieder hergeſtellt, indem entweder der Koͤrper ſich
an vicariirende Ausleerungen, z. B. regelmaͤßigen Haͤmor-
rhoidalfluß gewoͤhnt, oder der Ueberfluß plaſtiſcher Stoffe
auf die Ausbildung anderer Organe verwandt wird, weßhalb
wir denn oͤfters bey ſolchen unvollkommnen weiblichen Ge-
ſchoͤpfen die Muskelthaͤtigkeit in hohem Grade entwickelt, und
uͤberhaupt die Bewegungsorgane in einem Grade ausgebildet
finden, welcher mehr einen maͤnnlichen, als einen weiblichen
Koͤrper zu bezeichnen pflegt. — Dieſes alles iſt nun bey
Anordnung der aͤrztlichen Behandlung zu erwaͤgen.

§. 222.

Hauptanzeige bleibt es aber im Allgemeinen, theils
die Sanguifikation und Bildungsthaͤtigkeit auf ihren normalen
Standpunkt zu fuͤhren, theils die Richtung der Bildungsthaͤ-
tigkeit auf das Geſchlechtsſyſtem und die Menſtrualfunktion
zu beruͤckſichtigen, und etwaige hier ſich entgegenſtellende Hin-
derniſſe zu beſeitigen. — In erſterer Hinſicht nun wird es
den Arzt zunaͤchſt beſchaͤftigen muͤſſen, die veranlaſſenden Ur-
ſachen der Krankheit auszuforſchen und zu entfernen, wobey
denn, da die meiſten dieſer Zufaͤlle von unzweckmaͤßiger Le-
bensweiſe ausgehen, auch eine ſorgfaͤltige Anordnung der-
ſelben einen der wichtigſten Punkte des Heilplans ausmachen
wird. Reine, freie, trockne Luft, maͤßiges Warmhalten,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <div n="5">
                <div n="6">
                  <div n="7">
                    <div n="8">
                      <div n="9">
                        <div n="10">
                          <p><pb facs="#f0186" n="166"/>
Wachsthums Gelegenheit giebt, daß &#x017F;ich das Mißverha&#x0364;ltniß<lb/>
zwi&#x017F;chen bildender und zer&#x017F;to&#x0364;render organi&#x017F;cher Tha&#x0364;tigkeit aus-<lb/>
gleicht, daß von die&#x017F;em Zeitpunkte an die A&#x017F;&#x017F;imilation und<lb/>
Blutbereitung wieder in das angeme&#x017F;&#x017F;ene Verha&#x0364;ltniß zur all-<lb/>
gemeinen Organi&#x017F;ation tritt, und endlich das Uebergewicht er-<lb/>
ha&#x0364;lt, welches das Er&#x017F;cheinen der Men&#x017F;truation begru&#x0364;nden<lb/>
kann. Im Gegentheile, wo die Krankheit reines Produkt<lb/>
ungu&#x0364;n&#x017F;tiger a&#x0364;ußerer Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e war, &#x017F;ehen wir &#x017F;ie &#x017F;ich ver-<lb/>
lieren, &#x017F;obald die Kranke in eine be&#x017F;&#x017F;ere Lage ver&#x017F;etzt wird,<lb/>
wo die Blutbereitung durch freye Einwirkung von Licht und<lb/>
ge&#x017F;under Luft, durch vermehrte Muskulartha&#x0364;tigkeit und Genuß<lb/>
kra&#x0364;ftigerer Nahrungsmittel befo&#x0364;rdert wird. Ja endlich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
bey unheilbaren Verbildungen der Ge&#x017F;chlechtstheile und ga&#x0364;nz-<lb/>
lichem Mangel der Men&#x017F;trualfunktion wird zuweilen die Ge-<lb/>
&#x017F;undheit wieder herge&#x017F;tellt, indem entweder der Ko&#x0364;rper &#x017F;ich<lb/>
an vicariirende Ausleerungen, z. B. regelma&#x0364;ßigen Ha&#x0364;mor-<lb/>
rhoidalfluß gewo&#x0364;hnt, oder der Ueberfluß pla&#x017F;ti&#x017F;cher Stoffe<lb/>
auf die Ausbildung anderer Organe verwandt wird, weßhalb<lb/>
wir denn o&#x0364;fters bey &#x017F;olchen unvollkommnen weiblichen Ge-<lb/>
&#x017F;cho&#x0364;pfen die Muskeltha&#x0364;tigkeit in hohem Grade entwickelt, und<lb/>
u&#x0364;berhaupt die Bewegungsorgane in einem Grade ausgebildet<lb/>
finden, welcher mehr einen ma&#x0364;nnlichen, als einen <choice><sic>weiblicheu</sic><corr>weiblichen</corr></choice><lb/>
Ko&#x0364;rper zu bezeichnen pflegt. &#x2014; Die&#x017F;es alles i&#x017F;t nun bey<lb/>
Anordnung der a&#x0364;rztlichen Behandlung zu erwa&#x0364;gen.</p>
                        </div><lb/>
                        <div n="10">
                          <head>§. 222.</head><lb/>
                          <p><hi rendition="#g">Hauptanzeige</hi> bleibt es aber im Allgemeinen, theils<lb/>
die Sanguifikation und Bildungstha&#x0364;tigkeit auf ihren normalen<lb/>
Standpunkt zu fu&#x0364;hren, theils die Richtung der Bildungstha&#x0364;-<lb/>
tigkeit auf das Ge&#x017F;chlechts&#x017F;y&#x017F;tem und die Men&#x017F;trualfunktion<lb/>
zu beru&#x0364;ck&#x017F;ichtigen, und etwaige hier &#x017F;ich entgegen&#x017F;tellende Hin-<lb/>
derni&#x017F;&#x017F;e zu be&#x017F;eitigen. &#x2014; In er&#x017F;terer Hin&#x017F;icht nun wird es<lb/>
den Arzt zuna&#x0364;ch&#x017F;t be&#x017F;cha&#x0364;ftigen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, die veranla&#x017F;&#x017F;enden Ur-<lb/>
&#x017F;achen der Krankheit auszufor&#x017F;chen und zu entfernen, wobey<lb/>
denn, da die mei&#x017F;ten die&#x017F;er Zufa&#x0364;lle von unzweckma&#x0364;ßiger Le-<lb/>
benswei&#x017F;e ausgehen, auch eine &#x017F;orgfa&#x0364;ltige Anordnung der-<lb/>
&#x017F;elben einen der wichtig&#x017F;ten Punkte des Heilplans ausmachen<lb/>
wird. Reine, freie, trockne Luft, ma&#x0364;ßiges Warmhalten,<lb/></p>
                        </div>
                      </div>
                    </div>
                  </div>
                </div>
              </div>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[166/0186] Wachsthums Gelegenheit giebt, daß ſich das Mißverhaͤltniß zwiſchen bildender und zerſtoͤrender organiſcher Thaͤtigkeit aus- gleicht, daß von dieſem Zeitpunkte an die Aſſimilation und Blutbereitung wieder in das angemeſſene Verhaͤltniß zur all- gemeinen Organiſation tritt, und endlich das Uebergewicht er- haͤlt, welches das Erſcheinen der Menſtruation begruͤnden kann. Im Gegentheile, wo die Krankheit reines Produkt unguͤnſtiger aͤußerer Verhaͤltniſſe war, ſehen wir ſie ſich ver- lieren, ſobald die Kranke in eine beſſere Lage verſetzt wird, wo die Blutbereitung durch freye Einwirkung von Licht und geſunder Luft, durch vermehrte Muskularthaͤtigkeit und Genuß kraͤftigerer Nahrungsmittel befoͤrdert wird. Ja endlich ſelbſt bey unheilbaren Verbildungen der Geſchlechtstheile und gaͤnz- lichem Mangel der Menſtrualfunktion wird zuweilen die Ge- ſundheit wieder hergeſtellt, indem entweder der Koͤrper ſich an vicariirende Ausleerungen, z. B. regelmaͤßigen Haͤmor- rhoidalfluß gewoͤhnt, oder der Ueberfluß plaſtiſcher Stoffe auf die Ausbildung anderer Organe verwandt wird, weßhalb wir denn oͤfters bey ſolchen unvollkommnen weiblichen Ge- ſchoͤpfen die Muskelthaͤtigkeit in hohem Grade entwickelt, und uͤberhaupt die Bewegungsorgane in einem Grade ausgebildet finden, welcher mehr einen maͤnnlichen, als einen weiblichen Koͤrper zu bezeichnen pflegt. — Dieſes alles iſt nun bey Anordnung der aͤrztlichen Behandlung zu erwaͤgen. §. 222. Hauptanzeige bleibt es aber im Allgemeinen, theils die Sanguifikation und Bildungsthaͤtigkeit auf ihren normalen Standpunkt zu fuͤhren, theils die Richtung der Bildungsthaͤ- tigkeit auf das Geſchlechtsſyſtem und die Menſtrualfunktion zu beruͤckſichtigen, und etwaige hier ſich entgegenſtellende Hin- derniſſe zu beſeitigen. — In erſterer Hinſicht nun wird es den Arzt zunaͤchſt beſchaͤftigen muͤſſen, die veranlaſſenden Ur- ſachen der Krankheit auszuforſchen und zu entfernen, wobey denn, da die meiſten dieſer Zufaͤlle von unzweckmaͤßiger Le- bensweiſe ausgehen, auch eine ſorgfaͤltige Anordnung der- ſelben einen der wichtigſten Punkte des Heilplans ausmachen wird. Reine, freie, trockne Luft, maͤßiges Warmhalten,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/186
Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/186>, abgerufen am 21.11.2024.