Wald selbst, das Grün der Blätter, das Geräusch des Win- des in den Zweigen auszubilden, ja er würde bey lebhafter Phantasie endlich dieses selbst zu sehen, zu hören glauben, und es ist deutlich, daß dieses Phantasiebild der Wirklichkeit um so mehr entsprechen würde, je lebendiger der Mensch von dem Gefühle dieser Natur durchdrungen war.
§. 247.
Nun ist aber schon mehrmals bemerkt worden, daß der niedere Organismus nothwendig zugleich inniger in der Natur lebt, mehr von ihr durchdrungen wird, als der hö- here, und hierauf müssen wir Rücksicht nehmen bey jenen Beobachtungen der scheinbaren Versetzungen der Sinne. -- Auch der Mensch nämlich enthält zugleich eine niedere und eine höhere Natur in sich, und es ist klar, daß die niedere Sphäre insbesondre geeignet seyn müsse, von äußern Ver- hältnissen dergestalt durchdrungen zu werden, daß an diesen innern Modifikationen unmittelbar, in sofern sie durch die vom Aeußern abgezogene und in ihr Inneres schauenden Seele wahrgenommen werden, die Erkenntniß jener äußern Verhältnisse möglich wird, wobey natürlich wieder durch die Phantasie eine solche Vorstellung in die gewohnten Sin- nesformen eingebildet werden, und der Mensch glauben muß, diese Gegenstände zu sehen, zu hören u. s. w., obwohl er sie eigentlich vielmehr in einem dem Aeußern wahrhaft entsprechenden Traume wahrnimmt. -- Wie weit übri- gens die Sphäre dieser Wahrnehmung gehen könne, läßt sich a priori durchaus nicht bestimmen. Der Geist ist über Zeit und Raum, Zeit und Raum sind vielmehr in ihm, und wenn wir bestimmte Beyspiele haben, daß selbst Thiere die Gegenwart von Personen, zu welchen sie große Anhänglich- keit hatten, in einer Entfernung, wo die gewöhnlichen Sinne nicht hinreichten, empfanden, wie dürften wir hier dem Men- schen ein non plus ultra willkührlich vorschreiben wollen? -- Es gilt hierbey viel mehr treu und unbefangen zu beobachten, welche merkwürdige Erscheinungen die Natur hier uns dar- bietet, als ihr im Voraus Gränzen ziehen zu wollen.
Wald ſelbſt, das Gruͤn der Blaͤtter, das Geraͤuſch des Win- des in den Zweigen auszubilden, ja er wuͤrde bey lebhafter Phantaſie endlich dieſes ſelbſt zu ſehen, zu hoͤren glauben, und es iſt deutlich, daß dieſes Phantaſiebild der Wirklichkeit um ſo mehr entſprechen wuͤrde, je lebendiger der Menſch von dem Gefuͤhle dieſer Natur durchdrungen war.
§. 247.
Nun iſt aber ſchon mehrmals bemerkt worden, daß der niedere Organismus nothwendig zugleich inniger in der Natur lebt, mehr von ihr durchdrungen wird, als der hoͤ- here, und hierauf muͤſſen wir Ruͤckſicht nehmen bey jenen Beobachtungen der ſcheinbaren Verſetzungen der Sinne. — Auch der Menſch naͤmlich enthaͤlt zugleich eine niedere und eine hoͤhere Natur in ſich, und es iſt klar, daß die niedere Sphaͤre insbeſondre geeignet ſeyn muͤſſe, von aͤußern Ver- haͤltniſſen dergeſtalt durchdrungen zu werden, daß an dieſen innern Modifikationen unmittelbar, in ſofern ſie durch die vom Aeußern abgezogene und in ihr Inneres ſchauenden Seele wahrgenommen werden, die Erkenntniß jener aͤußern Verhaͤltniſſe moͤglich wird, wobey natuͤrlich wieder durch die Phantaſie eine ſolche Vorſtellung in die gewohnten Sin- nesformen eingebildet werden, und der Menſch glauben muß, dieſe Gegenſtaͤnde zu ſehen, zu hoͤren u. ſ. w., obwohl er ſie eigentlich vielmehr in einem dem Aeußern wahrhaft entſprechenden Traume wahrnimmt. — Wie weit uͤbri- gens die Sphaͤre dieſer Wahrnehmung gehen koͤnne, laͤßt ſich a priori durchaus nicht beſtimmen. Der Geiſt iſt uͤber Zeit und Raum, Zeit und Raum ſind vielmehr in ihm, und wenn wir beſtimmte Beyſpiele haben, daß ſelbſt Thiere die Gegenwart von Perſonen, zu welchen ſie große Anhaͤnglich- keit hatten, in einer Entfernung, wo die gewoͤhnlichen Sinne nicht hinreichten, empfanden, wie duͤrften wir hier dem Men- ſchen ein non plus ultra willkuͤhrlich vorſchreiben wollen? — Es gilt hierbey viel mehr treu und unbefangen zu beobachten, welche merkwuͤrdige Erſcheinungen die Natur hier uns dar- bietet, als ihr im Voraus Graͤnzen ziehen zu wollen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><divn="5"><divn="6"><divn="7"><divn="8"><divn="9"><p><pbfacs="#f0208"n="188"/>
Wald ſelbſt, das Gruͤn der Blaͤtter, das Geraͤuſch des Win-<lb/>
des in den Zweigen auszubilden, ja er wuͤrde bey lebhafter<lb/>
Phantaſie endlich dieſes ſelbſt zu ſehen, zu hoͤren glauben,<lb/>
und es iſt deutlich, daß dieſes Phantaſiebild der Wirklichkeit<lb/><hirendition="#g">um ſo mehr</hi> entſprechen wuͤrde, je lebendiger der Menſch<lb/>
von dem Gefuͤhle <hirendition="#g">dieſer</hi> Natur durchdrungen war.</p></div><lb/><divn="9"><head>§. 247.</head><lb/><p>Nun iſt aber ſchon mehrmals bemerkt worden, daß der<lb/><hirendition="#g">niedere</hi> Organismus nothwendig zugleich inniger in der<lb/>
Natur lebt, mehr von ihr durchdrungen wird, als der <hirendition="#g">hoͤ-<lb/>
here</hi>, und hierauf muͤſſen wir Ruͤckſicht nehmen bey jenen<lb/>
Beobachtungen der ſcheinbaren Verſetzungen der Sinne. —<lb/>
Auch der Menſch naͤmlich enthaͤlt zugleich eine niedere und<lb/>
eine hoͤhere Natur in ſich, und es iſt klar, daß die niedere<lb/>
Sphaͤre insbeſondre geeignet ſeyn muͤſſe, von aͤußern Ver-<lb/>
haͤltniſſen dergeſtalt durchdrungen zu werden, daß an dieſen<lb/>
innern Modifikationen unmittelbar, in ſofern ſie durch die<lb/>
vom Aeußern abgezogene und in ihr Inneres ſchauenden<lb/>
Seele wahrgenommen werden, die Erkenntniß jener aͤußern<lb/>
Verhaͤltniſſe moͤglich wird, wobey natuͤrlich wieder durch die<lb/>
Phantaſie eine ſolche Vorſtellung in die <hirendition="#g">gewohnten</hi> Sin-<lb/>
nesformen eingebildet werden, und der Menſch glauben muß,<lb/>
dieſe Gegenſtaͤnde zu ſehen, zu hoͤren u. ſ. w., obwohl er ſie<lb/>
eigentlich vielmehr in <hirendition="#g">einem dem Aeußern wahrhaft<lb/>
entſprechenden Traume</hi> wahrnimmt. — Wie weit uͤbri-<lb/>
gens die Sphaͤre dieſer Wahrnehmung gehen koͤnne, laͤßt ſich<lb/><hirendition="#aq">a priori</hi> durchaus nicht beſtimmen. Der Geiſt iſt uͤber Zeit<lb/>
und Raum, Zeit und Raum ſind vielmehr <hirendition="#g">in ihm</hi>, und<lb/>
wenn wir beſtimmte Beyſpiele haben, daß ſelbſt Thiere die<lb/>
Gegenwart von Perſonen, zu welchen ſie große Anhaͤnglich-<lb/>
keit hatten, in einer Entfernung, wo die gewoͤhnlichen Sinne<lb/>
nicht hinreichten, empfanden, wie duͤrften wir hier dem Men-<lb/>ſchen ein <hirendition="#aq">non plus ultra</hi> willkuͤhrlich vorſchreiben wollen? —<lb/>
Es gilt hierbey viel mehr treu und unbefangen zu beobachten,<lb/>
welche merkwuͤrdige Erſcheinungen die Natur hier uns dar-<lb/>
bietet, als ihr im Voraus Graͤnzen ziehen zu wollen.</p></div><lb/></div></div></div></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[188/0208]
Wald ſelbſt, das Gruͤn der Blaͤtter, das Geraͤuſch des Win-
des in den Zweigen auszubilden, ja er wuͤrde bey lebhafter
Phantaſie endlich dieſes ſelbſt zu ſehen, zu hoͤren glauben,
und es iſt deutlich, daß dieſes Phantaſiebild der Wirklichkeit
um ſo mehr entſprechen wuͤrde, je lebendiger der Menſch
von dem Gefuͤhle dieſer Natur durchdrungen war.
§. 247.
Nun iſt aber ſchon mehrmals bemerkt worden, daß der
niedere Organismus nothwendig zugleich inniger in der
Natur lebt, mehr von ihr durchdrungen wird, als der hoͤ-
here, und hierauf muͤſſen wir Ruͤckſicht nehmen bey jenen
Beobachtungen der ſcheinbaren Verſetzungen der Sinne. —
Auch der Menſch naͤmlich enthaͤlt zugleich eine niedere und
eine hoͤhere Natur in ſich, und es iſt klar, daß die niedere
Sphaͤre insbeſondre geeignet ſeyn muͤſſe, von aͤußern Ver-
haͤltniſſen dergeſtalt durchdrungen zu werden, daß an dieſen
innern Modifikationen unmittelbar, in ſofern ſie durch die
vom Aeußern abgezogene und in ihr Inneres ſchauenden
Seele wahrgenommen werden, die Erkenntniß jener aͤußern
Verhaͤltniſſe moͤglich wird, wobey natuͤrlich wieder durch die
Phantaſie eine ſolche Vorſtellung in die gewohnten Sin-
nesformen eingebildet werden, und der Menſch glauben muß,
dieſe Gegenſtaͤnde zu ſehen, zu hoͤren u. ſ. w., obwohl er ſie
eigentlich vielmehr in einem dem Aeußern wahrhaft
entſprechenden Traume wahrnimmt. — Wie weit uͤbri-
gens die Sphaͤre dieſer Wahrnehmung gehen koͤnne, laͤßt ſich
a priori durchaus nicht beſtimmen. Der Geiſt iſt uͤber Zeit
und Raum, Zeit und Raum ſind vielmehr in ihm, und
wenn wir beſtimmte Beyſpiele haben, daß ſelbſt Thiere die
Gegenwart von Perſonen, zu welchen ſie große Anhaͤnglich-
keit hatten, in einer Entfernung, wo die gewoͤhnlichen Sinne
nicht hinreichten, empfanden, wie duͤrften wir hier dem Men-
ſchen ein non plus ultra willkuͤhrlich vorſchreiben wollen? —
Es gilt hierbey viel mehr treu und unbefangen zu beobachten,
welche merkwuͤrdige Erſcheinungen die Natur hier uns dar-
bietet, als ihr im Voraus Graͤnzen ziehen zu wollen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/208>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.