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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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Anmerkung. Es zeigt sich in diesem Schema, daß
man die Abtheilung II der besondern Gynäkologie auch mit
dem gemeinsamen Namen der Entbindungskunde (im weitern
Sinne des Worts, denn im engern begriffe es nur die Phy-
siologie, Diätetik, Pathologie und Therapie der Geburt), so
wie die physiologische, diätetische und pathologische Seite die-
ser Abtheilung als Bereich der Hebammenkunst ansehen kann.
Daß wir übrigens die Physiologie, Pathologie und Therapie
des Erzeugten während der Schwangerschaft und Geburt so
wie des Neugeborenen selbst, hier mit aufnehmen, wird außer
den §. 10. erwähnten Gründen, auch dadurch nothwendig,
daß wir bedenken, wie selbst krankhafte Zustände des Erzeug-
ten so vielfach auf den mütterlichen Körper überwirken. Was
endlich die Art und Folge der Abhandlung dieser Gegenstände
betrifft, so wird es am zweckmäßigsten seyn sowohl im ersten
als zweiten speciellen Theile, erst das Physiologische und Diä-
tetische durchzugehen und dann das Pathologische und Thera-
peutische desselben folgen zu lassen.

§. 12.

Die Art des Studiums der Gynäkologie ist,
gleich dem der übrigen Zweige der Heilkunde, um nicht zu
sagen der Naturwissenschaft überhaupt, eine dreifache. Gy-
näkologische Kenntnisse nämlich werden erworben durch münd-
lichen Unterricht, durch Benutzung der vorhandenen Schriften
und durch Beobachtung der Natur selbst. Kein Weg von die-
sen dreien allein leitet indeß zum rechten Ziel, denn auf
dem letzten versinken wir leicht in rohe Empirie, auf dem
zweiten wird eine praktisch unhaltbare Gelehrsamkeit erwor-
ben, und der erstere kann das jurare in verba magistri
wohl veranlassen. Wünschenswerth bleibt es daher stets, alle
drei Verfahren zu einigen, obwohl für die vollkommenere Aus-
bildung, das Beobachten der überall unerschöpflichen Natur,
in welcher erst viele Erfahrung uns recht einheimisch machen
kann, das Wesentlichste bleiben wird. -- Daß übrigens
dem Studium der Gynäkologie immer viele und mannigfal-
tige Vorkenntnisse vorhergehen müssen, liegt wohl am Tage,

Anmerkung. Es zeigt ſich in dieſem Schema, daß
man die Abtheilung II der beſondern Gynaͤkologie auch mit
dem gemeinſamen Namen der Entbindungskunde (im weitern
Sinne des Worts, denn im engern begriffe es nur die Phy-
ſiologie, Diaͤtetik, Pathologie und Therapie der Geburt), ſo
wie die phyſiologiſche, diaͤtetiſche und pathologiſche Seite die-
ſer Abtheilung als Bereich der Hebammenkunſt anſehen kann.
Daß wir uͤbrigens die Phyſiologie, Pathologie und Therapie
des Erzeugten waͤhrend der Schwangerſchaft und Geburt ſo
wie des Neugeborenen ſelbſt, hier mit aufnehmen, wird außer
den §. 10. erwaͤhnten Gruͤnden, auch dadurch nothwendig,
daß wir bedenken, wie ſelbſt krankhafte Zuſtaͤnde des Erzeug-
ten ſo vielfach auf den muͤtterlichen Koͤrper uͤberwirken. Was
endlich die Art und Folge der Abhandlung dieſer Gegenſtaͤnde
betrifft, ſo wird es am zweckmaͤßigſten ſeyn ſowohl im erſten
als zweiten ſpeciellen Theile, erſt das Phyſiologiſche und Diaͤ-
tetiſche durchzugehen und dann das Pathologiſche und Thera-
peutiſche deſſelben folgen zu laſſen.

§. 12.

Die Art des Studiums der Gynaͤkologie iſt,
gleich dem der uͤbrigen Zweige der Heilkunde, um nicht zu
ſagen der Naturwiſſenſchaft uͤberhaupt, eine dreifache. Gy-
naͤkologiſche Kenntniſſe naͤmlich werden erworben durch muͤnd-
lichen Unterricht, durch Benutzung der vorhandenen Schriften
und durch Beobachtung der Natur ſelbſt. Kein Weg von die-
ſen dreien allein leitet indeß zum rechten Ziel, denn auf
dem letzten verſinken wir leicht in rohe Empirie, auf dem
zweiten wird eine praktiſch unhaltbare Gelehrſamkeit erwor-
ben, und der erſtere kann das jurare in verba magistri
wohl veranlaſſen. Wuͤnſchenswerth bleibt es daher ſtets, alle
drei Verfahren zu einigen, obwohl fuͤr die vollkommenere Aus-
bildung, das Beobachten der uͤberall unerſchoͤpflichen Natur,
in welcher erſt viele Erfahrung uns recht einheimiſch machen
kann, das Weſentlichſte bleiben wird. — Daß uͤbrigens
dem Studium der Gynaͤkologie immer viele und mannigfal-
tige Vorkenntniſſe vorhergehen muͤſſen, liegt wohl am Tage,

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[10/0030] Anmerkung. Es zeigt ſich in dieſem Schema, daß man die Abtheilung II der beſondern Gynaͤkologie auch mit dem gemeinſamen Namen der Entbindungskunde (im weitern Sinne des Worts, denn im engern begriffe es nur die Phy- ſiologie, Diaͤtetik, Pathologie und Therapie der Geburt), ſo wie die phyſiologiſche, diaͤtetiſche und pathologiſche Seite die- ſer Abtheilung als Bereich der Hebammenkunſt anſehen kann. Daß wir uͤbrigens die Phyſiologie, Pathologie und Therapie des Erzeugten waͤhrend der Schwangerſchaft und Geburt ſo wie des Neugeborenen ſelbſt, hier mit aufnehmen, wird außer den §. 10. erwaͤhnten Gruͤnden, auch dadurch nothwendig, daß wir bedenken, wie ſelbſt krankhafte Zuſtaͤnde des Erzeug- ten ſo vielfach auf den muͤtterlichen Koͤrper uͤberwirken. Was endlich die Art und Folge der Abhandlung dieſer Gegenſtaͤnde betrifft, ſo wird es am zweckmaͤßigſten ſeyn ſowohl im erſten als zweiten ſpeciellen Theile, erſt das Phyſiologiſche und Diaͤ- tetiſche durchzugehen und dann das Pathologiſche und Thera- peutiſche deſſelben folgen zu laſſen. §. 12. Die Art des Studiums der Gynaͤkologie iſt, gleich dem der uͤbrigen Zweige der Heilkunde, um nicht zu ſagen der Naturwiſſenſchaft uͤberhaupt, eine dreifache. Gy- naͤkologiſche Kenntniſſe naͤmlich werden erworben durch muͤnd- lichen Unterricht, durch Benutzung der vorhandenen Schriften und durch Beobachtung der Natur ſelbſt. Kein Weg von die- ſen dreien allein leitet indeß zum rechten Ziel, denn auf dem letzten verſinken wir leicht in rohe Empirie, auf dem zweiten wird eine praktiſch unhaltbare Gelehrſamkeit erwor- ben, und der erſtere kann das jurare in verba magistri wohl veranlaſſen. Wuͤnſchenswerth bleibt es daher ſtets, alle drei Verfahren zu einigen, obwohl fuͤr die vollkommenere Aus- bildung, das Beobachten der uͤberall unerſchoͤpflichen Natur, in welcher erſt viele Erfahrung uns recht einheimiſch machen kann, das Weſentlichſte bleiben wird. — Daß uͤbrigens dem Studium der Gynaͤkologie immer viele und mannigfal- tige Vorkenntniſſe vorhergehen muͤſſen, liegt wohl am Tage,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/30>, abgerufen am 21.11.2024.