Aetiologie. Das Wesen oder die nächste Ursach der Leukocrhöe ist eine im Mißverhältniß zur allgemei- nen Reproduction gesteigerte secernirende Thä- tigkeit in den Schleimhäuten der Geschlechts- theile. Die Schleimhäute überhaupt aber bilden ein auf den niedrigsten Stufen der Organisation verharrendes System, sie sind am meisten entwickelt und selbst über die gesammte äußere Körperfläche verbreitet, wo der Organismus am un- vollkommensten ist, wie in den niedrigern Thiergattungen, und werden erst bey vollkommnerer Ausbildung auf das Innere und auf einzelne niedrigere Organe zurückgedrängt, einen Ge- gensatz bildend zu den höhern Thätigkeiten des Körpers. Eben daher kann nun die krankhaft gesteigerte Absonderung der Schleimhäute überhaupt, und insbesondere der Geschlechtstheile, vorzüglich auf doppeltem Wege entstehen; erstens, indem die höhern Systeme überhaupt, vorzüglich aber Spannkraft und Muskularthätigkeit, entweder an und für sich, oder nur relativ geschwächt erscheinen, und somit theils wuchernde allgemeine Repro- duction, und in Folge deren übermäßige Ausscheidung in den Schleimhäuten bedingt wird, theils auch ohne abnorm erhöhte allgemeine reproduktive Thätigkeit bloß örtlich die wuchernde Thätigkeit der Schleimhäute, im Gegensatz der gesunkenen Irritabilität, hervortritt. -- Zweytens, indem bey normalem Stande der Muskularthätigkeit (Irritabilität) und Repro- duction, durch örtliche gewaltsame Aufregung eine abnorm ver- mehrte Ausscheidung der Schleimhäute Statt findet.
§. 384.
Wenn wir also bemerken, daß, wenn auch oft verbun- den mit allgemeiner Schwäche, doch eigentlich der nächste Grund dieses Schleimflusses erhöhte ausscheidende Thätigkeit ist, so ergiebt sich hieraus, wie irrig es sey, wenn die mei- sten neuern medicinischen Schriften hierbey nur Asthenie sahen und dem zu Folge jedem Schleimfluß dieser Art mit stärken- den innern und äußern Mitteln zu begegnen riethen, welche
§. 383.
Aetiologie. Das Weſen oder die naͤchſte Urſach der Leukocrhoͤe iſt eine im Mißverhaͤltniß zur allgemei- nen Reproduction geſteigerte ſecernirende Thaͤ- tigkeit in den Schleimhaͤuten der Geſchlechts- theile. Die Schleimhaͤute uͤberhaupt aber bilden ein auf den niedrigſten Stufen der Organiſation verharrendes Syſtem, ſie ſind am meiſten entwickelt und ſelbſt uͤber die geſammte aͤußere Koͤrperflaͤche verbreitet, wo der Organismus am un- vollkommenſten iſt, wie in den niedrigern Thiergattungen, und werden erſt bey vollkommnerer Ausbildung auf das Innere und auf einzelne niedrigere Organe zuruͤckgedraͤngt, einen Ge- genſatz bildend zu den hoͤhern Thaͤtigkeiten des Koͤrpers. Eben daher kann nun die krankhaft geſteigerte Abſonderung der Schleimhaͤute uͤberhaupt, und insbeſondere der Geſchlechtstheile, vorzuͤglich auf doppeltem Wege entſtehen; erſtens, indem die hoͤhern Syſteme uͤberhaupt, vorzuͤglich aber Spannkraft und Muskularthaͤtigkeit, entweder an und fuͤr ſich, oder nur relativ geſchwaͤcht erſcheinen, und ſomit theils wuchernde allgemeine Repro- duction, und in Folge deren uͤbermaͤßige Ausſcheidung in den Schleimhaͤuten bedingt wird, theils auch ohne abnorm erhoͤhte allgemeine reproduktive Thaͤtigkeit bloß oͤrtlich die wuchernde Thaͤtigkeit der Schleimhaͤute, im Gegenſatz der geſunkenen Irritabilitaͤt, hervortritt. — Zweytens, indem bey normalem Stande der Muskularthaͤtigkeit (Irritabilitaͤt) und Repro- duction, durch oͤrtliche gewaltſame Aufregung eine abnorm ver- mehrte Ausſcheidung der Schleimhaͤute Statt findet.
§. 384.
Wenn wir alſo bemerken, daß, wenn auch oft verbun- den mit allgemeiner Schwaͤche, doch eigentlich der naͤchſte Grund dieſes Schleimfluſſes erhoͤhte ausſcheidende Thaͤtigkeit iſt, ſo ergiebt ſich hieraus, wie irrig es ſey, wenn die mei- ſten neuern mediciniſchen Schriften hierbey nur Aſthenie ſahen und dem zu Folge jedem Schleimfluß dieſer Art mit ſtaͤrken- den innern und aͤußern Mitteln zu begegnen riethen, welche
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§. 383.
Aetiologie. Das Weſen oder die naͤchſte Urſach der
Leukocrhoͤe iſt eine im Mißverhaͤltniß zur allgemei-
nen Reproduction geſteigerte ſecernirende Thaͤ-
tigkeit in den Schleimhaͤuten der Geſchlechts-
theile. Die Schleimhaͤute uͤberhaupt aber bilden ein auf
den niedrigſten Stufen der Organiſation verharrendes Syſtem,
ſie ſind am meiſten entwickelt und ſelbſt uͤber die geſammte
aͤußere Koͤrperflaͤche verbreitet, wo der Organismus am un-
vollkommenſten iſt, wie in den niedrigern Thiergattungen, und
werden erſt bey vollkommnerer Ausbildung auf das Innere
und auf einzelne niedrigere Organe zuruͤckgedraͤngt, einen Ge-
genſatz bildend zu den hoͤhern Thaͤtigkeiten des Koͤrpers. Eben
daher kann nun die krankhaft geſteigerte Abſonderung der
Schleimhaͤute uͤberhaupt, und insbeſondere der Geſchlechtstheile,
vorzuͤglich auf doppeltem Wege entſtehen; erſtens, indem die
hoͤhern Syſteme uͤberhaupt, vorzuͤglich aber Spannkraft und
Muskularthaͤtigkeit, entweder an und fuͤr ſich, oder nur relativ
geſchwaͤcht erſcheinen, und ſomit theils wuchernde allgemeine Repro-
duction, und in Folge deren uͤbermaͤßige Ausſcheidung in den
Schleimhaͤuten bedingt wird, theils auch ohne abnorm erhoͤhte
allgemeine reproduktive Thaͤtigkeit bloß oͤrtlich die wuchernde
Thaͤtigkeit der Schleimhaͤute, im Gegenſatz der geſunkenen
Irritabilitaͤt, hervortritt. — Zweytens, indem bey normalem
Stande der Muskularthaͤtigkeit (Irritabilitaͤt) und Repro-
duction, durch oͤrtliche gewaltſame Aufregung eine abnorm ver-
mehrte Ausſcheidung der Schleimhaͤute Statt findet.
§. 384.
Wenn wir alſo bemerken, daß, wenn auch oft verbun-
den mit allgemeiner Schwaͤche, doch eigentlich der naͤchſte
Grund dieſes Schleimfluſſes erhoͤhte ausſcheidende Thaͤtigkeit
iſt, ſo ergiebt ſich hieraus, wie irrig es ſey, wenn die mei-
ſten neuern mediciniſchen Schriften hierbey nur Aſthenie ſahen
und dem zu Folge jedem Schleimfluß dieſer Art mit ſtaͤrken-
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/318>, abgerufen am 22.11.2024.
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