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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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Anmerkung. Weit seltner, als man gewöhnlich zu
glauben scheint, ist es, daß ein weibliches Becken in aller
Hinsicht als normal gebildet sich zeigt, und insbesondere habe
ich dieß von der Krümmung der Beckenhöhle bestätigt gefun-
den, wo man oft unter einer beträchtlichen Reihe, übrigens
ziemlich wohlgebauter Becken, kaum eines vorfindet, dessen
Krümmung ganz der wahren Norm entspräche.

§. 45.

So weit denn die mathematische Betrachtung des Be-
ckens; was das in physiologischer Hinsicht noch Bemerkungs-
werthe betrifft, so muß theils die Art seiner Knochenverbin-
dungen, theils die Entwicklung desselben berücksichtigt wer-
den. Die Art der Beckenverbindungen angehend, so sind
von den vier Knochenverbindungen drei (nämlich zwei Darm-
und Kreuzbeinfugen und die Schamfuge) im normalen Zu-
stande keiner Bewegung, keines Auseinanderweichens (worauf
man sonst wohl bey der Theorie der natürlichen Geburt Rück-
sicht nahm) fähig, dahingegen bey einigen Säugethieren (so
nach Le Gallois beym Meerschweinchen) die Schamfuge sich
wirklich öffnet, folglich die Seitenwandbeine sich allerdings
bewegen, worin wir eine Aehnlichkeit mit dem beweglichen
Becken niederer Thiergattungen, z. B. der Schildkröten, be-
merken. Daß jedoch die Verbindung des Schwanz- und
Kreuzknochens hinlängliche Bewegung zulassen müsse, um eine
normale Weite der untern Beckenöffnung zuzulassen, ergiebt
sich schon aus §. 38. Rücksichtlich der Entwicklung der gan-
zen Beckenform endlich bemerken wir, daß diejenige Gestalt,
welche wir im Vorhergehenden als die eigentlich normale für
den ausgebildeten weiblichen Körper beschrieben, nicht gleich
im Kinde etwa nur im verjüngten Maaßstabe vorhanden sey,
sondern ihre Eigenthümlichkeit erst späterhin erhalte. Unter-
sucht man nämlich das Becken des neugebornen Mädchens,
so ist allerdings wegen äußerst geringer Hervorragung des
Vorberges und Schmalheit der Hüftgegend auch die obere
Beckenöffnung mehr ein der Länge, als der Breite nach
liegendes Oval; späterhin wird dann der ganze Beckenraum
mehr kreisrund, bis erst während des Eintrittes der Ge-

Anmerkung. Weit ſeltner, als man gewoͤhnlich zu
glauben ſcheint, iſt es, daß ein weibliches Becken in aller
Hinſicht als normal gebildet ſich zeigt, und insbeſondere habe
ich dieß von der Kruͤmmung der Beckenhoͤhle beſtaͤtigt gefun-
den, wo man oft unter einer betraͤchtlichen Reihe, uͤbrigens
ziemlich wohlgebauter Becken, kaum eines vorfindet, deſſen
Kruͤmmung ganz der wahren Norm entſpraͤche.

§. 45.

So weit denn die mathematiſche Betrachtung des Be-
ckens; was das in phyſiologiſcher Hinſicht noch Bemerkungs-
werthe betrifft, ſo muß theils die Art ſeiner Knochenverbin-
dungen, theils die Entwicklung deſſelben beruͤckſichtigt wer-
den. Die Art der Beckenverbindungen angehend, ſo ſind
von den vier Knochenverbindungen drei (naͤmlich zwei Darm-
und Kreuzbeinfugen und die Schamfuge) im normalen Zu-
ſtande keiner Bewegung, keines Auseinanderweichens (worauf
man ſonſt wohl bey der Theorie der natuͤrlichen Geburt Ruͤck-
ſicht nahm) faͤhig, dahingegen bey einigen Saͤugethieren (ſo
nach Le Gallois beym Meerſchweinchen) die Schamfuge ſich
wirklich oͤffnet, folglich die Seitenwandbeine ſich allerdings
bewegen, worin wir eine Aehnlichkeit mit dem beweglichen
Becken niederer Thiergattungen, z. B. der Schildkroͤten, be-
merken. Daß jedoch die Verbindung des Schwanz- und
Kreuzknochens hinlaͤngliche Bewegung zulaſſen muͤſſe, um eine
normale Weite der untern Beckenoͤffnung zuzulaſſen, ergiebt
ſich ſchon aus §. 38. Ruͤckſichtlich der Entwicklung der gan-
zen Beckenform endlich bemerken wir, daß diejenige Geſtalt,
welche wir im Vorhergehenden als die eigentlich normale fuͤr
den ausgebildeten weiblichen Koͤrper beſchrieben, nicht gleich
im Kinde etwa nur im verjuͤngten Maaßſtabe vorhanden ſey,
ſondern ihre Eigenthuͤmlichkeit erſt ſpaͤterhin erhalte. Unter-
ſucht man naͤmlich das Becken des neugebornen Maͤdchens,
ſo iſt allerdings wegen aͤußerſt geringer Hervorragung des
Vorberges und Schmalheit der Huͤftgegend auch die obere
Beckenoͤffnung mehr ein der Laͤnge, als der Breite nach
liegendes Oval; ſpaͤterhin wird dann der ganze Beckenraum
mehr kreisrund, bis erſt waͤhrend des Eintrittes der Ge-

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[34/0054] Anmerkung. Weit ſeltner, als man gewoͤhnlich zu glauben ſcheint, iſt es, daß ein weibliches Becken in aller Hinſicht als normal gebildet ſich zeigt, und insbeſondere habe ich dieß von der Kruͤmmung der Beckenhoͤhle beſtaͤtigt gefun- den, wo man oft unter einer betraͤchtlichen Reihe, uͤbrigens ziemlich wohlgebauter Becken, kaum eines vorfindet, deſſen Kruͤmmung ganz der wahren Norm entſpraͤche. §. 45. So weit denn die mathematiſche Betrachtung des Be- ckens; was das in phyſiologiſcher Hinſicht noch Bemerkungs- werthe betrifft, ſo muß theils die Art ſeiner Knochenverbin- dungen, theils die Entwicklung deſſelben beruͤckſichtigt wer- den. Die Art der Beckenverbindungen angehend, ſo ſind von den vier Knochenverbindungen drei (naͤmlich zwei Darm- und Kreuzbeinfugen und die Schamfuge) im normalen Zu- ſtande keiner Bewegung, keines Auseinanderweichens (worauf man ſonſt wohl bey der Theorie der natuͤrlichen Geburt Ruͤck- ſicht nahm) faͤhig, dahingegen bey einigen Saͤugethieren (ſo nach Le Gallois beym Meerſchweinchen) die Schamfuge ſich wirklich oͤffnet, folglich die Seitenwandbeine ſich allerdings bewegen, worin wir eine Aehnlichkeit mit dem beweglichen Becken niederer Thiergattungen, z. B. der Schildkroͤten, be- merken. Daß jedoch die Verbindung des Schwanz- und Kreuzknochens hinlaͤngliche Bewegung zulaſſen muͤſſe, um eine normale Weite der untern Beckenoͤffnung zuzulaſſen, ergiebt ſich ſchon aus §. 38. Ruͤckſichtlich der Entwicklung der gan- zen Beckenform endlich bemerken wir, daß diejenige Geſtalt, welche wir im Vorhergehenden als die eigentlich normale fuͤr den ausgebildeten weiblichen Koͤrper beſchrieben, nicht gleich im Kinde etwa nur im verjuͤngten Maaßſtabe vorhanden ſey, ſondern ihre Eigenthuͤmlichkeit erſt ſpaͤterhin erhalte. Unter- ſucht man naͤmlich das Becken des neugebornen Maͤdchens, ſo iſt allerdings wegen aͤußerſt geringer Hervorragung des Vorberges und Schmalheit der Huͤftgegend auch die obere Beckenoͤffnung mehr ein der Laͤnge, als der Breite nach liegendes Oval; ſpaͤterhin wird dann der ganze Beckenraum mehr kreisrund, bis erſt waͤhrend des Eintrittes der Ge-

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/54>, abgerufen am 21.11.2024.