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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820.

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schlechtsreise das Becken (die Knochenhöhle für Geschlechts-
organe, wie es der Thorax für Respirationsorgane ist) seine
querovale Gestalt erhält, ja seine volle Ausbildung erst wäh-
rend der ersten Schwangerschaft erreicht, woher wir es leiten
müssen, daß die Taille des weiblichen Körpers eine andere ist
im jungfräulichen Zustande und eine andere nach der ersten Geburt,
ein Unterschied, welchen schon die alten plastischen Künstler
in der verschiedenen Bildung der Venus anadyomene (die
dem Meere entstiegene) und der Venus genetrix (der Er-
zeugerin) sehr wohl ausgedrückt haben.

§. 46.

Es ist jetzt, bevor wir zur Betrachtung der Eigenthüm-
lichkeiten des weiblichen Lebens übergehen, nothwendig, zuvor
noch die Kennzeichen zu berücksichtigen, aus denen am leben-
den Körper das wahrhaft normale Befinden und der verschie-
dene Zustand der einzelnen, vorher betrachteten Theile zu er-
kennen ist, als welches dann das Geschäft einer besondern
Zeichenlehre der weiblichen Geschlechtstheile und des weiblichen
Beckens seyn wird.

I. Zeichenlehre der weiblichen Geschlechtstheile.
§. 47.

1. Zeichen der normalen, zu Zeugung, Er-
nährung des Kindes und Geburt überhaupt ge-
schickten weiblichen Geschlechtstheile
. -- Hierher
gehören a) hinsichtlich der äußern Schamtheile: an-
einanderschließende, doch nirgends verwachsene oder sonst ver-
unstaltete, innerlich geröthete und glatte, äußerlich mit Haar
bewachsene, große Schamlefzen; hinlänglich weite, weder zu
sehr rückwärts noch vorwärts gerichtete Schamspalte (Rima
genitalium
); nicht zu weit vorragender und breiter, noch auch
allzuschmaler oder zerrissener Damm (Perinaeum), und kein
allzubreites Schambändchen (Frenulum vulvae). Ferner re-
gelmäßig gebildete, weder zu starke und vorragende, noch zu
kleine oder unempfindliche, lebhaft geröthete, mäßig feuchte,

ſchlechtsreiſe das Becken (die Knochenhoͤhle fuͤr Geſchlechts-
organe, wie es der Thorax fuͤr Reſpirationsorgane iſt) ſeine
querovale Geſtalt erhaͤlt, ja ſeine volle Ausbildung erſt waͤh-
rend der erſten Schwangerſchaft erreicht, woher wir es leiten
muͤſſen, daß die Taille des weiblichen Koͤrpers eine andere iſt
im jungfraͤulichen Zuſtande und eine andere nach der erſten Geburt,
ein Unterſchied, welchen ſchon die alten plaſtiſchen Kuͤnſtler
in der verſchiedenen Bildung der Venus anadyomene (die
dem Meere entſtiegene) und der Venus genetrix (der Er-
zeugerin) ſehr wohl ausgedruͤckt haben.

§. 46.

Es iſt jetzt, bevor wir zur Betrachtung der Eigenthuͤm-
lichkeiten des weiblichen Lebens uͤbergehen, nothwendig, zuvor
noch die Kennzeichen zu beruͤckſichtigen, aus denen am leben-
den Koͤrper das wahrhaft normale Befinden und der verſchie-
dene Zuſtand der einzelnen, vorher betrachteten Theile zu er-
kennen iſt, als welches dann das Geſchaͤft einer beſondern
Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile und des weiblichen
Beckens ſeyn wird.

I. Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile.
§. 47.

1. Zeichen der normalen, zu Zeugung, Er-
naͤhrung des Kindes und Geburt uͤberhaupt ge-
ſchickten weiblichen Geſchlechtstheile
. — Hierher
gehoͤren a) hinſichtlich der aͤußern Schamtheile: an-
einanderſchließende, doch nirgends verwachſene oder ſonſt ver-
unſtaltete, innerlich geroͤthete und glatte, aͤußerlich mit Haar
bewachſene, große Schamlefzen; hinlaͤnglich weite, weder zu
ſehr ruͤckwaͤrts noch vorwaͤrts gerichtete Schamſpalte (Rima
genitalium
); nicht zu weit vorragender und breiter, noch auch
allzuſchmaler oder zerriſſener Damm (Perinaeum), und kein
allzubreites Schambaͤndchen (Frenulum vulvae). Ferner re-
gelmaͤßig gebildete, weder zu ſtarke und vorragende, noch zu
kleine oder unempfindliche, lebhaft geroͤthete, maͤßig feuchte,

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[35/0055] ſchlechtsreiſe das Becken (die Knochenhoͤhle fuͤr Geſchlechts- organe, wie es der Thorax fuͤr Reſpirationsorgane iſt) ſeine querovale Geſtalt erhaͤlt, ja ſeine volle Ausbildung erſt waͤh- rend der erſten Schwangerſchaft erreicht, woher wir es leiten muͤſſen, daß die Taille des weiblichen Koͤrpers eine andere iſt im jungfraͤulichen Zuſtande und eine andere nach der erſten Geburt, ein Unterſchied, welchen ſchon die alten plaſtiſchen Kuͤnſtler in der verſchiedenen Bildung der Venus anadyomene (die dem Meere entſtiegene) und der Venus genetrix (der Er- zeugerin) ſehr wohl ausgedruͤckt haben. §. 46. Es iſt jetzt, bevor wir zur Betrachtung der Eigenthuͤm- lichkeiten des weiblichen Lebens uͤbergehen, nothwendig, zuvor noch die Kennzeichen zu beruͤckſichtigen, aus denen am leben- den Koͤrper das wahrhaft normale Befinden und der verſchie- dene Zuſtand der einzelnen, vorher betrachteten Theile zu er- kennen iſt, als welches dann das Geſchaͤft einer beſondern Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile und des weiblichen Beckens ſeyn wird. I. Zeichenlehre der weiblichen Geſchlechtstheile. §. 47. 1. Zeichen der normalen, zu Zeugung, Er- naͤhrung des Kindes und Geburt uͤberhaupt ge- ſchickten weiblichen Geſchlechtstheile. — Hierher gehoͤren a) hinſichtlich der aͤußern Schamtheile: an- einanderſchließende, doch nirgends verwachſene oder ſonſt ver- unſtaltete, innerlich geroͤthete und glatte, aͤußerlich mit Haar bewachſene, große Schamlefzen; hinlaͤnglich weite, weder zu ſehr ruͤckwaͤrts noch vorwaͤrts gerichtete Schamſpalte (Rima genitalium); nicht zu weit vorragender und breiter, noch auch allzuſchmaler oder zerriſſener Damm (Perinaeum), und kein allzubreites Schambaͤndchen (Frenulum vulvae). Ferner re- gelmaͤßig gebildete, weder zu ſtarke und vorragende, noch zu kleine oder unempfindliche, lebhaft geroͤthete, maͤßig feuchte,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/55>, abgerufen am 21.11.2024.