das Weib erkrankt daher häufiger, oft in Folge scheinbar un- erheblicher Schädlichkeiten, und alles dieß natürlich um so mehr, je reitzbarer das Individuum ist (daher das unaufhör- liche Krankseyn mancher überfeinen weiblichen Constitution) und wir finden auch hier wieder die Aehnlichkeit mit dem Kindeskörper, von welchem dasselbe gilt. -- Zweitens: Die geringere Energie in der Reaction des weiblichen Kör- pers überhaupt macht es indeß erklärlich, daß die von ein- wirkenden Schädlichkeiten erzeugten Krankheitsstürme minder heftig, Fälle schweren Erkrankens im Ganzen seltner zu seyn pflegen als im männlichen Geschlecht; Frauen zeigen eben deßhalb oft unter den beschwerlichsten Lagen bewunderns- werthe Ausdauer, und werden weniger leicht ganz niederge- worfen aufs Krankenlager als Männer.
§. 79.
Drittens. Das Vorherrschen vegetativer Funktionen im weiblichen Körper bedingt ferner auch das häufigere Vor- kommen von krankhaften Zuständen sowohl in den ersten We- gen des Assimilationsprozesses und den secernirenden Orga- nen, als in der allgemeinen Bildungsthätigkeit, deren Trä- ger das Gefäßsystem ist, woher denn theils das hier so häu- fige Vorkommen von Unordnungen in der Art der Blutcirku- lation, theils die öftern Fälle abnormer, auf pathologische Bildung oder Ausscheidung abzweckender Gefäßthätigkeit, und somit die häufigen Krankheitsformen der Entzündung, Ver- wachsung, Verbildung, Gefäßerweiterung, Wasseranhäufung, Eiterung u. s. w. erklärlich werden. -- Viertens wird der Verlauf der Krankheiten in Folge des obenerwähnten Ueber- gewichts produktiver Funktionen auch in so ferne modificirt, als der Körper selbst in Hebung und Entscheidung der Krank- heiten sich thätiger beweiset, woher denn die außerordentliche Heilkraft der Natur oft in Fällen der bedeutendsten organi- schen Zerrüttungen (z. B. bey Eiterungen, durch Schwan- gerschaft außerhalb der Gebärmutter veranlaßt) abgeleitet werden kann. -- Fünftens beruht es in dem besondern Vorwalten der Sensibilität dieses Geschlechts, daß Symptome, welche vom Nervensystem ausgehen, die meisten Krankheiten
das Weib erkrankt daher haͤufiger, oft in Folge ſcheinbar un- erheblicher Schaͤdlichkeiten, und alles dieß natuͤrlich um ſo mehr, je reitzbarer das Individuum iſt (daher das unaufhoͤr- liche Krankſeyn mancher uͤberfeinen weiblichen Conſtitution) und wir finden auch hier wieder die Aehnlichkeit mit dem Kindeskoͤrper, von welchem daſſelbe gilt. — Zweitens: Die geringere Energie in der Reaction des weiblichen Koͤr- pers uͤberhaupt macht es indeß erklaͤrlich, daß die von ein- wirkenden Schaͤdlichkeiten erzeugten Krankheitsſtuͤrme minder heftig, Faͤlle ſchweren Erkrankens im Ganzen ſeltner zu ſeyn pflegen als im maͤnnlichen Geſchlecht; Frauen zeigen eben deßhalb oft unter den beſchwerlichſten Lagen bewunderns- werthe Ausdauer, und werden weniger leicht ganz niederge- worfen aufs Krankenlager als Maͤnner.
§. 79.
Drittens. Das Vorherrſchen vegetativer Funktionen im weiblichen Koͤrper bedingt ferner auch das haͤufigere Vor- kommen von krankhaften Zuſtaͤnden ſowohl in den erſten We- gen des Aſſimilationsprozeſſes und den ſecernirenden Orga- nen, als in der allgemeinen Bildungsthaͤtigkeit, deren Traͤ- ger das Gefaͤßſyſtem iſt, woher denn theils das hier ſo haͤu- fige Vorkommen von Unordnungen in der Art der Blutcirku- lation, theils die oͤftern Faͤlle abnormer, auf pathologiſche Bildung oder Ausſcheidung abzweckender Gefaͤßthaͤtigkeit, und ſomit die haͤufigen Krankheitsformen der Entzuͤndung, Ver- wachſung, Verbildung, Gefaͤßerweiterung, Waſſeranhaͤufung, Eiterung u. ſ. w. erklaͤrlich werden. — Viertens wird der Verlauf der Krankheiten in Folge des obenerwaͤhnten Ueber- gewichts produktiver Funktionen auch in ſo ferne modificirt, als der Koͤrper ſelbſt in Hebung und Entſcheidung der Krank- heiten ſich thaͤtiger beweiſet, woher denn die außerordentliche Heilkraft der Natur oft in Faͤllen der bedeutendſten organi- ſchen Zerruͤttungen (z. B. bey Eiterungen, durch Schwan- gerſchaft außerhalb der Gebaͤrmutter veranlaßt) abgeleitet werden kann. — Fuͤnftens beruht es in dem beſondern Vorwalten der Senſibilitaͤt dieſes Geſchlechts, daß Symptome, welche vom Nervenſyſtem ausgehen, die meiſten Krankheiten
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das Weib erkrankt daher haͤufiger, oft in Folge ſcheinbar un-
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mehr, je reitzbarer das Individuum iſt (daher das unaufhoͤr-
liche Krankſeyn mancher uͤberfeinen weiblichen Conſtitution)
und wir finden auch hier wieder die Aehnlichkeit mit dem
Kindeskoͤrper, von welchem daſſelbe gilt. — Zweitens:
Die geringere Energie in der Reaction des weiblichen Koͤr-
pers uͤberhaupt macht es indeß erklaͤrlich, daß die von ein-
wirkenden Schaͤdlichkeiten erzeugten Krankheitsſtuͤrme minder
heftig, Faͤlle ſchweren Erkrankens im Ganzen ſeltner zu ſeyn
pflegen als im maͤnnlichen Geſchlecht; Frauen zeigen eben
deßhalb oft unter den beſchwerlichſten Lagen bewunderns-
werthe Ausdauer, und werden weniger leicht ganz niederge-
worfen aufs Krankenlager als Maͤnner.
§. 79.
Drittens. Das Vorherrſchen vegetativer Funktionen
im weiblichen Koͤrper bedingt ferner auch das haͤufigere Vor-
kommen von krankhaften Zuſtaͤnden ſowohl in den erſten We-
gen des Aſſimilationsprozeſſes und den ſecernirenden Orga-
nen, als in der allgemeinen Bildungsthaͤtigkeit, deren Traͤ-
ger das Gefaͤßſyſtem iſt, woher denn theils das hier ſo haͤu-
fige Vorkommen von Unordnungen in der Art der Blutcirku-
lation, theils die oͤftern Faͤlle abnormer, auf pathologiſche
Bildung oder Ausſcheidung abzweckender Gefaͤßthaͤtigkeit, und
ſomit die haͤufigen Krankheitsformen der Entzuͤndung, Ver-
wachſung, Verbildung, Gefaͤßerweiterung, Waſſeranhaͤufung,
Eiterung u. ſ. w. erklaͤrlich werden. — Viertens wird der
Verlauf der Krankheiten in Folge des obenerwaͤhnten Ueber-
gewichts produktiver Funktionen auch in ſo ferne modificirt,
als der Koͤrper ſelbſt in Hebung und Entſcheidung der Krank-
heiten ſich thaͤtiger beweiſet, woher denn die außerordentliche
Heilkraft der Natur oft in Faͤllen der bedeutendſten organi-
ſchen Zerruͤttungen (z. B. bey Eiterungen, durch Schwan-
gerſchaft außerhalb der Gebaͤrmutter veranlaßt) abgeleitet
werden kann. — Fuͤnftens beruht es in dem beſondern
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 58. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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