tinier *) größern Eingang als der gründliche und wissenschaft- liche Arzt erhält) so darf man demohnerachtet mit Recht ei- nige besondere Punkte dieser äußern Behandlung des weibli- chen Geschlechts noch einer nähern Beachtung würdig erklären.
§. 86.
So gehört hierher zunächst schon die Aufmerksamkeit auf äußerliche Erscheinung des Arztes in Kleidung, Haltung und Betragen. -- Ein Geschlecht, welches die Sitte als erste Richterin anerkennt, empfindet jede Unschicklichkeit dieser Art nothwendig mehr als der Mann, und eine jede gesuchte, geckenhafte Kleidung eben so sehr als ein allzuvernachläßigtes Aeußere, ein jedes Auffallende, nach konventionellen Grund- sätzen Unpassende des Betragens wird das weibliche Gefühl unangenehm afficiren, ja zurückstoßen, wenn es von einem männlichen Individuum kaum bemerkt würde.
§. 87.
Außerdem hat das Betragen des Arztes sich insbeson- dere nach weiblicher Individualität zu fügen, theils bey Er- forschung der Krankheitszustände, theils bey Anordnung des Heilplanes. In ersterer Hinsicht ist es die Aufgabe einer- seits, zart und würdig den Frauen zu begegnen, damit sie es wagen mögen, vertrauenvoll selbst Geheimnisse, welche weib- liche Schamhaftigkeit sonst gern verbirgt, dem Arzt offen darzulegen; ein Vertrauen, welches der Arzt durch eine einzige unschickliche leidenschaftliche Aeußerung bey zartfühlenden Frauen verscherzen wird. Andererseits ist aber auch Scharf- blick, sichere Ordnung im Krankenexamen und vielfache Um- sicht nöthig, um durch den gewandten, oft nur zu redseligen Vortrag der Kranken, ja durch absichtliche auf Täuschung abzweckende Darstellung eines zur List geneigten Geschlechts nicht von der richtigen Ansicht des eigentlichen Zustandes sich abbringen zu lassen; eine Aufgabe, welche oft namentlich
*) Möchte doch, so wenig als auch dieses Wort in unserer Sprache sich unumschrieben wiedergeben läßt, eben so wenig die Sache selbst bey uns gefunden werden! --
tinier *) groͤßern Eingang als der gruͤndliche und wiſſenſchaft- liche Arzt erhaͤlt) ſo darf man demohnerachtet mit Recht ei- nige beſondere Punkte dieſer aͤußern Behandlung des weibli- chen Geſchlechts noch einer naͤhern Beachtung wuͤrdig erklaͤren.
§. 86.
So gehoͤrt hierher zunaͤchſt ſchon die Aufmerkſamkeit auf aͤußerliche Erſcheinung des Arztes in Kleidung, Haltung und Betragen. — Ein Geſchlecht, welches die Sitte als erſte Richterin anerkennt, empfindet jede Unſchicklichkeit dieſer Art nothwendig mehr als der Mann, und eine jede geſuchte, geckenhafte Kleidung eben ſo ſehr als ein allzuvernachlaͤßigtes Aeußere, ein jedes Auffallende, nach konventionellen Grund- ſaͤtzen Unpaſſende des Betragens wird das weibliche Gefuͤhl unangenehm afficiren, ja zuruͤckſtoßen, wenn es von einem maͤnnlichen Individuum kaum bemerkt wuͤrde.
§. 87.
Außerdem hat das Betragen des Arztes ſich insbeſon- dere nach weiblicher Individualitaͤt zu fuͤgen, theils bey Er- forſchung der Krankheitszuſtaͤnde, theils bey Anordnung des Heilplanes. In erſterer Hinſicht iſt es die Aufgabe einer- ſeits, zart und wuͤrdig den Frauen zu begegnen, damit ſie es wagen moͤgen, vertrauenvoll ſelbſt Geheimniſſe, welche weib- liche Schamhaftigkeit ſonſt gern verbirgt, dem Arzt offen darzulegen; ein Vertrauen, welches der Arzt durch eine einzige unſchickliche leidenſchaftliche Aeußerung bey zartfuͤhlenden Frauen verſcherzen wird. Andererſeits iſt aber auch Scharf- blick, ſichere Ordnung im Krankenexamen und vielfache Um- ſicht noͤthig, um durch den gewandten, oft nur zu redſeligen Vortrag der Kranken, ja durch abſichtliche auf Taͤuſchung abzweckende Darſtellung eines zur Liſt geneigten Geſchlechts nicht von der richtigen Anſicht des eigentlichen Zuſtandes ſich abbringen zu laſſen; eine Aufgabe, welche oft namentlich
*) Moͤchte doch, ſo wenig als auch dieſes Wort in unſerer Sprache ſich unumſchrieben wiedergeben laͤßt, eben ſo wenig die Sache ſelbſt bey uns gefunden werden! —
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tinier *) groͤßern Eingang als der gruͤndliche und wiſſenſchaft-
liche Arzt erhaͤlt) ſo darf man demohnerachtet mit Recht ei-
nige beſondere Punkte dieſer aͤußern Behandlung des weibli-
chen Geſchlechts noch einer naͤhern Beachtung wuͤrdig erklaͤren.
§. 86.
So gehoͤrt hierher zunaͤchſt ſchon die Aufmerkſamkeit
auf aͤußerliche Erſcheinung des Arztes in Kleidung, Haltung
und Betragen. — Ein Geſchlecht, welches die Sitte als
erſte Richterin anerkennt, empfindet jede Unſchicklichkeit dieſer
Art nothwendig mehr als der Mann, und eine jede geſuchte,
geckenhafte Kleidung eben ſo ſehr als ein allzuvernachlaͤßigtes
Aeußere, ein jedes Auffallende, nach konventionellen Grund-
ſaͤtzen Unpaſſende des Betragens wird das weibliche Gefuͤhl
unangenehm afficiren, ja zuruͤckſtoßen, wenn es von einem
maͤnnlichen Individuum kaum bemerkt wuͤrde.
§. 87.
Außerdem hat das Betragen des Arztes ſich insbeſon-
dere nach weiblicher Individualitaͤt zu fuͤgen, theils bey Er-
forſchung der Krankheitszuſtaͤnde, theils bey Anordnung des
Heilplanes. In erſterer Hinſicht iſt es die Aufgabe einer-
ſeits, zart und wuͤrdig den Frauen zu begegnen, damit ſie es
wagen moͤgen, vertrauenvoll ſelbſt Geheimniſſe, welche weib-
liche Schamhaftigkeit ſonſt gern verbirgt, dem Arzt offen
darzulegen; ein Vertrauen, welches der Arzt durch eine einzige
unſchickliche leidenſchaftliche Aeußerung bey zartfuͤhlenden
Frauen verſcherzen wird. Andererſeits iſt aber auch Scharf-
blick, ſichere Ordnung im Krankenexamen und vielfache Um-
ſicht noͤthig, um durch den gewandten, oft nur zu redſeligen
Vortrag der Kranken, ja durch abſichtliche auf Taͤuſchung
abzweckende Darſtellung eines zur Liſt geneigten Geſchlechts
nicht von der richtigen Anſicht des eigentlichen Zuſtandes ſich
abbringen zu laſſen; eine Aufgabe, welche oft namentlich
*) Moͤchte doch, ſo wenig als auch dieſes Wort in unſerer Sprache
ſich unumſchrieben wiedergeben laͤßt, eben ſo wenig die Sache ſelbſt
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 1. Leipzig, 1820, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie01_1820/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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