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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820.

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borenen Kinde. Beides zusammen läßt es daher erklärlich
finden, warum, wenn nur sogleich beim Austritt des Jungen
das Athemholen beginnt, es keinen nur irgend beträchtlichen
Blutfluß zur Folge hat, daß hier der stets sehr kurze Na-
belstrang entweder während dem Durchgange des Jungen zer-
reißt, oder auch die gesammte Nachgeburt gleich mit dem
Jungen zum Vorschein kommt, und dann der Nabelstrang
vom mütterlichen Thiere am Leibe des Jungen abgefressen
wird.

§. 944.

Es fehlt indeß auch keinesweges an Beispielen, wo auch
die unterlassene Unterbindung des Nabelstranges, selbst wenn
derselbe unmittelbar nach der Geburt getrennt worden war, dem
Neugeborenen nicht gefährlich wurde. Die Bedingungen,
unter welchen dieß Statt finden kann, sind folgende: 1) wenn
das Kind recht vollkommen ausgetragen und kräftig ist, wo
die Selbstständigkeit des Kindes schon mehr ausgebildet, und
die Placenta weniger zur Lebensdauer des Kindes nothwendig,
auch die Trennung des Nabelstranges bereits durch einen
rothen Streif an seiner Insertionsstelle angedeutet ist. 2)
Wenn sogleich nach der Geburt und vor der Trennung des
Nabelstranges lebhafte mit kräftigem Schreien begleitete Re-
spiration Statt gefunden hat. 3) Wenn das Kind nicht
durch Binden, Kleider und Betten eingehüllt ist, vielmehr
Brust und Unterleib sich frei ausdehnen können, und somit
das Blut nicht veranlaßt wird, seine frühere Richtung länger
fortzusetzen; sondern mit Macht gegen die Lungen getrieben
wird. 4) Wo das Kind einer kältern Temperatur ausgesetzt
war, und schon dadurch der Trieb des Blutes gegen die
Peripherie beschränkt wird. 5) Wo der Nabelstrang endlich
mehr in der Mitte seiner Länge, durch Dehnung und Zer-
reißung sich theilt, wird gewöhnlich die Blutung weit gerin-
ger seyn, als da wo er am Unterleibe sich abtrennt.

§. 945.

Ist nun das lebende Kind von der Mutter entbunden
und getrennt, so wird es zu seiner Reinigung von Blut,

borenen Kinde. Beides zuſammen laͤßt es daher erklaͤrlich
finden, warum, wenn nur ſogleich beim Austritt des Jungen
das Athemholen beginnt, es keinen nur irgend betraͤchtlichen
Blutfluß zur Folge hat, daß hier der ſtets ſehr kurze Na-
belſtrang entweder waͤhrend dem Durchgange des Jungen zer-
reißt, oder auch die geſammte Nachgeburt gleich mit dem
Jungen zum Vorſchein kommt, und dann der Nabelſtrang
vom muͤtterlichen Thiere am Leibe des Jungen abgefreſſen
wird.

§. 944.

Es fehlt indeß auch keinesweges an Beiſpielen, wo auch
die unterlaſſene Unterbindung des Nabelſtranges, ſelbſt wenn
derſelbe unmittelbar nach der Geburt getrennt worden war, dem
Neugeborenen nicht gefaͤhrlich wurde. Die Bedingungen,
unter welchen dieß Statt finden kann, ſind folgende: 1) wenn
das Kind recht vollkommen ausgetragen und kraͤftig iſt, wo
die Selbſtſtaͤndigkeit des Kindes ſchon mehr ausgebildet, und
die Placenta weniger zur Lebensdauer des Kindes nothwendig,
auch die Trennung des Nabelſtranges bereits durch einen
rothen Streif an ſeiner Inſertionsſtelle angedeutet iſt. 2)
Wenn ſogleich nach der Geburt und vor der Trennung des
Nabelſtranges lebhafte mit kraͤftigem Schreien begleitete Re-
ſpiration Statt gefunden hat. 3) Wenn das Kind nicht
durch Binden, Kleider und Betten eingehuͤllt iſt, vielmehr
Bruſt und Unterleib ſich frei ausdehnen koͤnnen, und ſomit
das Blut nicht veranlaßt wird, ſeine fruͤhere Richtung laͤnger
fortzuſetzen; ſondern mit Macht gegen die Lungen getrieben
wird. 4) Wo das Kind einer kaͤltern Temperatur ausgeſetzt
war, und ſchon dadurch der Trieb des Blutes gegen die
Peripherie beſchraͤnkt wird. 5) Wo der Nabelſtrang endlich
mehr in der Mitte ſeiner Laͤnge, durch Dehnung und Zer-
reißung ſich theilt, wird gewoͤhnlich die Blutung weit gerin-
ger ſeyn, als da wo er am Unterleibe ſich abtrennt.

§. 945.

Iſt nun das lebende Kind von der Mutter entbunden
und getrennt, ſo wird es zu ſeiner Reinigung von Blut,

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[182/0206] borenen Kinde. Beides zuſammen laͤßt es daher erklaͤrlich finden, warum, wenn nur ſogleich beim Austritt des Jungen das Athemholen beginnt, es keinen nur irgend betraͤchtlichen Blutfluß zur Folge hat, daß hier der ſtets ſehr kurze Na- belſtrang entweder waͤhrend dem Durchgange des Jungen zer- reißt, oder auch die geſammte Nachgeburt gleich mit dem Jungen zum Vorſchein kommt, und dann der Nabelſtrang vom muͤtterlichen Thiere am Leibe des Jungen abgefreſſen wird. §. 944. Es fehlt indeß auch keinesweges an Beiſpielen, wo auch die unterlaſſene Unterbindung des Nabelſtranges, ſelbſt wenn derſelbe unmittelbar nach der Geburt getrennt worden war, dem Neugeborenen nicht gefaͤhrlich wurde. Die Bedingungen, unter welchen dieß Statt finden kann, ſind folgende: 1) wenn das Kind recht vollkommen ausgetragen und kraͤftig iſt, wo die Selbſtſtaͤndigkeit des Kindes ſchon mehr ausgebildet, und die Placenta weniger zur Lebensdauer des Kindes nothwendig, auch die Trennung des Nabelſtranges bereits durch einen rothen Streif an ſeiner Inſertionsſtelle angedeutet iſt. 2) Wenn ſogleich nach der Geburt und vor der Trennung des Nabelſtranges lebhafte mit kraͤftigem Schreien begleitete Re- ſpiration Statt gefunden hat. 3) Wenn das Kind nicht durch Binden, Kleider und Betten eingehuͤllt iſt, vielmehr Bruſt und Unterleib ſich frei ausdehnen koͤnnen, und ſomit das Blut nicht veranlaßt wird, ſeine fruͤhere Richtung laͤnger fortzuſetzen; ſondern mit Macht gegen die Lungen getrieben wird. 4) Wo das Kind einer kaͤltern Temperatur ausgeſetzt war, und ſchon dadurch der Trieb des Blutes gegen die Peripherie beſchraͤnkt wird. 5) Wo der Nabelſtrang endlich mehr in der Mitte ſeiner Laͤnge, durch Dehnung und Zer- reißung ſich theilt, wird gewoͤhnlich die Blutung weit gerin- ger ſeyn, als da wo er am Unterleibe ſich abtrennt. §. 945. Iſt nun das lebende Kind von der Mutter entbunden und getrennt, ſo wird es zu ſeiner Reinigung von Blut,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/206>, abgerufen am 25.11.2024.