Die Behandlung wird bei dem ersten Grade der Verengerung zunächst exspektativ seyn, man wird die Geburts- thätigkeit unterstützen und auf Lage des Kopfs und allgemei- nes Befinden Rücksicht nehmen. -- So lange man hierbei allmähliges Vorrücken des Kopfs bemerkt, wird man das Ein- greifen künstlicher Hülfe vermeiden, da auch die vorsichtigste nie so wohlthätig für das Kind, als die natürliche Geburts- kraft wirken kann. Dabei hüte man sich jedoch das bloße Zunehmen der Kopfgeschwulst für wirkliches Vorrücken des ganzen Kopfes zu nehmen. Tritt indeß wirklicher Stillstand und Einkeilung ein, so wird gewöhnlich das Anlegen der Ge- burtszange unumgänglich nothwendig, und zwar um so frü- her, je mehr der Ort der Einkeilung, ihre Heftigkeit, oder an- derweitige Umstände dem Leben des Kindes Gefahr drohen.
§. 1422.
Der zweite Grad der Beckenenge ist der wo die Conjugata (oder überhaupt der kleinste Durchmesser) nur 3 1/4 bis 2 3/4 Zoll hält. Hier erfolgt die Geburt eines regelmäßig genährten ausgetragenen Kindes schon in der Regel ohne Beihülfe der Kunst durchaus nicht; es entstehen die heftigsten Einkeilungen, der Kopf kann hierbei, durch die bloße Geburts- kraft eingezwängt, Fissuren der Schädelknochen, *) tiefe Ein- drücke am Promontorio**) erleiden, und die Geburt eines lebenden Kindes (dafern es nicht sehr klein ist) kann, so- bald die Conjugata auf 3 Zoll verengert ist, gewöhnlich auch durch die Kunst kaum bewerkstelligt werden. Die Mutter aber setzen Geburten dieser Art der Gefahr der Quetschung und Entzündung des Uterus, ja der Zerreißung desselben aus.
*) S. darüber Hirt de Cranii neonatorum fissuris.
**) Diese Eindrücke sind übrigens nicht immer tödtlich, wie mir vor- züglich ein sehr bedeutender Fall dieser Art bewiesen hat.
§. 1421.
Die Behandlung wird bei dem erſten Grade der Verengerung zunaͤchſt exſpektativ ſeyn, man wird die Geburts- thaͤtigkeit unterſtuͤtzen und auf Lage des Kopfs und allgemei- nes Befinden Ruͤckſicht nehmen. — So lange man hierbei allmaͤhliges Vorruͤcken des Kopfs bemerkt, wird man das Ein- greifen kuͤnſtlicher Huͤlfe vermeiden, da auch die vorſichtigſte nie ſo wohlthaͤtig fuͤr das Kind, als die natuͤrliche Geburts- kraft wirken kann. Dabei huͤte man ſich jedoch das bloße Zunehmen der Kopfgeſchwulſt fuͤr wirkliches Vorruͤcken des ganzen Kopfes zu nehmen. Tritt indeß wirklicher Stillſtand und Einkeilung ein, ſo wird gewoͤhnlich das Anlegen der Ge- burtszange unumgaͤnglich nothwendig, und zwar um ſo fruͤ- her, je mehr der Ort der Einkeilung, ihre Heftigkeit, oder an- derweitige Umſtaͤnde dem Leben des Kindes Gefahr drohen.
§. 1422.
Der zweite Grad der Beckenenge iſt der wo die Conjugata (oder uͤberhaupt der kleinſte Durchmeſſer) nur 3 ¼ bis 2 ¾ Zoll haͤlt. Hier erfolgt die Geburt eines regelmaͤßig genaͤhrten ausgetragenen Kindes ſchon in der Regel ohne Beihuͤlfe der Kunſt durchaus nicht; es entſtehen die heftigſten Einkeilungen, der Kopf kann hierbei, durch die bloße Geburts- kraft eingezwaͤngt, Fiſſuren der Schaͤdelknochen, *) tiefe Ein- druͤcke am Promontorio**) erleiden, und die Geburt eines lebenden Kindes (dafern es nicht ſehr klein iſt) kann, ſo- bald die Conjugata auf 3 Zoll verengert iſt, gewoͤhnlich auch durch die Kunſt kaum bewerkſtelligt werden. Die Mutter aber ſetzen Geburten dieſer Art der Gefahr der Quetſchung und Entzuͤndung des Uterus, ja der Zerreißung deſſelben aus.
*) S. daruͤber Hirt de Cranii neonatorum fissuris.
**) Dieſe Eindruͤcke ſind uͤbrigens nicht immer toͤdtlich, wie mir vor- zuͤglich ein ſehr bedeutender Fall dieſer Art bewieſen hat.
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§. 1421.
Die Behandlung wird bei dem erſten Grade der
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thaͤtigkeit unterſtuͤtzen und auf Lage des Kopfs und allgemei-
nes Befinden Ruͤckſicht nehmen. — So lange man hierbei
allmaͤhliges Vorruͤcken des Kopfs bemerkt, wird man das Ein-
greifen kuͤnſtlicher Huͤlfe vermeiden, da auch die vorſichtigſte
nie ſo wohlthaͤtig fuͤr das Kind, als die natuͤrliche Geburts-
kraft wirken kann. Dabei huͤte man ſich jedoch das bloße
Zunehmen der Kopfgeſchwulſt fuͤr wirkliches Vorruͤcken des
ganzen Kopfes zu nehmen. Tritt indeß wirklicher Stillſtand
und Einkeilung ein, ſo wird gewoͤhnlich das Anlegen der Ge-
burtszange unumgaͤnglich nothwendig, und zwar um ſo fruͤ-
her, je mehr der Ort der Einkeilung, ihre Heftigkeit, oder an-
derweitige Umſtaͤnde dem Leben des Kindes Gefahr drohen.
§. 1422.
Der zweite Grad der Beckenenge iſt der wo die
Conjugata (oder uͤberhaupt der kleinſte Durchmeſſer) nur 3 ¼
bis 2 ¾ Zoll haͤlt. Hier erfolgt die Geburt eines regelmaͤßig
genaͤhrten ausgetragenen Kindes ſchon in der Regel ohne
Beihuͤlfe der Kunſt durchaus nicht; es entſtehen die heftigſten
Einkeilungen, der Kopf kann hierbei, durch die bloße Geburts-
kraft eingezwaͤngt, Fiſſuren der Schaͤdelknochen, *) tiefe Ein-
druͤcke am Promontorio **) erleiden, und die Geburt eines
lebenden Kindes (dafern es nicht ſehr klein iſt) kann, ſo-
bald die Conjugata auf 3 Zoll verengert iſt, gewoͤhnlich auch
durch die Kunſt kaum bewerkſtelligt werden. Die Mutter aber
ſetzen Geburten dieſer Art der Gefahr der Quetſchung und
Entzuͤndung des Uterus, ja der Zerreißung deſſelben aus.
*) S. daruͤber Hirt de Cranii neonatorum fissuris.
**) Dieſe Eindruͤcke ſind uͤbrigens nicht immer toͤdtlich, wie mir vor-
zuͤglich ein ſehr bedeutender Fall dieſer Art bewieſen hat.
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Carus, Carl Gustav: Lehrbuch der Gynäkologie. Bd. 2. Leipzig, 1820, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_gynaekologie02_1820/485>, abgerufen am 22.11.2024.
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