Wärme, und mit Nothwendigkeit, so wie der rechte Wärme¬ grad einwirkt, komme er vom mütterlichen Thiere oder von der Brutmaschine, schießen die Zellen in der Keimfläche an, entstehen Auflösungen und Neubildungen, kreisen die Säfte, zucken die Herzmuskeln und bildet sich nach und nach das ganze noch seelenlose Geschöpf -- noch immer allein der Nothwendigkeit gehorchend. Erst wenn die Bildung nun bis auf eine gewisse Höhe gelangt ist, wenn das Nervensystem sich mehr consolidirt hat, und wenn die Hülle gesprengt ist, welche den Verkehr mit einem größern Kreise der Außenwelt hinderte, tritt zwischen Ein¬ wirkung und Gegenwirkung ein Neues auf -- wir nennen es Gefühl, in seiner ersten unbestimmtesten Form Ge¬ meingefühl; und so wie dieses dritte, mittlere, zwi¬ schen einem Aufnehmen von Außen, und Reagiren gegen ein Aeußeres, sich entwickelt hat, hört die unbedingte Nothwendigkeit aller Lebenserscheinungen auf, und in der zunächst vom Nervensystem bestimmten Region ist es nun, allwo zum ersten Male sich eine gewisse Unab¬ hängigkeit geltend macht, wo nun ein inneres Princip mit einer gewissen Selbstständigkeit auftritt, an welchem gleich¬ sam gemessen wird, ob die Einwirkung die Gegenwirkung zur Folge haben solle oder nicht. Von nun an ist es nicht mehr unbedingt nothwendig, daß der Einwirkung die Ge¬ genwirkung vollkommen entspreche; eine kleine Einwirkung kann eine starke Gegenwirkung zur Folge haben und um¬ gekehrt; ein mittleres Bestimmendes ist aufgetreten -- die Idee dieses Daseins hat gewissermaßen nun erst eine Re¬ präsentation, eine gewisse unmittelbare Geltung in der äußern Erscheinung erlangt. Dieser Anfangspunkt des Bewußtseins, dieser Punkt der ersten unmittelbaren Mani¬ festation der Seele, er ist es, welcher mit der größten Aufmerksamkeit ins Auge gefaßt werden muß, wenn uns die Entfaltung des Seelenlebens deutlich werden soll; hier liegt das Urphänomen aller dieser Vorgänge, und
Wärme, und mit Nothwendigkeit, ſo wie der rechte Wärme¬ grad einwirkt, komme er vom mütterlichen Thiere oder von der Brutmaſchine, ſchießen die Zellen in der Keimfläche an, entſtehen Auflöſungen und Neubildungen, kreiſen die Säfte, zucken die Herzmuskeln und bildet ſich nach und nach das ganze noch ſeelenloſe Geſchöpf — noch immer allein der Nothwendigkeit gehorchend. Erſt wenn die Bildung nun bis auf eine gewiſſe Höhe gelangt iſt, wenn das Nervenſyſtem ſich mehr conſolidirt hat, und wenn die Hülle geſprengt iſt, welche den Verkehr mit einem größern Kreiſe der Außenwelt hinderte, tritt zwiſchen Ein¬ wirkung und Gegenwirkung ein Neues auf — wir nennen es Gefühl, in ſeiner erſten unbeſtimmteſten Form Ge¬ meingefühl; und ſo wie dieſes dritte, mittlere, zwi¬ ſchen einem Aufnehmen von Außen, und Reagiren gegen ein Aeußeres, ſich entwickelt hat, hört die unbedingte Nothwendigkeit aller Lebenserſcheinungen auf, und in der zunächſt vom Nervenſyſtem beſtimmten Region iſt es nun, allwo zum erſten Male ſich eine gewiſſe Unab¬ hängigkeit geltend macht, wo nun ein inneres Princip mit einer gewiſſen Selbſtſtändigkeit auftritt, an welchem gleich¬ ſam gemeſſen wird, ob die Einwirkung die Gegenwirkung zur Folge haben ſolle oder nicht. Von nun an iſt es nicht mehr unbedingt nothwendig, daß der Einwirkung die Ge¬ genwirkung vollkommen entſpreche; eine kleine Einwirkung kann eine ſtarke Gegenwirkung zur Folge haben und um¬ gekehrt; ein mittleres Beſtimmendes iſt aufgetreten — die Idee dieſes Daſeins hat gewiſſermaßen nun erſt eine Re¬ präſentation, eine gewiſſe unmittelbare Geltung in der äußern Erſcheinung erlangt. Dieſer Anfangspunkt des Bewußtſeins, dieſer Punkt der erſten unmittelbaren Mani¬ feſtation der Seele, er iſt es, welcher mit der größten Aufmerkſamkeit ins Auge gefaßt werden muß, wenn uns die Entfaltung des Seelenlebens deutlich werden ſoll; hier liegt das Urphänomen aller dieſer Vorgänge, und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0133"n="117"/>
Wärme, und mit Nothwendigkeit, ſo wie der rechte Wärme¬<lb/>
grad einwirkt, komme er vom mütterlichen Thiere oder von<lb/>
der Brutmaſchine, ſchießen die Zellen in der Keimfläche<lb/>
an, entſtehen Auflöſungen und Neubildungen, kreiſen die<lb/>
Säfte, zucken die Herzmuskeln und bildet ſich nach und<lb/>
nach das ganze noch ſeelenloſe Geſchöpf — noch immer<lb/>
allein <hirendition="#g">der Nothwendigkeit</hi> gehorchend. Erſt wenn die<lb/>
Bildung nun bis auf eine gewiſſe Höhe gelangt iſt, wenn<lb/><hirendition="#g">das Nervenſyſtem</hi>ſich mehr conſolidirt hat, und wenn<lb/>
die Hülle geſprengt iſt, welche den Verkehr mit einem<lb/>
größern Kreiſe der Außenwelt hinderte, tritt zwiſchen Ein¬<lb/>
wirkung und Gegenwirkung <hirendition="#g">ein Neues</hi> auf — wir nennen<lb/>
es <hirendition="#g">Gefühl</hi>, in ſeiner erſten unbeſtimmteſten Form <hirendition="#g">Ge¬<lb/>
meingefühl</hi>; und ſo wie dieſes dritte, mittlere, <hirendition="#g">zwi¬<lb/>ſchen</hi> einem Aufnehmen von Außen, und Reagiren gegen<lb/>
ein Aeußeres, ſich entwickelt hat, hört die <hirendition="#g">unbedingte<lb/>
Nothwendigkeit</hi> aller Lebenserſcheinungen auf, und in<lb/>
der zunächſt vom Nervenſyſtem beſtimmten Region iſt es<lb/>
nun, allwo <hirendition="#g">zum erſten Male</hi>ſich eine gewiſſe Unab¬<lb/>
hängigkeit geltend macht, wo nun ein inneres Princip mit<lb/>
einer gewiſſen Selbſtſtändigkeit auftritt, an welchem gleich¬<lb/>ſam gemeſſen wird, ob die Einwirkung die Gegenwirkung<lb/>
zur Folge haben ſolle oder nicht. Von nun an iſt es nicht<lb/>
mehr unbedingt nothwendig, daß der Einwirkung die Ge¬<lb/>
genwirkung vollkommen entſpreche; eine kleine Einwirkung<lb/>
kann eine ſtarke Gegenwirkung zur Folge haben und um¬<lb/>
gekehrt; ein mittleres Beſtimmendes iſt aufgetreten — die<lb/>
Idee dieſes Daſeins hat gewiſſermaßen nun erſt eine Re¬<lb/>
präſentation, eine gewiſſe unmittelbare Geltung in der<lb/>
äußern Erſcheinung erlangt. Dieſer Anfangspunkt des<lb/>
Bewußtſeins, dieſer Punkt der erſten unmittelbaren Mani¬<lb/>
feſtation der Seele, er iſt es, welcher mit der größten<lb/>
Aufmerkſamkeit ins Auge gefaßt werden muß, wenn uns<lb/>
die Entfaltung des Seelenlebens deutlich werden ſoll; <hirendition="#g">hier<lb/>
liegt das Urphänomen</hi> aller dieſer Vorgänge, und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[117/0133]
Wärme, und mit Nothwendigkeit, ſo wie der rechte Wärme¬
grad einwirkt, komme er vom mütterlichen Thiere oder von
der Brutmaſchine, ſchießen die Zellen in der Keimfläche
an, entſtehen Auflöſungen und Neubildungen, kreiſen die
Säfte, zucken die Herzmuskeln und bildet ſich nach und
nach das ganze noch ſeelenloſe Geſchöpf — noch immer
allein der Nothwendigkeit gehorchend. Erſt wenn die
Bildung nun bis auf eine gewiſſe Höhe gelangt iſt, wenn
das Nervenſyſtem ſich mehr conſolidirt hat, und wenn
die Hülle geſprengt iſt, welche den Verkehr mit einem
größern Kreiſe der Außenwelt hinderte, tritt zwiſchen Ein¬
wirkung und Gegenwirkung ein Neues auf — wir nennen
es Gefühl, in ſeiner erſten unbeſtimmteſten Form Ge¬
meingefühl; und ſo wie dieſes dritte, mittlere, zwi¬
ſchen einem Aufnehmen von Außen, und Reagiren gegen
ein Aeußeres, ſich entwickelt hat, hört die unbedingte
Nothwendigkeit aller Lebenserſcheinungen auf, und in
der zunächſt vom Nervenſyſtem beſtimmten Region iſt es
nun, allwo zum erſten Male ſich eine gewiſſe Unab¬
hängigkeit geltend macht, wo nun ein inneres Princip mit
einer gewiſſen Selbſtſtändigkeit auftritt, an welchem gleich¬
ſam gemeſſen wird, ob die Einwirkung die Gegenwirkung
zur Folge haben ſolle oder nicht. Von nun an iſt es nicht
mehr unbedingt nothwendig, daß der Einwirkung die Ge¬
genwirkung vollkommen entſpreche; eine kleine Einwirkung
kann eine ſtarke Gegenwirkung zur Folge haben und um¬
gekehrt; ein mittleres Beſtimmendes iſt aufgetreten — die
Idee dieſes Daſeins hat gewiſſermaßen nun erſt eine Re¬
präſentation, eine gewiſſe unmittelbare Geltung in der
äußern Erſcheinung erlangt. Dieſer Anfangspunkt des
Bewußtſeins, dieſer Punkt der erſten unmittelbaren Mani¬
feſtation der Seele, er iſt es, welcher mit der größten
Aufmerkſamkeit ins Auge gefaßt werden muß, wenn uns
die Entfaltung des Seelenlebens deutlich werden ſoll; hier
liegt das Urphänomen aller dieſer Vorgänge, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/133>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.