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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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daß bei der Ausführung desselben häufig eine Art von
Ueberlegung, eine gewisse Wahl, ein gewisses Geschick in
Ueberwindung vorhandner Schwierigkeiten sichtbar wird.
Es ist, als ob das unbewußte ursprüngliche Können
zuweilen den Schein annähme, als wenn es sich zum Be¬
wußtsein
erheben wollte; etwa so wie es bei dem Aus¬
üben eines bewußten Wollens (wie früher gezeigt wurde)
allerdings wirklich das Höchste ist, wenn dieses Können
wieder ganz unbewußt wird. Fälle eines solchen her¬
vortretenden Scheinbewußtseins sind es, wenn z. B. die
Spinne schon den Ort für ihre Netzanlage mit Umsicht
auszusuchen bemüht ist, sie spannt die Fäden so oder so,
je nachdem die vorhandene Oertlichkeit es fordert, ja wenn
es nach abwärts dem Rade an Spannung fehlt, so be¬
festigt sie wohl, wie Weber einst beobachtete, ein Stein¬
chen an einen herabhängenden Faden. Eben so wählen die
Bienen, die Wespen, die Ameisen, die Vögel die Orte für
die Anlegung ihrer Waben und Nester, und umgehen dabei
mit scheinbarem Geschick manche entgegentretende Schwierig¬
keit. Nichts desto weniger findet sich hierin nicht mehr ein
Beleg für den etwa bereits frei gewordnen Geist als in
hundert ähnlichen Zügen im Leben der Pflanzen. Man
untersuche einen an einer Mauer aufkletternden Epheu, man
bemerke, wie die feinen Wurzelfäserchen der Ranken schein¬
bar-sorgfältig jede kleine Rauhigkeit aufsuchen und für ihr
Haften benutzen, man gebe Acht, wie ein aufschießender
Pflanzenkeim, scheinbar absichtlich sich biegend, einem Steine
ausweicht, wie er ein morsches Holz, wohl durch eine auf¬
gefundne Spalte sich zwängend, aus einander sprengt, man
verfolge die Richtung der Wurzeln, wie sie scheinen ab¬
sichtlich Feuchtigkeit aufzusuchen, indem sie nur dorthin sich
verlängern, wo Wasser im Boden zu finden ist, ja man
beachte viele der Züge unsers eignen unbewußten Lebens,
wenn dessen eigenthümliche Thätigkeit Wunden heilt, Extra¬
vasate aufsaugt u. s. w., und in diesem Allen wird man

daß bei der Ausführung deſſelben häufig eine Art von
Ueberlegung, eine gewiſſe Wahl, ein gewiſſes Geſchick in
Ueberwindung vorhandner Schwierigkeiten ſichtbar wird.
Es iſt, als ob das unbewußte urſprüngliche Können
zuweilen den Schein annähme, als wenn es ſich zum Be¬
wußtſein
erheben wollte; etwa ſo wie es bei dem Aus¬
üben eines bewußten Wollens (wie früher gezeigt wurde)
allerdings wirklich das Höchſte iſt, wenn dieſes Können
wieder ganz unbewußt wird. Fälle eines ſolchen her¬
vortretenden Scheinbewußtſeins ſind es, wenn z. B. die
Spinne ſchon den Ort für ihre Netzanlage mit Umſicht
auszuſuchen bemüht iſt, ſie ſpannt die Fäden ſo oder ſo,
je nachdem die vorhandene Oertlichkeit es fordert, ja wenn
es nach abwärts dem Rade an Spannung fehlt, ſo be¬
feſtigt ſie wohl, wie Weber einſt beobachtete, ein Stein¬
chen an einen herabhängenden Faden. Eben ſo wählen die
Bienen, die Weſpen, die Ameiſen, die Vögel die Orte für
die Anlegung ihrer Waben und Neſter, und umgehen dabei
mit ſcheinbarem Geſchick manche entgegentretende Schwierig¬
keit. Nichts deſto weniger findet ſich hierin nicht mehr ein
Beleg für den etwa bereits frei gewordnen Geiſt als in
hundert ähnlichen Zügen im Leben der Pflanzen. Man
unterſuche einen an einer Mauer aufkletternden Epheu, man
bemerke, wie die feinen Wurzelfäſerchen der Ranken ſchein¬
bar-ſorgfältig jede kleine Rauhigkeit aufſuchen und für ihr
Haften benutzen, man gebe Acht, wie ein aufſchießender
Pflanzenkeim, ſcheinbar abſichtlich ſich biegend, einem Steine
ausweicht, wie er ein morſches Holz, wohl durch eine auf¬
gefundne Spalte ſich zwängend, aus einander ſprengt, man
verfolge die Richtung der Wurzeln, wie ſie ſcheinen ab¬
ſichtlich Feuchtigkeit aufzuſuchen, indem ſie nur dorthin ſich
verlängern, wo Waſſer im Boden zu finden iſt, ja man
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[127/0143] daß bei der Ausführung deſſelben häufig eine Art von Ueberlegung, eine gewiſſe Wahl, ein gewiſſes Geſchick in Ueberwindung vorhandner Schwierigkeiten ſichtbar wird. Es iſt, als ob das unbewußte urſprüngliche Können zuweilen den Schein annähme, als wenn es ſich zum Be¬ wußtſein erheben wollte; etwa ſo wie es bei dem Aus¬ üben eines bewußten Wollens (wie früher gezeigt wurde) allerdings wirklich das Höchſte iſt, wenn dieſes Können wieder ganz unbewußt wird. Fälle eines ſolchen her¬ vortretenden Scheinbewußtſeins ſind es, wenn z. B. die Spinne ſchon den Ort für ihre Netzanlage mit Umſicht auszuſuchen bemüht iſt, ſie ſpannt die Fäden ſo oder ſo, je nachdem die vorhandene Oertlichkeit es fordert, ja wenn es nach abwärts dem Rade an Spannung fehlt, ſo be¬ feſtigt ſie wohl, wie Weber einſt beobachtete, ein Stein¬ chen an einen herabhängenden Faden. Eben ſo wählen die Bienen, die Weſpen, die Ameiſen, die Vögel die Orte für die Anlegung ihrer Waben und Neſter, und umgehen dabei mit ſcheinbarem Geſchick manche entgegentretende Schwierig¬ keit. Nichts deſto weniger findet ſich hierin nicht mehr ein Beleg für den etwa bereits frei gewordnen Geiſt als in hundert ähnlichen Zügen im Leben der Pflanzen. Man unterſuche einen an einer Mauer aufkletternden Epheu, man bemerke, wie die feinen Wurzelfäſerchen der Ranken ſchein¬ bar-ſorgfältig jede kleine Rauhigkeit aufſuchen und für ihr Haften benutzen, man gebe Acht, wie ein aufſchießender Pflanzenkeim, ſcheinbar abſichtlich ſich biegend, einem Steine ausweicht, wie er ein morſches Holz, wohl durch eine auf¬ gefundne Spalte ſich zwängend, aus einander ſprengt, man verfolge die Richtung der Wurzeln, wie ſie ſcheinen ab¬ ſichtlich Feuchtigkeit aufzuſuchen, indem ſie nur dorthin ſich verlängern, wo Waſſer im Boden zu finden iſt, ja man beachte viele der Züge unſers eignen unbewußten Lebens, wenn deſſen eigenthümliche Thätigkeit Wunden heilt, Extra¬ vaſate aufſaugt u. ſ. w., und in dieſem Allen wird man

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/143>, abgerufen am 21.11.2024.