zur Vernunft wird, von hier aus ist es zu erklären, daß eine große schaffende -- aber auch durch den Verstand ge¬ regelte und vor Irrthum bewahrte Phantasie, allezeit als die erste Bedingung einer höhern Vernunft und eines wahr¬ haft großen Geistes erkannt worden ist, und darum ist die verständige Thätigkeit des Geistes allein, nimmermehr im Stande zur Erkenntniß der höhern Einheit der Welt zu gelangen. Diese Betrachtungen geben, wenn wir ihnen etwas weiter nachgehen, die merkwürdigsten Aufschlüsse über die Entwicklung der verschiedenartigen Ansichten, die sich in der Menschheit von der höchsten Einheit aller Ideen -- von Gott -- erschlossen haben. Man gewahrt nämlich vielfältigst, daß vermöge eines gewissen Ueberspringens der regelmäßigen Fortschreitung in der Thätigkeit des Geistes, das was eigent¬ lich, wie alsbald näher zu erörtern sein wird, nur Gegen¬ stand der ganz gereiften Entwicklung der Vernunft sein kann, zuweilen schon erreicht werden, oder wenigstens an¬ gestrebt werden sollte durch die Phantasie allein, mit andern Worten, durch die im eigentlichen Sinne noch nicht ganz zur Vernunft gekommene Phantasie. Auf diese Weise wird dann die Idee des Göttlichen -- die Vorstellung von Gott -- gleichsam unreif zur Erkenntniß gebracht, und es ent¬ stehen die -- ich möchte sagen -- Mißgeburten des Gött¬ lichen -- die Fetische -- Götzen -- Götter -- alle erschaffen nach dem Maßstabe der Phantasie und des Verstandes, und der heller oder dunkler aufdämmernden Vernunft noch geistig unreifer Individuen. Man könnte ohne Zweifel von diesem Standpunkt aus eine eigne Stufenleiter der Religionen verfolgen; denn wenn im Steinklumpen, den der Wilde als Gott verehrt, die ungeheure Lücke, welche gegenüber der Allheit hier besteht und welche ein geringerer Verstand nicht als solche erkennt, durch eine kindische Phantasie doch irgend¬ wie ausgefüllt und completirt wird, wobei freilich von Gott nur ein monströses Bild entstehen kann, so ist doch auch die menschliche Bildung und die Art von menschlich-persön¬
zur Vernunft wird, von hier aus iſt es zu erklären, daß eine große ſchaffende — aber auch durch den Verſtand ge¬ regelte und vor Irrthum bewahrte Phantaſie, allezeit als die erſte Bedingung einer höhern Vernunft und eines wahr¬ haft großen Geiſtes erkannt worden iſt, und darum iſt die verſtändige Thätigkeit des Geiſtes allein, nimmermehr im Stande zur Erkenntniß der höhern Einheit der Welt zu gelangen. Dieſe Betrachtungen geben, wenn wir ihnen etwas weiter nachgehen, die merkwürdigſten Aufſchlüſſe über die Entwicklung der verſchiedenartigen Anſichten, die ſich in der Menſchheit von der höchſten Einheit aller Ideen — von Gott — erſchloſſen haben. Man gewahrt nämlich vielfältigſt, daß vermöge eines gewiſſen Ueberſpringens der regelmäßigen Fortſchreitung in der Thätigkeit des Geiſtes, das was eigent¬ lich, wie alsbald näher zu erörtern ſein wird, nur Gegen¬ ſtand der ganz gereiften Entwicklung der Vernunft ſein kann, zuweilen ſchon erreicht werden, oder wenigſtens an¬ geſtrebt werden ſollte durch die Phantaſie allein, mit andern Worten, durch die im eigentlichen Sinne noch nicht ganz zur Vernunft gekommene Phantaſie. Auf dieſe Weiſe wird dann die Idee des Göttlichen — die Vorſtellung von Gott — gleichſam unreif zur Erkenntniß gebracht, und es ent¬ ſtehen die — ich möchte ſagen — Mißgeburten des Gött¬ lichen — die Fetiſche — Götzen — Götter — alle erſchaffen nach dem Maßſtabe der Phantaſie und des Verſtandes, und der heller oder dunkler aufdämmernden Vernunft noch geiſtig unreifer Individuen. Man könnte ohne Zweifel von dieſem Standpunkt aus eine eigne Stufenleiter der Religionen verfolgen; denn wenn im Steinklumpen, den der Wilde als Gott verehrt, die ungeheure Lücke, welche gegenüber der Allheit hier beſteht und welche ein geringerer Verſtand nicht als ſolche erkennt, durch eine kindiſche Phantaſie doch irgend¬ wie ausgefüllt und completirt wird, wobei freilich von Gott nur ein monſtröſes Bild entſtehen kann, ſo iſt doch auch die menſchliche Bildung und die Art von menſchlich-perſön¬
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zur Vernunft wird, von hier aus iſt es zu erklären, daß
eine große ſchaffende — aber auch durch den Verſtand ge¬
regelte und vor Irrthum bewahrte Phantaſie, allezeit als
die erſte Bedingung einer höhern Vernunft und eines wahr¬
haft großen Geiſtes erkannt worden iſt, und darum iſt die
verſtändige Thätigkeit des Geiſtes allein, nimmermehr
im Stande zur Erkenntniß der höhern Einheit der Welt
zu gelangen. Dieſe Betrachtungen geben, wenn wir ihnen
etwas weiter nachgehen, die merkwürdigſten Aufſchlüſſe über
die Entwicklung der verſchiedenartigen Anſichten, die ſich in
der Menſchheit von der höchſten Einheit aller Ideen — von
Gott — erſchloſſen haben. Man gewahrt nämlich vielfältigſt,
daß vermöge eines gewiſſen Ueberſpringens der regelmäßigen
Fortſchreitung in der Thätigkeit des Geiſtes, das was eigent¬
lich, wie alsbald näher zu erörtern ſein wird, nur Gegen¬
ſtand der ganz gereiften Entwicklung der Vernunft ſein
kann, zuweilen ſchon erreicht werden, oder wenigſtens an¬
geſtrebt werden ſollte durch die Phantaſie allein, mit andern
Worten, durch die im eigentlichen Sinne noch nicht ganz
zur Vernunft gekommene Phantaſie. Auf dieſe Weiſe wird
dann die Idee des Göttlichen — die Vorſtellung von Gott —
gleichſam unreif zur Erkenntniß gebracht, und es ent¬
ſtehen die — ich möchte ſagen — Mißgeburten des Gött¬
lichen — die Fetiſche — Götzen — Götter — alle erſchaffen
nach dem Maßſtabe der Phantaſie und des Verſtandes, und
der heller oder dunkler aufdämmernden Vernunft noch geiſtig
unreifer Individuen. Man könnte ohne Zweifel von dieſem
Standpunkt aus eine eigne Stufenleiter der Religionen
verfolgen; denn wenn im Steinklumpen, den der Wilde
als Gott verehrt, die ungeheure Lücke, welche gegenüber der
Allheit hier beſteht und welche ein geringerer Verſtand nicht
als ſolche erkennt, durch eine kindiſche Phantaſie doch irgend¬
wie ausgefüllt und completirt wird, wobei freilich von Gott
nur ein monſtröſes Bild entſtehen kann, ſo iſt doch auch
die menſchliche Bildung und die Art von menſchlich-perſön¬
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 168. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/184>, abgerufen am 23.11.2024.
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