Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen in uns fort und ist immer noch die erste Bedingung unserer gesammten Lebenserscheinung. Die frühern Betrachtungen haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬ thum, Fortbildung nennen, nur besondere Strahlen sind, in welchen jenes Unbewußte sich bethätigt, und wenn sich jetzt von selbst ergibt, daß sonach auch diejenigen Bildungen, welche wir insbesondere als Bedingung des erwachenden Bewußtseins erkannten, d. i. das Nervensystem und Gehirn, gleich allem andern, nur durch dieses unbewußte Walten der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, so folgt schon daraus, wie sehr überhaupt Alles was wir bewußtes Seelenleben nennen dürfen, ganz wesentlich als durch das Unbewußte bedingt anzusehen ist.
Es wird nun aber eigentlich an die Wissenschaft die Aufgabe gestellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung anzuerkennen, sondern scharf im Einzelnen nachzuweisen durch welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die besondern Vorgänge des Bewußtseins sich namentlich be¬ dingt finden, oder mit andern Worten, welche physische Processe jenen psychischen Strahlungen eben so zum Grunde liegen, wie wir etwa von der Gesichtsempfindung nachzu¬ weisen im Stande sind, daß es nur höchst feine Umstim¬ mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils der Netzhaut des Auges seien, wodurch die Vorstellung des Sehens bedingt werde. Diesen Anforderungen kann indeß bis jetzt die Wissenschaft nur in einem gewissen be¬ schränkten Maße nachkommen, und es ist sehr die Frage, ob überhaupt hier jemals eine so vollkommne Schärfe er¬ reicht werden wird, wie sie in andern Zweigen der Physio¬ logie allerdings möglich ist. Jenes früher schon erwähnte Gesetz des Geheimnisses, gerade für die höchsten Aufgaben des Lebens, macht sich in diesem Bereiche ganz besonders geltend; was davon bis jetzt sich mit größerer Bestimmtheit hat feststellen lassen, möchte Folgendes sein.
Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen in uns fort und iſt immer noch die erſte Bedingung unſerer geſammten Lebenserſcheinung. Die frühern Betrachtungen haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬ thum, Fortbildung nennen, nur beſondere Strahlen ſind, in welchen jenes Unbewußte ſich bethätigt, und wenn ſich jetzt von ſelbſt ergibt, daß ſonach auch diejenigen Bildungen, welche wir insbeſondere als Bedingung des erwachenden Bewußtſeins erkannten, d. i. das Nervenſyſtem und Gehirn, gleich allem andern, nur durch dieſes unbewußte Walten der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, ſo folgt ſchon daraus, wie ſehr überhaupt Alles was wir bewußtes Seelenleben nennen dürfen, ganz weſentlich als durch das Unbewußte bedingt anzuſehen iſt.
Es wird nun aber eigentlich an die Wiſſenſchaft die Aufgabe geſtellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung anzuerkennen, ſondern ſcharf im Einzelnen nachzuweiſen durch welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die beſondern Vorgänge des Bewußtſeins ſich namentlich be¬ dingt finden, oder mit andern Worten, welche phyſiſche Proceſſe jenen pſychiſchen Strahlungen eben ſo zum Grunde liegen, wie wir etwa von der Geſichtsempfindung nachzu¬ weiſen im Stande ſind, daß es nur höchſt feine Umſtim¬ mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils der Netzhaut des Auges ſeien, wodurch die Vorſtellung des Sehens bedingt werde. Dieſen Anforderungen kann indeß bis jetzt die Wiſſenſchaft nur in einem gewiſſen be¬ ſchränkten Maße nachkommen, und es iſt ſehr die Frage, ob überhaupt hier jemals eine ſo vollkommne Schärfe er¬ reicht werden wird, wie ſie in andern Zweigen der Phyſio¬ logie allerdings möglich iſt. Jenes früher ſchon erwähnte Geſetz des Geheimniſſes, gerade für die höchſten Aufgaben des Lebens, macht ſich in dieſem Bereiche ganz beſonders geltend; was davon bis jetzt ſich mit größerer Beſtimmtheit hat feſtſtellen laſſen, möchte Folgendes ſein.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0190"n="174"/>
Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen<lb/>
in uns fort und iſt immer noch die erſte Bedingung unſerer<lb/>
geſammten Lebenserſcheinung. Die frühern Betrachtungen<lb/>
haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬<lb/>
thum, Fortbildung nennen, nur beſondere Strahlen ſind,<lb/>
in welchen jenes Unbewußte ſich bethätigt, und wenn ſich<lb/>
jetzt von ſelbſt ergibt, daß ſonach auch diejenigen Bildungen,<lb/>
welche wir insbeſondere als Bedingung des erwachenden<lb/>
Bewußtſeins erkannten, d. i. das Nervenſyſtem und Gehirn,<lb/>
gleich allem andern, nur durch dieſes unbewußte Walten<lb/>
der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, ſo folgt<lb/>ſchon daraus, wie ſehr überhaupt Alles was wir bewußtes<lb/>
Seelenleben nennen dürfen, ganz weſentlich als durch das<lb/>
Unbewußte bedingt anzuſehen iſt.</p><lb/><p>Es wird nun aber eigentlich an die Wiſſenſchaft die<lb/>
Aufgabe geſtellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung<lb/>
anzuerkennen, ſondern ſcharf im Einzelnen nachzuweiſen durch<lb/>
welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die<lb/>
beſondern Vorgänge des Bewußtſeins ſich namentlich be¬<lb/>
dingt finden, oder mit andern Worten, welche phyſiſche<lb/>
Proceſſe jenen pſychiſchen Strahlungen eben ſo zum Grunde<lb/>
liegen, wie wir etwa von der Geſichtsempfindung nachzu¬<lb/>
weiſen im Stande ſind, daß es nur höchſt feine Umſtim¬<lb/>
mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils<lb/>
der Netzhaut des Auges ſeien, wodurch die Vorſtellung<lb/>
des Sehens bedingt werde. Dieſen Anforderungen kann<lb/>
indeß bis jetzt die Wiſſenſchaft nur in einem gewiſſen be¬<lb/>ſchränkten Maße nachkommen, und es iſt ſehr die Frage,<lb/>
ob überhaupt hier jemals eine ſo vollkommne Schärfe er¬<lb/>
reicht werden wird, wie ſie in andern Zweigen der Phyſio¬<lb/>
logie allerdings möglich iſt. Jenes früher ſchon erwähnte<lb/><hirendition="#g">Geſetz des Geheimniſſes</hi>, gerade für die höchſten<lb/>
Aufgaben des Lebens, macht ſich in dieſem Bereiche ganz<lb/>
beſonders geltend; was davon bis jetzt ſich mit größerer<lb/>
Beſtimmtheit hat feſtſtellen laſſen, möchte Folgendes ſein.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[174/0190]
Allgemeines aber wohl als ein Partielles, immer im Stillen
in uns fort und iſt immer noch die erſte Bedingung unſerer
geſammten Lebenserſcheinung. Die frühern Betrachtungen
haben uns gezeigt, wie Alles was wir Ernährung, Wachs¬
thum, Fortbildung nennen, nur beſondere Strahlen ſind,
in welchen jenes Unbewußte ſich bethätigt, und wenn ſich
jetzt von ſelbſt ergibt, daß ſonach auch diejenigen Bildungen,
welche wir insbeſondere als Bedingung des erwachenden
Bewußtſeins erkannten, d. i. das Nervenſyſtem und Gehirn,
gleich allem andern, nur durch dieſes unbewußte Walten
der Idee in ihrer Integrität erhalten würden, ſo folgt
ſchon daraus, wie ſehr überhaupt Alles was wir bewußtes
Seelenleben nennen dürfen, ganz weſentlich als durch das
Unbewußte bedingt anzuſehen iſt.
Es wird nun aber eigentlich an die Wiſſenſchaft die
Aufgabe geſtellt, nicht bloß im Allgemeinen jene Bedingung
anzuerkennen, ſondern ſcharf im Einzelnen nachzuweiſen durch
welche Vorgänge auf der unbewußten Seite des Lebens die
beſondern Vorgänge des Bewußtſeins ſich namentlich be¬
dingt finden, oder mit andern Worten, welche phyſiſche
Proceſſe jenen pſychiſchen Strahlungen eben ſo zum Grunde
liegen, wie wir etwa von der Geſichtsempfindung nachzu¬
weiſen im Stande ſind, daß es nur höchſt feine Umſtim¬
mungen im Stande der Innervation eines kleinen Theils
der Netzhaut des Auges ſeien, wodurch die Vorſtellung
des Sehens bedingt werde. Dieſen Anforderungen kann
indeß bis jetzt die Wiſſenſchaft nur in einem gewiſſen be¬
ſchränkten Maße nachkommen, und es iſt ſehr die Frage,
ob überhaupt hier jemals eine ſo vollkommne Schärfe er¬
reicht werden wird, wie ſie in andern Zweigen der Phyſio¬
logie allerdings möglich iſt. Jenes früher ſchon erwähnte
Geſetz des Geheimniſſes, gerade für die höchſten
Aufgaben des Lebens, macht ſich in dieſem Bereiche ganz
beſonders geltend; was davon bis jetzt ſich mit größerer
Beſtimmtheit hat feſtſtellen laſſen, möchte Folgendes ſein.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/190>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.