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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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wie übermäßig heftige, die Innervation sogleich stört oder
ebenfalls aufhebt, und wir selbst können es empfinden, daß
unser Denken und gesammtes geistiges Leben in seiner In¬
tegrität nur dadurch bedingt wird, daß in reinem geregel¬
ten Gange der millionenfach zertheilte Blutstrom unser Hirn
durchzieht. -- Eine einzige Störung hierin und unsere Ge¬
danken verwirren sich, eine heftigere Störung, und das
Bewußtsein schwindet.

Dem der nun freilich ganz im Dunkel darüber ist,
daß jenes unbewußte Leben des Blutes auf demselben Gött¬
lichen ruht von welchem das bewußte Geistige bedingt ist,
dem muß in Wahrheiten dieser Art allemal eine furchtbare
Abhängigkeit dieses Geistigen von jenem unbekannten Etwas,
was er Lebenskraft oder schlechthin Leibliches nennt, er¬
scheinen, eben weil er ja dann immerhin das Höchste und
Reichste in sich an das Niedrigste und Materiellste gebunden
zu denken hat. 1 Ist uns hingegen deutlich geworden, daß
wie das Bewußte so auch das Unbewußte in uns auf einem
und demselben Göttlichen, auf einer und derselben Idee
ruht und nur dadurch bedingt wird, so treten uns jene
Beziehungen in ganz andrer Weise im Geiste entgegen,
wir fühlen uns überall auf höherem göttlichen Grunde, und
sehen uns in jeder Beziehung erhoben und beruhigt.

Folgen wir jedoch zunächst weiter den Beziehungen
des Blutlebens zur Innervation des Hirns, so finden wir
bald, daß so wie alle organische Vorgänge an einen ge¬
wissen Rhythmus gebunden sind, dieser Rhythmus auch in

1 Wie ich schon früher einmal bemerke, ist in dieser Beziehung bis
auf die neueste Zeit sonderbar genug mit dem Unbewußten in uns ver¬
fahren worden! -- Ganz verkennend dessen eigenthümliche innere Weis¬
heit und Schönheit, hat man es unter dem Namen des Leiblichen schlecht¬
hin -- gleichsam als ein Verderbliches -- Erz-Böses -- dem Bewußten
als gleichsam dem allein rein Göttlichen gegenüber gestellt; und wenn es
die Aufgabe einer ächten Asketik wird zu sorgen, daß Unbewußtes wie
Bewußtes nur auf schöne Weise sich darlebe, so wurde es vielfach
die Aufgabe falscher asketischer Bestrebungen, das Unbewußte zu verderben
und elend zu machen, wobei dann freilich auch das Bewußte nothwendig
zu Schaden kommen mußte.

wie übermäßig heftige, die Innervation ſogleich ſtört oder
ebenfalls aufhebt, und wir ſelbſt können es empfinden, daß
unſer Denken und geſammtes geiſtiges Leben in ſeiner In¬
tegrität nur dadurch bedingt wird, daß in reinem geregel¬
ten Gange der millionenfach zertheilte Blutſtrom unſer Hirn
durchzieht. — Eine einzige Störung hierin und unſere Ge¬
danken verwirren ſich, eine heftigere Störung, und das
Bewußtſein ſchwindet.

Dem der nun freilich ganz im Dunkel darüber iſt,
daß jenes unbewußte Leben des Blutes auf demſelben Gött¬
lichen ruht von welchem das bewußte Geiſtige bedingt iſt,
dem muß in Wahrheiten dieſer Art allemal eine furchtbare
Abhängigkeit dieſes Geiſtigen von jenem unbekannten Etwas,
was er Lebenskraft oder ſchlechthin Leibliches nennt, er¬
ſcheinen, eben weil er ja dann immerhin das Höchſte und
Reichſte in ſich an das Niedrigſte und Materiellſte gebunden
zu denken hat. 1 Iſt uns hingegen deutlich geworden, daß
wie das Bewußte ſo auch das Unbewußte in uns auf einem
und demſelben Göttlichen, auf einer und derſelben Idee
ruht und nur dadurch bedingt wird, ſo treten uns jene
Beziehungen in ganz andrer Weiſe im Geiſte entgegen,
wir fühlen uns überall auf höherem göttlichen Grunde, und
ſehen uns in jeder Beziehung erhoben und beruhigt.

Folgen wir jedoch zunächſt weiter den Beziehungen
des Blutlebens zur Innervation des Hirns, ſo finden wir
bald, daß ſo wie alle organiſche Vorgänge an einen ge¬
wiſſen Rhythmus gebunden ſind, dieſer Rhythmus auch in

1 Wie ich ſchon früher einmal bemerke, iſt in dieſer Beziehung bis
auf die neueſte Zeit ſonderbar genug mit dem Unbewußten in uns ver¬
fahren worden! — Ganz verkennend deſſen eigenthümliche innere Weis¬
heit und Schönheit, hat man es unter dem Namen des Leiblichen ſchlecht¬
hin — gleichſam als ein Verderbliches — Erz-Böſes — dem Bewußten
als gleichſam dem allein rein Göttlichen gegenüber geſtellt; und wenn es
die Aufgabe einer ächten Asketik wird zu ſorgen, daß Unbewußtes wie
Bewußtes nur auf ſchöne Weiſe ſich darlebe, ſo wurde es vielfach
die Aufgabe falſcher asketiſcher Beſtrebungen, das Unbewußte zu verderben
und elend zu machen, wobei dann freilich auch das Bewußte nothwendig
zu Schaden kommen mußte.
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[204/0220] wie übermäßig heftige, die Innervation ſogleich ſtört oder ebenfalls aufhebt, und wir ſelbſt können es empfinden, daß unſer Denken und geſammtes geiſtiges Leben in ſeiner In¬ tegrität nur dadurch bedingt wird, daß in reinem geregel¬ ten Gange der millionenfach zertheilte Blutſtrom unſer Hirn durchzieht. — Eine einzige Störung hierin und unſere Ge¬ danken verwirren ſich, eine heftigere Störung, und das Bewußtſein ſchwindet. Dem der nun freilich ganz im Dunkel darüber iſt, daß jenes unbewußte Leben des Blutes auf demſelben Gött¬ lichen ruht von welchem das bewußte Geiſtige bedingt iſt, dem muß in Wahrheiten dieſer Art allemal eine furchtbare Abhängigkeit dieſes Geiſtigen von jenem unbekannten Etwas, was er Lebenskraft oder ſchlechthin Leibliches nennt, er¬ ſcheinen, eben weil er ja dann immerhin das Höchſte und Reichſte in ſich an das Niedrigſte und Materiellſte gebunden zu denken hat. 1 Iſt uns hingegen deutlich geworden, daß wie das Bewußte ſo auch das Unbewußte in uns auf einem und demſelben Göttlichen, auf einer und derſelben Idee ruht und nur dadurch bedingt wird, ſo treten uns jene Beziehungen in ganz andrer Weiſe im Geiſte entgegen, wir fühlen uns überall auf höherem göttlichen Grunde, und ſehen uns in jeder Beziehung erhoben und beruhigt. Folgen wir jedoch zunächſt weiter den Beziehungen des Blutlebens zur Innervation des Hirns, ſo finden wir bald, daß ſo wie alle organiſche Vorgänge an einen ge¬ wiſſen Rhythmus gebunden ſind, dieſer Rhythmus auch in 1 Wie ich ſchon früher einmal bemerke, iſt in dieſer Beziehung bis auf die neueſte Zeit ſonderbar genug mit dem Unbewußten in uns ver¬ fahren worden! — Ganz verkennend deſſen eigenthümliche innere Weis¬ heit und Schönheit, hat man es unter dem Namen des Leiblichen ſchlecht¬ hin — gleichſam als ein Verderbliches — Erz-Böſes — dem Bewußten als gleichſam dem allein rein Göttlichen gegenüber geſtellt; und wenn es die Aufgabe einer ächten Asketik wird zu ſorgen, daß Unbewußtes wie Bewußtes nur auf ſchöne Weiſe ſich darlebe, ſo wurde es vielfach die Aufgabe falſcher asketiſcher Beſtrebungen, das Unbewußte zu verderben und elend zu machen, wobei dann freilich auch das Bewußte nothwendig zu Schaden kommen mußte.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/220>, abgerufen am 21.11.2024.