leben der Idee als Seele sich die Periode des Wachens und Schlafens, und so verhalte sich auch wieder im perio¬ dischen Zustande des Wachseins das bewußt Gegenwärtig¬ haben und das nur unbewußt-Besitzen der einzelnen Vor¬ stellung, oder des einzelnen Gefühls. Die eine Periodicität bedingt nothwendig die andre, und sie erklären sich wechsel¬ seitig.
Betrachten wir nun näher den Zustand des allgemeinen Unbewußtseins der Seele, den wir im Gegensatz zum Wach¬ sein -- Schlaf nennen, so ist zuvörderst darauf aufmerksam zu machen, daß auch im menschlichen Dasein ein durchaus unbewußter Zustand, welchen wir das Vorbild des Schlafs nennen müssen, als der ursprüngliche sich darstellt. Er ist es der die eingeborne Idee in ihrem ganzen Embryonen- Dasein als der bleibende umfängt, da hingegen das Wach¬ sein erst nach der Geburt anhebt, wenn sämmtliche oben dargelegte Bedingungen für Eintritt des Bewußtseins er¬ füllt werden können. Der Organismus jedoch auch nach der Geburt, befangen immerfort größtentheils im relativ unbewußten Dasein, muß gleichsam einen besondern Auf¬ schwung nehmen, eine besondre Kraft anwenden, um zum Wachsein zu gelangen, und im natürlichen Verhältniß be¬ darf er dazu, in wie fern er ein Planetarisches ist, der Empfindung einer höhern Einwirkung von dem Solaren, also der Helligkeit des Tageslichts. Dieser Anspannung ist er deßhalb auch nur in einer gewissen Zeit fähig, und im normalen Verhältniß kehrt er beim Entschwinden des Lichts wieder in einen dem ursprünglich allgemeinen Unbe¬ wußtsein ähnlichen Zustand zurück, und dies ist nun der Schlaf. Der Unterschied des Schlafs vom absolut unbe¬ wußten Zustande vor der Geburt liegt darin, daß, gerade wie das Wach-sein immer noch ein Unbewußtes, so er im¬ merfort ein vorhergegangenes Bewußtes involvirt, und eben dadurch fähig wird immerfort Ahnungen, Einwirkungen von dem in ihm eingeschlossenen Bewußten zu empfangen, wie
leben der Idee als Seele ſich die Periode des Wachens und Schlafens, und ſo verhalte ſich auch wieder im perio¬ diſchen Zuſtande des Wachſeins das bewußt Gegenwärtig¬ haben und das nur unbewußt-Beſitzen der einzelnen Vor¬ ſtellung, oder des einzelnen Gefühls. Die eine Periodicität bedingt nothwendig die andre, und ſie erklären ſich wechſel¬ ſeitig.
Betrachten wir nun näher den Zuſtand des allgemeinen Unbewußtſeins der Seele, den wir im Gegenſatz zum Wach¬ ſein — Schlaf nennen, ſo iſt zuvörderſt darauf aufmerkſam zu machen, daß auch im menſchlichen Daſein ein durchaus unbewußter Zuſtand, welchen wir das Vorbild des Schlafs nennen müſſen, als der urſprüngliche ſich darſtellt. Er iſt es der die eingeborne Idee in ihrem ganzen Embryonen- Daſein als der bleibende umfängt, da hingegen das Wach¬ ſein erſt nach der Geburt anhebt, wenn ſämmtliche oben dargelegte Bedingungen für Eintritt des Bewußtſeins er¬ füllt werden können. Der Organismus jedoch auch nach der Geburt, befangen immerfort größtentheils im relativ unbewußten Daſein, muß gleichſam einen beſondern Auf¬ ſchwung nehmen, eine beſondre Kraft anwenden, um zum Wachſein zu gelangen, und im natürlichen Verhältniß be¬ darf er dazu, in wie fern er ein Planetariſches iſt, der Empfindung einer höhern Einwirkung von dem Solaren, alſo der Helligkeit des Tageslichts. Dieſer Anſpannung iſt er deßhalb auch nur in einer gewiſſen Zeit fähig, und im normalen Verhältniß kehrt er beim Entſchwinden des Lichts wieder in einen dem urſprünglich allgemeinen Unbe¬ wußtſein ähnlichen Zuſtand zurück, und dies iſt nun der Schlaf. Der Unterſchied des Schlafs vom abſolut unbe¬ wußten Zuſtande vor der Geburt liegt darin, daß, gerade wie das Wach-ſein immer noch ein Unbewußtes, ſo er im¬ merfort ein vorhergegangenes Bewußtes involvirt, und eben dadurch fähig wird immerfort Ahnungen, Einwirkungen von dem in ihm eingeſchloſſenen Bewußten zu empfangen, wie
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leben der Idee als Seele ſich die Periode des Wachens
und Schlafens, und ſo verhalte ſich auch wieder im perio¬
diſchen Zuſtande des Wachſeins das bewußt Gegenwärtig¬
haben und das nur unbewußt-Beſitzen der einzelnen Vor¬
ſtellung, oder des einzelnen Gefühls. Die eine Periodicität
bedingt nothwendig die andre, und ſie erklären ſich wechſel¬
ſeitig.
Betrachten wir nun näher den Zuſtand des allgemeinen
Unbewußtſeins der Seele, den wir im Gegenſatz zum Wach¬
ſein — Schlaf nennen, ſo iſt zuvörderſt darauf aufmerkſam
zu machen, daß auch im menſchlichen Daſein ein durchaus
unbewußter Zuſtand, welchen wir das Vorbild des Schlafs
nennen müſſen, als der urſprüngliche ſich darſtellt. Er iſt
es der die eingeborne Idee in ihrem ganzen Embryonen-
Daſein als der bleibende umfängt, da hingegen das Wach¬
ſein erſt nach der Geburt anhebt, wenn ſämmtliche oben
dargelegte Bedingungen für Eintritt des Bewußtſeins er¬
füllt werden können. Der Organismus jedoch auch nach
der Geburt, befangen immerfort größtentheils im relativ
unbewußten Daſein, muß gleichſam einen beſondern Auf¬
ſchwung nehmen, eine beſondre Kraft anwenden, um zum
Wachſein zu gelangen, und im natürlichen Verhältniß be¬
darf er dazu, in wie fern er ein Planetariſches iſt, der
Empfindung einer höhern Einwirkung von dem Solaren,
alſo der Helligkeit des Tageslichts. Dieſer Anſpannung
iſt er deßhalb auch nur in einer gewiſſen Zeit fähig, und
im normalen Verhältniß kehrt er beim Entſchwinden des
Lichts wieder in einen dem urſprünglich allgemeinen Unbe¬
wußtſein ähnlichen Zuſtand zurück, und dies iſt nun der
Schlaf. Der Unterſchied des Schlafs vom abſolut unbe¬
wußten Zuſtande vor der Geburt liegt darin, daß, gerade
wie das Wach-ſein immer noch ein Unbewußtes, ſo er im¬
merfort ein vorhergegangenes Bewußtes involvirt, und eben
dadurch fähig wird immerfort Ahnungen, Einwirkungen von
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/228>, abgerufen am 24.11.2024.
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