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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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welche die Vorstellungen selbst unter sich verbinden; daher
träumen wir oft in gewisser Weise fort was uns zuletzt
im Wachen beschäftigt hat: haben wir Räubergeschichten
gehört, so träumen wir wohl von Räubern u. s. w. -- oder
die Gefühle, die aus unsern äußern Verhältnissen oder
aus der Stimmung unsers Innern -- d. h. unsers unbe¬
wußten Lebens und aus den besondern Verhältnissen, in
welchen die verschiednen Provinzen unsers Organismus gerade
zu dieser Zeit sich gegen einander gestellt finden, hervor¬
gehen, ziehen auch gewisse Vorstellungsreihen heran; so
sehen wir träumend bei sorgenvoller oder gramerfüllter Seele
Reihen von Vorstellungen, welche diesem Gefühle ent¬
sprechen, Leichen und Gräber u. dgl. -- oder bei krank¬
haften Zuständen Bilder, in welchen diese Zustände selbst
eine gewisse Form annehmen -- bei Athmungsbeschwerden
ein Ungeheuer das sich uns auf die Brust legt, bei Fiebern
ein Feuer u. s. w. Indem also hier die Seele diejenigen
Vorstellungen heranzieht, welche diesen Gefühlen entsprechen,
verfährt sie allerdings ganz gleich dem wachenden Poeten
der auch die Bilder aufruft und zur größten Deutlichkeit
zu bringen sucht, welche den Gefühlen, die ihn innerlichst
bewegen, möglichst adäquat sind. Auf diese Weise mögen
wir denn leichtlich einsehen, wie ein Theil der Traumdeutung,
welcher auf körperliche Leiden und deren Vorherverkündigung
sich bezieht, ganz und gar durch diese Art von Poesie be¬
dingt wird. Ein Mißverhältniß, welches zwischen Systemen
des Organismus sich entwickelt, ein Krankheitsprincip, welches
unter denselben sich geltend macht, erregt ein besonderes
Gefühl (man erinnere sich, welches eben der Unterschied
war zwischen zum Bewußtseinkommen von Gefühlen und
von Vorstellungen) und dieses Gefühl bestimmt nun eine
gewisse Reihe, eine gewisse Art von Vorstellungen, deren
Bilder dann als poetische Symbole gerade dieser Gefühle
und somit dieser Mißverhältnisse, dieser krankhaften Zu¬
stände, betrachtet werden können. So kannte ich einen Mann,

welche die Vorſtellungen ſelbſt unter ſich verbinden; daher
träumen wir oft in gewiſſer Weiſe fort was uns zuletzt
im Wachen beſchäftigt hat: haben wir Räubergeſchichten
gehört, ſo träumen wir wohl von Räubern u. ſ. w. — oder
die Gefühle, die aus unſern äußern Verhältniſſen oder
aus der Stimmung unſers Innern — d. h. unſers unbe¬
wußten Lebens und aus den beſondern Verhältniſſen, in
welchen die verſchiednen Provinzen unſers Organismus gerade
zu dieſer Zeit ſich gegen einander geſtellt finden, hervor¬
gehen, ziehen auch gewiſſe Vorſtellungsreihen heran; ſo
ſehen wir träumend bei ſorgenvoller oder gramerfüllter Seele
Reihen von Vorſtellungen, welche dieſem Gefühle ent¬
ſprechen, Leichen und Gräber u. dgl. — oder bei krank¬
haften Zuſtänden Bilder, in welchen dieſe Zuſtände ſelbſt
eine gewiſſe Form annehmen — bei Athmungsbeſchwerden
ein Ungeheuer das ſich uns auf die Bruſt legt, bei Fiebern
ein Feuer u. ſ. w. Indem alſo hier die Seele diejenigen
Vorſtellungen heranzieht, welche dieſen Gefühlen entſprechen,
verfährt ſie allerdings ganz gleich dem wachenden Poeten
der auch die Bilder aufruft und zur größten Deutlichkeit
zu bringen ſucht, welche den Gefühlen, die ihn innerlichſt
bewegen, möglichſt adäquat ſind. Auf dieſe Weiſe mögen
wir denn leichtlich einſehen, wie ein Theil der Traumdeutung,
welcher auf körperliche Leiden und deren Vorherverkündigung
ſich bezieht, ganz und gar durch dieſe Art von Poeſie be¬
dingt wird. Ein Mißverhältniß, welches zwiſchen Syſtemen
des Organismus ſich entwickelt, ein Krankheitsprincip, welches
unter denſelben ſich geltend macht, erregt ein beſonderes
Gefühl (man erinnere ſich, welches eben der Unterſchied
war zwiſchen zum Bewußtſeinkommen von Gefühlen und
von Vorſtellungen) und dieſes Gefühl beſtimmt nun eine
gewiſſe Reihe, eine gewiſſe Art von Vorſtellungen, deren
Bilder dann als poetiſche Symbole gerade dieſer Gefühle
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[218/0234] welche die Vorſtellungen ſelbſt unter ſich verbinden; daher träumen wir oft in gewiſſer Weiſe fort was uns zuletzt im Wachen beſchäftigt hat: haben wir Räubergeſchichten gehört, ſo träumen wir wohl von Räubern u. ſ. w. — oder die Gefühle, die aus unſern äußern Verhältniſſen oder aus der Stimmung unſers Innern — d. h. unſers unbe¬ wußten Lebens und aus den beſondern Verhältniſſen, in welchen die verſchiednen Provinzen unſers Organismus gerade zu dieſer Zeit ſich gegen einander geſtellt finden, hervor¬ gehen, ziehen auch gewiſſe Vorſtellungsreihen heran; ſo ſehen wir träumend bei ſorgenvoller oder gramerfüllter Seele Reihen von Vorſtellungen, welche dieſem Gefühle ent¬ ſprechen, Leichen und Gräber u. dgl. — oder bei krank¬ haften Zuſtänden Bilder, in welchen dieſe Zuſtände ſelbſt eine gewiſſe Form annehmen — bei Athmungsbeſchwerden ein Ungeheuer das ſich uns auf die Bruſt legt, bei Fiebern ein Feuer u. ſ. w. Indem alſo hier die Seele diejenigen Vorſtellungen heranzieht, welche dieſen Gefühlen entſprechen, verfährt ſie allerdings ganz gleich dem wachenden Poeten der auch die Bilder aufruft und zur größten Deutlichkeit zu bringen ſucht, welche den Gefühlen, die ihn innerlichſt bewegen, möglichſt adäquat ſind. Auf dieſe Weiſe mögen wir denn leichtlich einſehen, wie ein Theil der Traumdeutung, welcher auf körperliche Leiden und deren Vorherverkündigung ſich bezieht, ganz und gar durch dieſe Art von Poeſie be¬ dingt wird. Ein Mißverhältniß, welches zwiſchen Syſtemen des Organismus ſich entwickelt, ein Krankheitsprincip, welches unter denſelben ſich geltend macht, erregt ein beſonderes Gefühl (man erinnere ſich, welches eben der Unterſchied war zwiſchen zum Bewußtſeinkommen von Gefühlen und von Vorſtellungen) und dieſes Gefühl beſtimmt nun eine gewiſſe Reihe, eine gewiſſe Art von Vorſtellungen, deren Bilder dann als poetiſche Symbole gerade dieſer Gefühle und ſomit dieſer Mißverhältniſſe, dieſer krankhaften Zu¬ ſtände, betrachtet werden können. So kannte ich einen Mann,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/234>, abgerufen am 21.11.2024.