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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Bevor wir daher zu den Gesammtcharakteren, welche
namentlich in Verschiedenheit des Geschlechts und Alters
sich äußern, den Uebergang machen, soll es uns beschäf¬
tigen etwas ausführlicher jener seltnern über das gewöhn¬
liche Maß menschlicher Eigenthümlichkeit sich erhebenden
Charaktere zu gedenken, von denen man die einen Genien
oder "Urgeister", die andern einseitig große Talente
oder "besondre Geister" nennen könnte. Beide richtig
zu deuten, müssen wir die Gesammtidee der Menschheit uns
faßlich und verständlich zu machen suchen. Erst wenn wir
in dem geschichtlich sich Darleben der Idee der Menschheit
die Entwicklung eines großen ideellen Organismus erblicken,
kann es uns deutlich werden, daß gleichwie an einem jeden
leiblichen Organismus einzelne Organe von höherer Be¬
deutung und größerer Selbstständigkeit erscheinen, so auch
in der Menschheit gewisse Individualitäten die besondern
Träger großer Wendepunkte ihrer Geschichte und ihres Le¬
bens darstellen müssen. Mit einem Worte, die Idee der
Menschheit überhaupt concentrirt sich in einzelnen Indivi¬
dualitäten mehr, in andern weniger (so hat im Organis¬
mus ein Organ mehr, das andere weniger die Bedeutung
des Ganzen) und nur diejenigen welche am meisten eine
solche Bedeutung auf sich gehäuft tragen, sie waren es von
jeher, welche man als Urgeister bezeichnete; -- ja der
Ausdruck "des Menschen Sohn" für jene hohe urgeistige
Individualität, welche zuerst das Evangelium der Liebe ih¬
rer Menschheit zu verkündigen bestimmt war, hat mir in
dieser Hinsicht immer ganz besonders tiefsinnig geschienen.
Wir erkennen hieraus sofort, daß, wenn es irgend ein be¬
sonderes Siegel gibt, wodurch diese eigentlichen Urgeister
erkennbar waren, dieses kein andres sein kann als das
einer höhern Universalität. Der wahre Genius, der
eigentliche Urgeist, ist nie ein bloß einseitiger, in ihm er¬
weiset sich eine besondere göttliche Macht, welche ihn überall,
wohin er sich wendet, als mächtig, als wahr, als schaffend,

Bevor wir daher zu den Geſammtcharakteren, welche
namentlich in Verſchiedenheit des Geſchlechts und Alters
ſich äußern, den Uebergang machen, ſoll es uns beſchäf¬
tigen etwas ausführlicher jener ſeltnern über das gewöhn¬
liche Maß menſchlicher Eigenthümlichkeit ſich erhebenden
Charaktere zu gedenken, von denen man die einen Genien
oder „Urgeiſter", die andern einſeitig große Talente
oder „beſondre Geiſter" nennen könnte. Beide richtig
zu deuten, müſſen wir die Geſammtidee der Menſchheit uns
faßlich und verſtändlich zu machen ſuchen. Erſt wenn wir
in dem geſchichtlich ſich Darleben der Idee der Menſchheit
die Entwicklung eines großen ideellen Organismus erblicken,
kann es uns deutlich werden, daß gleichwie an einem jeden
leiblichen Organismus einzelne Organe von höherer Be¬
deutung und größerer Selbſtſtändigkeit erſcheinen, ſo auch
in der Menſchheit gewiſſe Individualitäten die beſondern
Träger großer Wendepunkte ihrer Geſchichte und ihres Le¬
bens darſtellen müſſen. Mit einem Worte, die Idee der
Menſchheit überhaupt concentrirt ſich in einzelnen Indivi¬
dualitäten mehr, in andern weniger (ſo hat im Organis¬
mus ein Organ mehr, das andere weniger die Bedeutung
des Ganzen) und nur diejenigen welche am meiſten eine
ſolche Bedeutung auf ſich gehäuft tragen, ſie waren es von
jeher, welche man als Urgeiſter bezeichnete; — ja der
Ausdruck „des Menſchen Sohn" für jene hohe urgeiſtige
Individualität, welche zuerſt das Evangelium der Liebe ih¬
rer Menſchheit zu verkündigen beſtimmt war, hat mir in
dieſer Hinſicht immer ganz beſonders tiefſinnig geſchienen.
Wir erkennen hieraus ſofort, daß, wenn es irgend ein be¬
ſonderes Siegel gibt, wodurch dieſe eigentlichen Urgeiſter
erkennbar waren, dieſes kein andres ſein kann als das
einer höhern Univerſalität. Der wahre Genius, der
eigentliche Urgeiſt, iſt nie ein bloß einſeitiger, in ihm er¬
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[254/0270] Bevor wir daher zu den Geſammtcharakteren, welche namentlich in Verſchiedenheit des Geſchlechts und Alters ſich äußern, den Uebergang machen, ſoll es uns beſchäf¬ tigen etwas ausführlicher jener ſeltnern über das gewöhn¬ liche Maß menſchlicher Eigenthümlichkeit ſich erhebenden Charaktere zu gedenken, von denen man die einen Genien oder „Urgeiſter", die andern einſeitig große Talente oder „beſondre Geiſter" nennen könnte. Beide richtig zu deuten, müſſen wir die Geſammtidee der Menſchheit uns faßlich und verſtändlich zu machen ſuchen. Erſt wenn wir in dem geſchichtlich ſich Darleben der Idee der Menſchheit die Entwicklung eines großen ideellen Organismus erblicken, kann es uns deutlich werden, daß gleichwie an einem jeden leiblichen Organismus einzelne Organe von höherer Be¬ deutung und größerer Selbſtſtändigkeit erſcheinen, ſo auch in der Menſchheit gewiſſe Individualitäten die beſondern Träger großer Wendepunkte ihrer Geſchichte und ihres Le¬ bens darſtellen müſſen. Mit einem Worte, die Idee der Menſchheit überhaupt concentrirt ſich in einzelnen Indivi¬ dualitäten mehr, in andern weniger (ſo hat im Organis¬ mus ein Organ mehr, das andere weniger die Bedeutung des Ganzen) und nur diejenigen welche am meiſten eine ſolche Bedeutung auf ſich gehäuft tragen, ſie waren es von jeher, welche man als Urgeiſter bezeichnete; — ja der Ausdruck „des Menſchen Sohn" für jene hohe urgeiſtige Individualität, welche zuerſt das Evangelium der Liebe ih¬ rer Menſchheit zu verkündigen beſtimmt war, hat mir in dieſer Hinſicht immer ganz beſonders tiefſinnig geſchienen. Wir erkennen hieraus ſofort, daß, wenn es irgend ein be¬ ſonderes Siegel gibt, wodurch dieſe eigentlichen Urgeiſter erkennbar waren, dieſes kein andres ſein kann als das einer höhern Univerſalität. Der wahre Genius, der eigentliche Urgeiſt, iſt nie ein bloß einſeitiger, in ihm er¬ weiſet ſich eine beſondere göttliche Macht, welche ihn überall, wohin er ſich wendet, als mächtig, als wahr, als ſchaffend,

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/270>, abgerufen am 25.11.2024.