auch ganz der Periodicität desselben unterworfen; je mehr das Wesen des Menschen ein tiefsinnigeres und je voll¬ kommener die Würdigkeit des Gefühls auch im Bewußtsein erkannt ist, desto mehr wird es dauernd die Seele erfüllen. Bei alle dem ist ein Steigen und Fallen, ein gewisses rhythmisches stärker- und schwächer-werden und wieder sich heben, unzertrennlich von diesem Gefühl, und eben in dem Rhythmus alles Lebens tiefbegründet. Ueberhaupt bewährt sich auch hierin das Gesetz der Spirale, auf welches ich schon in meiner Physiologie 1 als auf ein Wesentliches für alles Leben aufmerksam gemacht habe, und welches ich dort durch ein Schema erläutert, vollkommen. Mehrere Umschwingungen kommen unfehlbar auch in dieser Beziehung im Leben jedes Menschen vor, aber eine nur wird die höchste sein und doch kann auch diese, bei der ganzen Ei¬ genthümlichkeit unserer Organisation, bis zum Tode nur in voller Pracht und Lebendigkeit dann ausdauern, wenn diese Existenz überhaupt früher vernichtet wird, dagegen bei sinkender allgemeiner Lebensenergie ihre volle Kraft nicht bis in ein höheres Alter behaupten.
Sehr viel des Merkwürdigen bietet das Liebesgefühl ferner in Beziehung zu andern Gefühlen und zum Men¬ schen überhaupt dar. Was das erstere betrifft, so wird sogleich deutlich, daß von ihr, eben in wiefern wir die Liebe überhaupt das machtvollste Gefühl und die Liebe der Geschlechter insbesondre das Urgefühl genannt haben, die heftigste Aufregung auch aller andern Gefühle erwartet werden muß. In dem von heftiger Liebe ergriffenen Ge¬ müth wird weder das, was wir den Zenith, noch das, was wir den Nadir der Gefühlswelt genannt haben, weder das freie lebendige Gleichgewicht der Seele, noch die Apa¬ thie derselben vorkommen, sondern zwischen Freude und Be¬ trübniß, zwischen auch nach andern Richtungen sich aus¬ breitender Liebe und zwischen Haß, wird die Magnetnadel
1 System der Physiologie. I. Bd. S. 286.
auch ganz der Periodicität deſſelben unterworfen; je mehr das Weſen des Menſchen ein tiefſinnigeres und je voll¬ kommener die Würdigkeit des Gefühls auch im Bewußtſein erkannt iſt, deſto mehr wird es dauernd die Seele erfüllen. Bei alle dem iſt ein Steigen und Fallen, ein gewiſſes rhythmiſches ſtärker- und ſchwächer-werden und wieder ſich heben, unzertrennlich von dieſem Gefühl, und eben in dem Rhythmus alles Lebens tiefbegründet. Ueberhaupt bewährt ſich auch hierin das Geſetz der Spirale, auf welches ich ſchon in meiner Phyſiologie 1 als auf ein Weſentliches für alles Leben aufmerkſam gemacht habe, und welches ich dort durch ein Schema erläutert, vollkommen. Mehrere Umſchwingungen kommen unfehlbar auch in dieſer Beziehung im Leben jedes Menſchen vor, aber eine nur wird die höchſte ſein und doch kann auch dieſe, bei der ganzen Ei¬ genthümlichkeit unſerer Organiſation, bis zum Tode nur in voller Pracht und Lebendigkeit dann ausdauern, wenn dieſe Exiſtenz überhaupt früher vernichtet wird, dagegen bei ſinkender allgemeiner Lebensenergie ihre volle Kraft nicht bis in ein höheres Alter behaupten.
Sehr viel des Merkwürdigen bietet das Liebesgefühl ferner in Beziehung zu andern Gefühlen und zum Men¬ ſchen überhaupt dar. Was das erſtere betrifft, ſo wird ſogleich deutlich, daß von ihr, eben in wiefern wir die Liebe überhaupt das machtvollſte Gefühl und die Liebe der Geſchlechter insbeſondre das Urgefühl genannt haben, die heftigſte Aufregung auch aller andern Gefühle erwartet werden muß. In dem von heftiger Liebe ergriffenen Ge¬ müth wird weder das, was wir den Zenith, noch das, was wir den Nadir der Gefühlswelt genannt haben, weder das freie lebendige Gleichgewicht der Seele, noch die Apa¬ thie derſelben vorkommen, ſondern zwiſchen Freude und Be¬ trübniß, zwiſchen auch nach andern Richtungen ſich aus¬ breitender Liebe und zwiſchen Haß, wird die Magnetnadel
1 Syſtem der Phyſiologie. I. Bd. S. 286.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0308"n="292"/>
auch ganz der Periodicität deſſelben unterworfen; je mehr<lb/>
das Weſen des Menſchen ein tiefſinnigeres und je voll¬<lb/>
kommener die Würdigkeit des Gefühls auch im Bewußtſein<lb/>
erkannt iſt, deſto mehr wird es dauernd die Seele erfüllen.<lb/>
Bei alle dem iſt ein Steigen und Fallen, ein gewiſſes<lb/>
rhythmiſches ſtärker- und ſchwächer-werden und wieder ſich<lb/>
heben, unzertrennlich von dieſem Gefühl, und eben in dem<lb/>
Rhythmus alles Lebens tiefbegründet. Ueberhaupt bewährt<lb/>ſich auch hierin <hirendition="#g">das Geſetz der Spirale</hi>, auf welches<lb/>
ich ſchon in meiner Phyſiologie <noteplace="foot"n="1">Syſtem der Phyſiologie. <hirendition="#aq">I</hi>. Bd. S. 286.</note> als auf ein Weſentliches<lb/>
für alles Leben aufmerkſam gemacht habe, und welches ich<lb/>
dort durch ein Schema erläutert, vollkommen. Mehrere<lb/>
Umſchwingungen kommen unfehlbar auch in dieſer Beziehung<lb/>
im Leben jedes Menſchen vor, aber eine nur wird die<lb/>
höchſte ſein und doch kann auch dieſe, bei der ganzen Ei¬<lb/>
genthümlichkeit unſerer Organiſation, bis zum Tode nur in<lb/>
voller Pracht und Lebendigkeit <hirendition="#g">dann</hi> ausdauern, wenn<lb/>
dieſe Exiſtenz überhaupt früher vernichtet wird, dagegen<lb/>
bei ſinkender allgemeiner Lebensenergie ihre <hirendition="#g">volle</hi> Kraft<lb/>
nicht bis in ein höheres Alter behaupten.</p><lb/><p>Sehr viel des Merkwürdigen bietet das Liebesgefühl<lb/>
ferner in Beziehung zu andern Gefühlen und zum Men¬<lb/>ſchen überhaupt dar. Was das erſtere betrifft, ſo wird<lb/>ſogleich deutlich, daß von ihr, eben in wiefern wir die<lb/>
Liebe überhaupt das machtvollſte Gefühl und die Liebe der<lb/>
Geſchlechter insbeſondre <hirendition="#g">das Urgefühl</hi> genannt haben,<lb/>
die heftigſte Aufregung auch aller andern Gefühle erwartet<lb/>
werden muß. In dem von heftiger Liebe ergriffenen Ge¬<lb/>
müth wird weder das, was wir den Zenith, noch das,<lb/>
was wir den Nadir der Gefühlswelt genannt haben, weder<lb/>
das freie lebendige Gleichgewicht der Seele, noch die Apa¬<lb/>
thie derſelben vorkommen, ſondern zwiſchen Freude und Be¬<lb/>
trübniß, zwiſchen auch nach andern Richtungen ſich aus¬<lb/>
breitender Liebe und zwiſchen Haß, wird die Magnetnadel<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[292/0308]
auch ganz der Periodicität deſſelben unterworfen; je mehr
das Weſen des Menſchen ein tiefſinnigeres und je voll¬
kommener die Würdigkeit des Gefühls auch im Bewußtſein
erkannt iſt, deſto mehr wird es dauernd die Seele erfüllen.
Bei alle dem iſt ein Steigen und Fallen, ein gewiſſes
rhythmiſches ſtärker- und ſchwächer-werden und wieder ſich
heben, unzertrennlich von dieſem Gefühl, und eben in dem
Rhythmus alles Lebens tiefbegründet. Ueberhaupt bewährt
ſich auch hierin das Geſetz der Spirale, auf welches
ich ſchon in meiner Phyſiologie 1 als auf ein Weſentliches
für alles Leben aufmerkſam gemacht habe, und welches ich
dort durch ein Schema erläutert, vollkommen. Mehrere
Umſchwingungen kommen unfehlbar auch in dieſer Beziehung
im Leben jedes Menſchen vor, aber eine nur wird die
höchſte ſein und doch kann auch dieſe, bei der ganzen Ei¬
genthümlichkeit unſerer Organiſation, bis zum Tode nur in
voller Pracht und Lebendigkeit dann ausdauern, wenn
dieſe Exiſtenz überhaupt früher vernichtet wird, dagegen
bei ſinkender allgemeiner Lebensenergie ihre volle Kraft
nicht bis in ein höheres Alter behaupten.
Sehr viel des Merkwürdigen bietet das Liebesgefühl
ferner in Beziehung zu andern Gefühlen und zum Men¬
ſchen überhaupt dar. Was das erſtere betrifft, ſo wird
ſogleich deutlich, daß von ihr, eben in wiefern wir die
Liebe überhaupt das machtvollſte Gefühl und die Liebe der
Geſchlechter insbeſondre das Urgefühl genannt haben,
die heftigſte Aufregung auch aller andern Gefühle erwartet
werden muß. In dem von heftiger Liebe ergriffenen Ge¬
müth wird weder das, was wir den Zenith, noch das,
was wir den Nadir der Gefühlswelt genannt haben, weder
das freie lebendige Gleichgewicht der Seele, noch die Apa¬
thie derſelben vorkommen, ſondern zwiſchen Freude und Be¬
trübniß, zwiſchen auch nach andern Richtungen ſich aus¬
breitender Liebe und zwiſchen Haß, wird die Magnetnadel
1 Syſtem der Phyſiologie. I. Bd. S. 286.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/308>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.