ist jedoch abermals ein zwiefacher, indem der eine die volle Beweglichkeit des Gemüthes behauptet, die volle Wärme, welche die Bedingung ist aller verschiedenen Gefühle, sich lebendig erhält, und nur in der Höhe bewußter Klarheit, Freudigkeit und Liebe jenes schöne Gleichgewicht bewahrt, welches die Seele zu allem Großen befähigt; dahingegen der andere jene Beweglichkeit des Seelenlebens wirklich ver¬ loren hat, und allein in der Schwäche und Dumpfheit der gesammten Lebensäußerungen die Ursache enthält, nicht zu besondern Gemüthsbewegungen veranlaßt zu werden. Nach beiden Seiten hin gibt es sehr verschiedene Gradationen, unter welchen scharfe Abgränzungen nicht weiter möglich sind. Den Höhenpunkt des reinen schönen Gleichgewichts können wir fast einen göttlichen nennen, während der Nieder¬ punkt des Leblosen oder Fühllosen der Seele an das Thierische streift. Keinesweges dürfen wir übrigens diese Zustände dergestalt vertheilt glauben, daß jeder derselben einer Seele allein angehöre, sondern wechselnd mit oft heftigen Auf¬ regungen einzelner Gefühle herrschen beide zu verschiedenen Zeiten und in verschiedener Ausdehnung in der menschlichen Seele und tragen bei, die Farbenscala ins Unendliche zu variiren, in deren Schwingungen die Gemüthswelt sich be¬ thätigt. Je höher die Individualität, je reifer das Wachs¬ thum, desto mehr neigt sich das gesammte Seelenleben zur göttlichen Gleichmüthigkeit und Klarheit; je niederer die In¬ dividualität, je entschiedener das Rücksinken, desto näher liegt die Möglichkeit des Unterganges in eine gefühllose thierische Apathie.
Dabei würde es ein großer Irrthum sein, wenn man auch diese Höhen- oder Tiefenpunkte des Seelenlebens nur vom Bewußten bedingt und nur im Bewußtsein begründet denken wollte; der ächte höhere Gleichmuth sowohl, als die dumpfe und tiefe Apathie, gehen immer dergestalt aus der Wurzel alles Seelenlebens hervor, daß sie sich gleichmäßig im Bewußten und Unbewußten darstellen, im erstern durch
iſt jedoch abermals ein zwiefacher, indem der eine die volle Beweglichkeit des Gemüthes behauptet, die volle Wärme, welche die Bedingung iſt aller verſchiedenen Gefühle, ſich lebendig erhält, und nur in der Höhe bewußter Klarheit, Freudigkeit und Liebe jenes ſchöne Gleichgewicht bewahrt, welches die Seele zu allem Großen befähigt; dahingegen der andere jene Beweglichkeit des Seelenlebens wirklich ver¬ loren hat, und allein in der Schwäche und Dumpfheit der geſammten Lebensäußerungen die Urſache enthält, nicht zu beſondern Gemüthsbewegungen veranlaßt zu werden. Nach beiden Seiten hin gibt es ſehr verſchiedene Gradationen, unter welchen ſcharfe Abgränzungen nicht weiter möglich ſind. Den Höhenpunkt des reinen ſchönen Gleichgewichts können wir faſt einen göttlichen nennen, während der Nieder¬ punkt des Lebloſen oder Fühlloſen der Seele an das Thieriſche ſtreift. Keinesweges dürfen wir übrigens dieſe Zuſtände dergeſtalt vertheilt glauben, daß jeder derſelben einer Seele allein angehöre, ſondern wechſelnd mit oft heftigen Auf¬ regungen einzelner Gefühle herrſchen beide zu verſchiedenen Zeiten und in verſchiedener Ausdehnung in der menſchlichen Seele und tragen bei, die Farbenſcala ins Unendliche zu variiren, in deren Schwingungen die Gemüthswelt ſich be¬ thätigt. Je höher die Individualität, je reifer das Wachs¬ thum, deſto mehr neigt ſich das geſammte Seelenleben zur göttlichen Gleichmüthigkeit und Klarheit; je niederer die In¬ dividualität, je entſchiedener das Rückſinken, deſto näher liegt die Möglichkeit des Unterganges in eine gefühlloſe thieriſche Apathie.
Dabei würde es ein großer Irrthum ſein, wenn man auch dieſe Höhen- oder Tiefenpunkte des Seelenlebens nur vom Bewußten bedingt und nur im Bewußtſein begründet denken wollte; der ächte höhere Gleichmuth ſowohl, als die dumpfe und tiefe Apathie, gehen immer dergeſtalt aus der Wurzel alles Seelenlebens hervor, daß ſie ſich gleichmäßig im Bewußten und Unbewußten darſtellen, im erſtern durch
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iſt jedoch abermals ein zwiefacher, indem der eine die volle
Beweglichkeit des Gemüthes behauptet, die volle Wärme,
welche die Bedingung iſt aller verſchiedenen Gefühle, ſich
lebendig erhält, und nur in der Höhe bewußter Klarheit,
Freudigkeit und Liebe jenes ſchöne Gleichgewicht bewahrt,
welches die Seele zu allem Großen befähigt; dahingegen
der andere jene Beweglichkeit des Seelenlebens wirklich ver¬
loren hat, und allein in der Schwäche und Dumpfheit der
geſammten Lebensäußerungen die Urſache enthält, nicht zu
beſondern Gemüthsbewegungen veranlaßt zu werden. Nach
beiden Seiten hin gibt es ſehr verſchiedene Gradationen,
unter welchen ſcharfe Abgränzungen nicht weiter möglich
ſind. Den Höhenpunkt des reinen ſchönen Gleichgewichts
können wir faſt einen göttlichen nennen, während der Nieder¬
punkt des Lebloſen oder Fühlloſen der Seele an das Thieriſche
ſtreift. Keinesweges dürfen wir übrigens dieſe Zuſtände
dergeſtalt vertheilt glauben, daß jeder derſelben einer Seele
allein angehöre, ſondern wechſelnd mit oft heftigen Auf¬
regungen einzelner Gefühle herrſchen beide zu verſchiedenen
Zeiten und in verſchiedener Ausdehnung in der menſchlichen
Seele und tragen bei, die Farbenſcala ins Unendliche zu
variiren, in deren Schwingungen die Gemüthswelt ſich be¬
thätigt. Je höher die Individualität, je reifer das Wachs¬
thum, deſto mehr neigt ſich das geſammte Seelenleben zur
göttlichen Gleichmüthigkeit und Klarheit; je niederer die In¬
dividualität, je entſchiedener das Rückſinken, deſto näher liegt
die Möglichkeit des Unterganges in eine gefühlloſe thieriſche
Apathie.
Dabei würde es ein großer Irrthum ſein, wenn man
auch dieſe Höhen- oder Tiefenpunkte des Seelenlebens nur
vom Bewußten bedingt und nur im Bewußtſein begründet
denken wollte; der ächte höhere Gleichmuth ſowohl, als die
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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/341>, abgerufen am 22.11.2024.
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