Klarheit des Denkens und eine gewisse Stille der Seele, hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenlosigkeit, im andern hinsichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Gesundheit, und hinsichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und Schwäche. Man hat auch längst die Bedeutung dieser Zu¬ stände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt, obwohl nicht wissenschaftlich nachgewiesen; denn man trennte ganz richtig von dem wahren, in der gesammten schönen und gesunden Organisation auch des unbewußten Seelen¬ lebens begründeten Gleichmuthe, Das, was man den er¬ zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere immer als ein Künstliches und Unvollkommenes sich dar¬ stellen mußte. Dieser Unterschied ist jedenfalls sehr wichtig, denn sowohl die Art, wie eine solche im ächten höhern auch durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth schwebende Seele sich offenbart, als die Art wie sie das Aeußere aufnimmt, wird von der erkünstelten Art des Gleichmuthes welche nicht so schön im Unbewußten sich begründet findet, immer durch¬ aus abweichen. Shakespeare hat etwas hievon ange¬ deutet, wenn er dem Brutus, welcher die gewaltigsten Schläge des Schicksals zwar lebendig empfindet, aber mit höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten Cassius gegenüberstellt, von dem wir dann hören:
"Durch Kunst hab' ich so viel hievon als Ihr, Doch die Natur ertrüg's in mir nicht so."
Jener ächte Gleichmuth, der ein reiches volles Leben in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬ fassender Liebe durch und durch erwärmt wird, er ist es eigentlich, der das anzeigt, was wir Größe der Seele nennen, und was deßhalb diesen Namen insbesondere ver¬ dient, weil dadurch der Mensch so sehr innerlich sich ver¬ größert, daß ihn die Wechselfälle des Lebens nicht mehr zu erschüttern im Stande sind. Diese Größe ist es, in welcher es sich andeutet, daß es gewisse Ideen geben kann,
Klarheit des Denkens und eine gewiſſe Stille der Seele, hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenloſigkeit, im andern hinſichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Geſundheit, und hinſichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und Schwäche. Man hat auch längſt die Bedeutung dieſer Zu¬ ſtände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt, obwohl nicht wiſſenſchaftlich nachgewieſen; denn man trennte ganz richtig von dem wahren, in der geſammten ſchönen und geſunden Organiſation auch des unbewußten Seelen¬ lebens begründeten Gleichmuthe, Das, was man den er¬ zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere immer als ein Künſtliches und Unvollkommenes ſich dar¬ ſtellen mußte. Dieſer Unterſchied iſt jedenfalls ſehr wichtig, denn ſowohl die Art, wie eine ſolche im ächten höhern auch durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth ſchwebende Seele ſich offenbart, als die Art wie ſie das Aeußere aufnimmt, wird von der erkünſtelten Art des Gleichmuthes welche nicht ſo ſchön im Unbewußten ſich begründet findet, immer durch¬ aus abweichen. Shakespeare hat etwas hievon ange¬ deutet, wenn er dem Brutus, welcher die gewaltigſten Schläge des Schickſals zwar lebendig empfindet, aber mit höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten Caſſius gegenüberſtellt, von dem wir dann hören:
„Durch Kunſt hab' ich ſo viel hievon als Ihr, Doch die Natur ertrüg's in mir nicht ſo.“
Jener ächte Gleichmuth, der ein reiches volles Leben in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬ faſſender Liebe durch und durch erwärmt wird, er iſt es eigentlich, der das anzeigt, was wir Größe der Seele nennen, und was deßhalb dieſen Namen insbeſondere ver¬ dient, weil dadurch der Menſch ſo ſehr innerlich ſich ver¬ größert, daß ihn die Wechſelfälle des Lebens nicht mehr zu erſchüttern im Stande ſind. Dieſe Größe iſt es, in welcher es ſich andeutet, daß es gewiſſe Ideen geben kann,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0342"n="326"/>
Klarheit des Denkens und eine gewiſſe Stille der Seele,<lb/>
hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenloſigkeit,<lb/>
im andern hinſichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit<lb/>
und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Geſundheit,<lb/>
und hinſichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und<lb/>
Schwäche. Man hat auch längſt die Bedeutung dieſer Zu¬<lb/>ſtände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt,<lb/>
obwohl nicht wiſſenſchaftlich nachgewieſen; denn man trennte<lb/>
ganz richtig von dem wahren, in der geſammten ſchönen<lb/>
und geſunden Organiſation auch des unbewußten Seelen¬<lb/>
lebens begründeten Gleichmuthe, <hirendition="#g">Das</hi>, was man den er¬<lb/>
zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere<lb/>
immer als ein Künſtliches und Unvollkommenes ſich dar¬<lb/>ſtellen mußte. Dieſer Unterſchied iſt jedenfalls ſehr wichtig,<lb/>
denn ſowohl die Art, wie eine ſolche im ächten höhern auch<lb/>
durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth ſchwebende Seele<lb/>ſich offenbart, als die Art wie ſie das Aeußere aufnimmt,<lb/>
wird von der erkünſtelten Art des Gleichmuthes welche nicht<lb/>ſo ſchön im Unbewußten ſich begründet findet, immer durch¬<lb/>
aus abweichen. <hirendition="#g">Shakespeare</hi> hat etwas hievon ange¬<lb/>
deutet, wenn er dem <hirendition="#g">Brutus</hi>, welcher die gewaltigſten<lb/>
Schläge des Schickſals zwar lebendig empfindet, aber mit<lb/>
höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten <hirendition="#g">Caſſius</hi><lb/>
gegenüberſtellt, von dem wir dann hören:</p><lb/><lgtype="poem"><l>„Durch Kunſt hab' ich ſo viel hievon als Ihr,<lb/></l><l>Doch die Natur ertrüg's in mir nicht ſo.“</l></lg><lb/><p>Jener <hirendition="#g">ächte</hi> Gleichmuth, der ein reiches volles Leben<lb/>
in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬<lb/>
faſſender Liebe durch und durch erwärmt wird, er iſt es<lb/>
eigentlich, der das anzeigt, was wir <hirendition="#g">Größe der Seele</hi><lb/>
nennen, und was deßhalb dieſen Namen insbeſondere ver¬<lb/>
dient, weil dadurch der Menſch ſo ſehr innerlich ſich ver¬<lb/>
größert, daß ihn die Wechſelfälle des Lebens nicht mehr<lb/>
zu erſchüttern im Stande ſind. Dieſe Größe iſt es, in<lb/>
welcher es ſich andeutet, daß es gewiſſe Ideen geben kann,<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[326/0342]
Klarheit des Denkens und eine gewiſſe Stille der Seele,
hingegen bei der Apathie durch vollkommene Gedankenloſigkeit,
im andern hinſichtlich höhern Gleichmuthes durch Leichtigkeit
und Ruhe innern Lebens bei voller Kraft der Geſundheit,
und hinſichtlich der Apathie durch Trägheit, Stockung und
Schwäche. Man hat auch längſt die Bedeutung dieſer Zu¬
ſtände für Bewußtes und Unbewußtes gefühlt und erkannt,
obwohl nicht wiſſenſchaftlich nachgewieſen; denn man trennte
ganz richtig von dem wahren, in der geſammten ſchönen
und geſunden Organiſation auch des unbewußten Seelen¬
lebens begründeten Gleichmuthe, Das, was man den er¬
zwungenen, bloß anreflectirten genannt hat, welcher letztere
immer als ein Künſtliches und Unvollkommenes ſich dar¬
ſtellen mußte. Dieſer Unterſchied iſt jedenfalls ſehr wichtig,
denn ſowohl die Art, wie eine ſolche im ächten höhern auch
durch Unbewußtes begründeten Gleichmuth ſchwebende Seele
ſich offenbart, als die Art wie ſie das Aeußere aufnimmt,
wird von der erkünſtelten Art des Gleichmuthes welche nicht
ſo ſchön im Unbewußten ſich begründet findet, immer durch¬
aus abweichen. Shakespeare hat etwas hievon ange¬
deutet, wenn er dem Brutus, welcher die gewaltigſten
Schläge des Schickſals zwar lebendig empfindet, aber mit
höherm Gleichmuth erträgt, den heftigen gereizten Caſſius
gegenüberſtellt, von dem wir dann hören:
„Durch Kunſt hab' ich ſo viel hievon als Ihr,
Doch die Natur ertrüg's in mir nicht ſo.“
Jener ächte Gleichmuth, der ein reiches volles Leben
in tiefer Seele lebt, der von höherer Freudigkeit und um¬
faſſender Liebe durch und durch erwärmt wird, er iſt es
eigentlich, der das anzeigt, was wir Größe der Seele
nennen, und was deßhalb dieſen Namen insbeſondere ver¬
dient, weil dadurch der Menſch ſo ſehr innerlich ſich ver¬
größert, daß ihn die Wechſelfälle des Lebens nicht mehr
zu erſchüttern im Stande ſind. Dieſe Größe iſt es, in
welcher es ſich andeutet, daß es gewiſſe Ideen geben kann,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/342>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.