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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Mechanik des allgemeinen Knochen- und Muskelsystems sich
in starken räumlichen Bewegungen thätig ausspricht, in der
höhern Natur durch die Regierung der feinern Muskulatur
der Athmung, in der Sprache sich verkündet, zuletzt aber
schon durch die Macht des seelischen Blicks nach außen ge¬
bietend hervortritt. Wer das Höhere besitzt, wird dann
um so weniger von dem Niedern Gebrauch machen.

Betrachtet man sodann noch im Einzelnen wie sich der
Einfluß des Willens und seiner bald stärkern, bald schwächern
Anspannung auf die organische Ausbildung und Entwicklung
der ihm insbesondere unterworfenen Gebilde äußert, so be¬
merkt man abermals ein merkwürdiges Verhältniß des be¬
wußten Lebens zum unbewußten. Die Fortbildung und
organische Entwicklung dieser Gebilde, z. B. der Muskel¬
faser und Muskelnerven, ist nämlich durchaus und allein
hinsichtlich der besondern mikrologen Vorgänge des Wachs¬
thums, Sache des unbewußten Lebens, und eben deßhalb
von den Willensvorgängen an und für sich ganz unab¬
hängig, da schon oben bemerkt worden ist, daß unmittelbar
etwas zu unserm Bildungsleben hinzuzuthun oder wegzu¬
nehmen außer dem Bereiche des bewußten Willens liegt;
gleichwohl sehen wir eben im erwähnten Falle, daß der
Wille an und für sich unmerklich und allmählig auf die
organische Bildung immerfort einwirkt, ein willkürlich mehr
geübtes Gebilde mehr wachsen läßt als ein nicht geübtes
u. s. w., und so finden wir denn auch hier wieder wie
überall, wie die meisten Begränzungen nur scheinbar sind
und eigentlich zuhöchst doch Alles in nur einem Strome
des Werdens sich bewegt. Ist ja doch selbst die Gränze
des direkten Willenseinflusses auf gewisse Regionen des
Bildungslebens nirgends eine ganz absolute und unverrück¬
bare; denn Menschen hat man beobachtet, welche einen
Willenseinfluß auf ihren Herzschlag äußerten, gewisse Abson¬
derungen willkürlich hervorrufen konnten u. s. w.

Was wir ferner als krankhafte Abschweifungen des

Mechanik des allgemeinen Knochen- und Muskelſyſtems ſich
in ſtarken räumlichen Bewegungen thätig ausſpricht, in der
höhern Natur durch die Regierung der feinern Muskulatur
der Athmung, in der Sprache ſich verkündet, zuletzt aber
ſchon durch die Macht des ſeeliſchen Blicks nach außen ge¬
bietend hervortritt. Wer das Höhere beſitzt, wird dann
um ſo weniger von dem Niedern Gebrauch machen.

Betrachtet man ſodann noch im Einzelnen wie ſich der
Einfluß des Willens und ſeiner bald ſtärkern, bald ſchwächern
Anſpannung auf die organiſche Ausbildung und Entwicklung
der ihm insbeſondere unterworfenen Gebilde äußert, ſo be¬
merkt man abermals ein merkwürdiges Verhältniß des be¬
wußten Lebens zum unbewußten. Die Fortbildung und
organiſche Entwicklung dieſer Gebilde, z. B. der Muskel¬
faſer und Muskelnerven, iſt nämlich durchaus und allein
hinſichtlich der beſondern mikrologen Vorgänge des Wachs¬
thums, Sache des unbewußten Lebens, und eben deßhalb
von den Willensvorgängen an und für ſich ganz unab¬
hängig, da ſchon oben bemerkt worden iſt, daß unmittelbar
etwas zu unſerm Bildungsleben hinzuzuthun oder wegzu¬
nehmen außer dem Bereiche des bewußten Willens liegt;
gleichwohl ſehen wir eben im erwähnten Falle, daß der
Wille an und für ſich unmerklich und allmählig auf die
organiſche Bildung immerfort einwirkt, ein willkürlich mehr
geübtes Gebilde mehr wachſen läßt als ein nicht geübtes
u. ſ. w., und ſo finden wir denn auch hier wieder wie
überall, wie die meiſten Begränzungen nur ſcheinbar ſind
und eigentlich zuhöchſt doch Alles in nur einem Strome
des Werdens ſich bewegt. Iſt ja doch ſelbſt die Gränze
des direkten Willenseinfluſſes auf gewiſſe Regionen des
Bildungslebens nirgends eine ganz abſolute und unverrück¬
bare; denn Menſchen hat man beobachtet, welche einen
Willenseinfluß auf ihren Herzſchlag äußerten, gewiſſe Abſon¬
derungen willkürlich hervorrufen konnten u. ſ. w.

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[365/0381] Mechanik des allgemeinen Knochen- und Muskelſyſtems ſich in ſtarken räumlichen Bewegungen thätig ausſpricht, in der höhern Natur durch die Regierung der feinern Muskulatur der Athmung, in der Sprache ſich verkündet, zuletzt aber ſchon durch die Macht des ſeeliſchen Blicks nach außen ge¬ bietend hervortritt. Wer das Höhere beſitzt, wird dann um ſo weniger von dem Niedern Gebrauch machen. Betrachtet man ſodann noch im Einzelnen wie ſich der Einfluß des Willens und ſeiner bald ſtärkern, bald ſchwächern Anſpannung auf die organiſche Ausbildung und Entwicklung der ihm insbeſondere unterworfenen Gebilde äußert, ſo be¬ merkt man abermals ein merkwürdiges Verhältniß des be¬ wußten Lebens zum unbewußten. Die Fortbildung und organiſche Entwicklung dieſer Gebilde, z. B. der Muskel¬ faſer und Muskelnerven, iſt nämlich durchaus und allein hinſichtlich der beſondern mikrologen Vorgänge des Wachs¬ thums, Sache des unbewußten Lebens, und eben deßhalb von den Willensvorgängen an und für ſich ganz unab¬ hängig, da ſchon oben bemerkt worden iſt, daß unmittelbar etwas zu unſerm Bildungsleben hinzuzuthun oder wegzu¬ nehmen außer dem Bereiche des bewußten Willens liegt; gleichwohl ſehen wir eben im erwähnten Falle, daß der Wille an und für ſich unmerklich und allmählig auf die organiſche Bildung immerfort einwirkt, ein willkürlich mehr geübtes Gebilde mehr wachſen läßt als ein nicht geübtes u. ſ. w., und ſo finden wir denn auch hier wieder wie überall, wie die meiſten Begränzungen nur ſcheinbar ſind und eigentlich zuhöchſt doch Alles in nur einem Strome des Werdens ſich bewegt. Iſt ja doch ſelbſt die Gränze des direkten Willenseinfluſſes auf gewiſſe Regionen des Bildungslebens nirgends eine ganz abſolute und unverrück¬ bare; denn Menſchen hat man beobachtet, welche einen Willenseinfluß auf ihren Herzſchlag äußerten, gewiſſe Abſon¬ derungen willkürlich hervorrufen konnten u. ſ. w. Was wir ferner als krankhafte Abſchweifungen des

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/381>, abgerufen am 22.11.2024.