Willens aufführen können, dahin gehören nur theils Re¬ actionen ohne hinreichende Leitung der Erkenntniß oder die ihr ungemäß sind, theils Reactionen, welche zu viel und unmittelbar da vom Unbewußten bestimmt sind, wo sie es nur vom Bewußten sein sollten. Wir nennen das kindisch und eigenwillig, wenn im gereiftern Menschen Willens¬ regungen hervortreten, welche dem Lichte höherer Erkenntniß entfremdet sind, wenn z. B. mit Heftigkeit ungeeignete und unzweckmäßige Nahrungsmittel begehrt werden, wenn Neigung oder Abneigung sogleich zu heftigen unangemessenen Willens¬ regungen ausschlagen u. s. w., und dies aus keinem andern Grunde, als weil eben im Kinde diese höhere Erkenntniß noch fehlt und somit immerfort Willensbewegungen hervor¬ treten müssen, welche ungeregelt und unangemessen wie sie sind, hier zwar nicht anders sein können, aber in gereifterer Erkenntniß als krankhaft erscheinen. In allen diesen Be¬ ziehungen tritt sonach die ursprüngliche innere Einheit von Erkenntniß und Wille mit größter Deutlichkeit hervor.
Die andere Art regelwidriger Willensregungen, welche recht insbesondere den Namen der krankhaften Abschweifungen verdienen, weil sie nur bei allgemein krankhaften Zuständen vorzukommen pflegen, sind die, welche da, wo nur das Bewußtsein bestimmen sollte, vom Unbewußten bestimmt werden und dem Bewußten keine Folge leisten. Es gehören dahin alle unwillkürliche von Krankheitsreiz hervorgerufene Bewegungen, die wir convulsivische nennen, und von wel¬ chen eine Form besonders hier Erwähnung verdient, weil sie wieder innerhalb der Einheit des Geistes sehr bestimmt auf jene divergente Strahlung oder gewisse Zweiheit deutet, welche wir als Wille und Erkenntniß unterscheiden, ja, welche zum Theil auch noch zwischen dem Willen und der Willensvollstreckung einen besondern Unterschied zu erkennen Gelegenheit gibt. Es gehören dahin die Fälle, wenn ent¬ weder ganz entgegengesetzt dem Urtheile der Erkenntniß ein Wollen hervortritt, welches niemals im normalen Zustande
Willens aufführen können, dahin gehören nur theils Re¬ actionen ohne hinreichende Leitung der Erkenntniß oder die ihr ungemäß ſind, theils Reactionen, welche zu viel und unmittelbar da vom Unbewußten beſtimmt ſind, wo ſie es nur vom Bewußten ſein ſollten. Wir nennen das kindiſch und eigenwillig, wenn im gereiftern Menſchen Willens¬ regungen hervortreten, welche dem Lichte höherer Erkenntniß entfremdet ſind, wenn z. B. mit Heftigkeit ungeeignete und unzweckmäßige Nahrungsmittel begehrt werden, wenn Neigung oder Abneigung ſogleich zu heftigen unangemeſſenen Willens¬ regungen ausſchlagen u. ſ. w., und dies aus keinem andern Grunde, als weil eben im Kinde dieſe höhere Erkenntniß noch fehlt und ſomit immerfort Willensbewegungen hervor¬ treten müſſen, welche ungeregelt und unangemeſſen wie ſie ſind, hier zwar nicht anders ſein können, aber in gereifterer Erkenntniß als krankhaft erſcheinen. In allen dieſen Be¬ ziehungen tritt ſonach die urſprüngliche innere Einheit von Erkenntniß und Wille mit größter Deutlichkeit hervor.
Die andere Art regelwidriger Willensregungen, welche recht insbeſondere den Namen der krankhaften Abſchweifungen verdienen, weil ſie nur bei allgemein krankhaften Zuſtänden vorzukommen pflegen, ſind die, welche da, wo nur das Bewußtſein beſtimmen ſollte, vom Unbewußten beſtimmt werden und dem Bewußten keine Folge leiſten. Es gehören dahin alle unwillkürliche von Krankheitsreiz hervorgerufene Bewegungen, die wir convulſiviſche nennen, und von wel¬ chen eine Form beſonders hier Erwähnung verdient, weil ſie wieder innerhalb der Einheit des Geiſtes ſehr beſtimmt auf jene divergente Strahlung oder gewiſſe Zweiheit deutet, welche wir als Wille und Erkenntniß unterſcheiden, ja, welche zum Theil auch noch zwiſchen dem Willen und der Willensvollſtreckung einen beſondern Unterſchied zu erkennen Gelegenheit gibt. Es gehören dahin die Fälle, wenn ent¬ weder ganz entgegengeſetzt dem Urtheile der Erkenntniß ein Wollen hervortritt, welches niemals im normalen Zuſtande
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0382"n="366"/>
Willens aufführen können, dahin gehören nur theils Re¬<lb/>
actionen ohne hinreichende Leitung der Erkenntniß oder die<lb/>
ihr ungemäß ſind, theils Reactionen, welche zu viel und<lb/>
unmittelbar da vom Unbewußten beſtimmt ſind, wo ſie es<lb/>
nur vom Bewußten ſein ſollten. Wir nennen das kindiſch<lb/>
und eigenwillig, wenn im gereiftern Menſchen Willens¬<lb/>
regungen hervortreten, welche dem Lichte höherer Erkenntniß<lb/>
entfremdet ſind, wenn z. B. mit Heftigkeit ungeeignete und<lb/>
unzweckmäßige Nahrungsmittel begehrt werden, wenn Neigung<lb/>
oder Abneigung ſogleich zu heftigen unangemeſſenen Willens¬<lb/>
regungen ausſchlagen u. ſ. w., und dies aus keinem andern<lb/>
Grunde, als weil eben im Kinde dieſe höhere Erkenntniß<lb/>
noch fehlt und ſomit immerfort Willensbewegungen hervor¬<lb/>
treten müſſen, welche ungeregelt und unangemeſſen wie ſie<lb/>ſind, hier zwar nicht anders ſein können, aber in gereifterer<lb/>
Erkenntniß als krankhaft erſcheinen. In allen dieſen Be¬<lb/>
ziehungen tritt ſonach die urſprüngliche innere Einheit von<lb/>
Erkenntniß und Wille mit größter Deutlichkeit hervor.</p><lb/><p>Die andere Art regelwidriger Willensregungen, welche<lb/>
recht insbeſondere den Namen der krankhaften Abſchweifungen<lb/>
verdienen, weil ſie nur bei allgemein krankhaften Zuſtänden<lb/>
vorzukommen pflegen, ſind die, welche da, wo nur das<lb/>
Bewußtſein beſtimmen ſollte, vom Unbewußten beſtimmt<lb/>
werden und dem Bewußten keine Folge leiſten. Es gehören<lb/>
dahin alle unwillkürliche von Krankheitsreiz hervorgerufene<lb/>
Bewegungen, die wir convulſiviſche nennen, und von wel¬<lb/>
chen <hirendition="#g">eine</hi> Form beſonders hier Erwähnung verdient, weil<lb/>ſie wieder innerhalb der Einheit des Geiſtes ſehr beſtimmt<lb/>
auf jene divergente Strahlung oder gewiſſe Zweiheit deutet,<lb/>
welche wir als Wille und Erkenntniß unterſcheiden, ja,<lb/>
welche zum Theil auch noch zwiſchen dem Willen und der<lb/>
Willensvollſtreckung einen beſondern Unterſchied zu erkennen<lb/>
Gelegenheit gibt. Es gehören dahin die Fälle, wenn ent¬<lb/>
weder ganz entgegengeſetzt dem Urtheile der Erkenntniß ein<lb/>
Wollen hervortritt, welches niemals im normalen Zuſtande<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[366/0382]
Willens aufführen können, dahin gehören nur theils Re¬
actionen ohne hinreichende Leitung der Erkenntniß oder die
ihr ungemäß ſind, theils Reactionen, welche zu viel und
unmittelbar da vom Unbewußten beſtimmt ſind, wo ſie es
nur vom Bewußten ſein ſollten. Wir nennen das kindiſch
und eigenwillig, wenn im gereiftern Menſchen Willens¬
regungen hervortreten, welche dem Lichte höherer Erkenntniß
entfremdet ſind, wenn z. B. mit Heftigkeit ungeeignete und
unzweckmäßige Nahrungsmittel begehrt werden, wenn Neigung
oder Abneigung ſogleich zu heftigen unangemeſſenen Willens¬
regungen ausſchlagen u. ſ. w., und dies aus keinem andern
Grunde, als weil eben im Kinde dieſe höhere Erkenntniß
noch fehlt und ſomit immerfort Willensbewegungen hervor¬
treten müſſen, welche ungeregelt und unangemeſſen wie ſie
ſind, hier zwar nicht anders ſein können, aber in gereifterer
Erkenntniß als krankhaft erſcheinen. In allen dieſen Be¬
ziehungen tritt ſonach die urſprüngliche innere Einheit von
Erkenntniß und Wille mit größter Deutlichkeit hervor.
Die andere Art regelwidriger Willensregungen, welche
recht insbeſondere den Namen der krankhaften Abſchweifungen
verdienen, weil ſie nur bei allgemein krankhaften Zuſtänden
vorzukommen pflegen, ſind die, welche da, wo nur das
Bewußtſein beſtimmen ſollte, vom Unbewußten beſtimmt
werden und dem Bewußten keine Folge leiſten. Es gehören
dahin alle unwillkürliche von Krankheitsreiz hervorgerufene
Bewegungen, die wir convulſiviſche nennen, und von wel¬
chen eine Form beſonders hier Erwähnung verdient, weil
ſie wieder innerhalb der Einheit des Geiſtes ſehr beſtimmt
auf jene divergente Strahlung oder gewiſſe Zweiheit deutet,
welche wir als Wille und Erkenntniß unterſcheiden, ja,
welche zum Theil auch noch zwiſchen dem Willen und der
Willensvollſtreckung einen beſondern Unterſchied zu erkennen
Gelegenheit gibt. Es gehören dahin die Fälle, wenn ent¬
weder ganz entgegengeſetzt dem Urtheile der Erkenntniß ein
Wollen hervortritt, welches niemals im normalen Zuſtande
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/382>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.