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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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merkwürdige Beispiele, wo auf diese Weise räumlich ent¬
fernte, aber sich innerlich nahe Personen Wechselwirkungen
empfanden, bei Erkrankung des Einen Angstgefühl oder
Erkrankung des Andern eintrat, oder andere besondere Stim¬
mungen der Gefühlswelt gleichzeitig sich äußerten, sind ja
häufig genug vorgekommen. Es ist auch nicht nothwendig,
das bloß die Liebe der Geschlechter eine solche Beziehung be¬
gründet habe, enger Freundschaftsbund, oder das Verhältniß
von Zwillingsgeschwistern u. s. w. stellt dergleichen Beispiele
ebenfalls auf. Daß hingegen die innigste Beziehung vom
Unbewußten zu Unbewußten zwischen den verschiedenen Ge¬
schlechtern vorkomme, ist keine Frage. Die Spitze derselben
tritt in der Zeugung hervor, denn eben hier ist der
wesentliche innere Vorgang, also gerade der Vorgang, dessen
Bedingungen und dessen Natur erst die neueste Physiologie
an das Licht des Bewußtseins hervorziehen konnte, ganz
dem unbewußten Leben anheim gegeben. Eben dieserhalb ist
es, daß selbst die Wissenschaft zwar wohl entscheiden kann,
ob in Vereinigung zweier Naturen die Bedingungen ge¬
geben werden, an welchen die Möglichkeit des Hervorrufens
eines neuen Individuums hängt, aber ob in einem beson¬
dern Falle, unter diesen vollständig erfüllten Bedingungen
wirklich ein neues Individuum entstehe oder nicht, wird
dann doch nichts desto weniger für erst allemal dem Be¬
wußtsein gänzlich entzogen bleiben. Es ist sodann auch das
noch hiebei merkwürdig, daß diese productive Beziehung von
Unbewußtem zu Unbewußtem, eben weil sie mit dem Be¬
wußtsein gar nichts zu schaffen hat, wieder gewissermaßen
ganz unabhängig wird von dem, was man im höhern
Sinne die Liebe der Geschlechter nennen darf. Diese letztere
nämlich, obwohl durch einen unbewußten Zug allemal wesent¬
lich mit bedingt, ist, wie wir früher gezeigt haben, an und
für sich doch wieder durchaus undenkbar, wenn nicht das
Bewußtsein ihr zuvor die eigentliche Weihe gegeben hat,
denn überall nur in dem Maße, als das Bewußtsein die

merkwürdige Beiſpiele, wo auf dieſe Weiſe räumlich ent¬
fernte, aber ſich innerlich nahe Perſonen Wechſelwirkungen
empfanden, bei Erkrankung des Einen Angſtgefühl oder
Erkrankung des Andern eintrat, oder andere beſondere Stim¬
mungen der Gefühlswelt gleichzeitig ſich äußerten, ſind ja
häufig genug vorgekommen. Es iſt auch nicht nothwendig,
das bloß die Liebe der Geſchlechter eine ſolche Beziehung be¬
gründet habe, enger Freundſchaftsbund, oder das Verhältniß
von Zwillingsgeſchwiſtern u. ſ. w. ſtellt dergleichen Beiſpiele
ebenfalls auf. Daß hingegen die innigſte Beziehung vom
Unbewußten zu Unbewußten zwiſchen den verſchiedenen Ge¬
ſchlechtern vorkomme, iſt keine Frage. Die Spitze derſelben
tritt in der Zeugung hervor, denn eben hier iſt der
weſentliche innere Vorgang, alſo gerade der Vorgang, deſſen
Bedingungen und deſſen Natur erſt die neueſte Phyſiologie
an das Licht des Bewußtſeins hervorziehen konnte, ganz
dem unbewußten Leben anheim gegeben. Eben dieſerhalb iſt
es, daß ſelbſt die Wiſſenſchaft zwar wohl entſcheiden kann,
ob in Vereinigung zweier Naturen die Bedingungen ge¬
geben werden, an welchen die Möglichkeit des Hervorrufens
eines neuen Individuums hängt, aber ob in einem beſon¬
dern Falle, unter dieſen vollſtändig erfüllten Bedingungen
wirklich ein neues Individuum entſtehe oder nicht, wird
dann doch nichts deſto weniger für erſt allemal dem Be¬
wußtſein gänzlich entzogen bleiben. Es iſt ſodann auch das
noch hiebei merkwürdig, daß dieſe productive Beziehung von
Unbewußtem zu Unbewußtem, eben weil ſie mit dem Be¬
wußtſein gar nichts zu ſchaffen hat, wieder gewiſſermaßen
ganz unabhängig wird von dem, was man im höhern
Sinne die Liebe der Geſchlechter nennen darf. Dieſe letztere
nämlich, obwohl durch einen unbewußten Zug allemal weſent¬
lich mit bedingt, iſt, wie wir früher gezeigt haben, an und
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[380/0396] merkwürdige Beiſpiele, wo auf dieſe Weiſe räumlich ent¬ fernte, aber ſich innerlich nahe Perſonen Wechſelwirkungen empfanden, bei Erkrankung des Einen Angſtgefühl oder Erkrankung des Andern eintrat, oder andere beſondere Stim¬ mungen der Gefühlswelt gleichzeitig ſich äußerten, ſind ja häufig genug vorgekommen. Es iſt auch nicht nothwendig, das bloß die Liebe der Geſchlechter eine ſolche Beziehung be¬ gründet habe, enger Freundſchaftsbund, oder das Verhältniß von Zwillingsgeſchwiſtern u. ſ. w. ſtellt dergleichen Beiſpiele ebenfalls auf. Daß hingegen die innigſte Beziehung vom Unbewußten zu Unbewußten zwiſchen den verſchiedenen Ge¬ ſchlechtern vorkomme, iſt keine Frage. Die Spitze derſelben tritt in der Zeugung hervor, denn eben hier iſt der weſentliche innere Vorgang, alſo gerade der Vorgang, deſſen Bedingungen und deſſen Natur erſt die neueſte Phyſiologie an das Licht des Bewußtſeins hervorziehen konnte, ganz dem unbewußten Leben anheim gegeben. Eben dieſerhalb iſt es, daß ſelbſt die Wiſſenſchaft zwar wohl entſcheiden kann, ob in Vereinigung zweier Naturen die Bedingungen ge¬ geben werden, an welchen die Möglichkeit des Hervorrufens eines neuen Individuums hängt, aber ob in einem beſon¬ dern Falle, unter dieſen vollſtändig erfüllten Bedingungen wirklich ein neues Individuum entſtehe oder nicht, wird dann doch nichts deſto weniger für erſt allemal dem Be¬ wußtſein gänzlich entzogen bleiben. Es iſt ſodann auch das noch hiebei merkwürdig, daß dieſe productive Beziehung von Unbewußtem zu Unbewußtem, eben weil ſie mit dem Be¬ wußtſein gar nichts zu ſchaffen hat, wieder gewiſſermaßen ganz unabhängig wird von dem, was man im höhern Sinne die Liebe der Geſchlechter nennen darf. Dieſe letztere nämlich, obwohl durch einen unbewußten Zug allemal weſent¬ lich mit bedingt, iſt, wie wir früher gezeigt haben, an und für ſich doch wieder durchaus undenkbar, wenn nicht das Bewußtſein ihr zuvor die eigentliche Weihe gegeben hat, denn überall nur in dem Maße, als das Bewußtſein die

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/396>, abgerufen am 22.11.2024.