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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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geräumt und mehr und mehr eine höhere Freiheit des Da¬
seins hergestellt werden könne, und ein andermal wird durch
diesen Standpunkt selbst eine Einsicht in die Verhältnisse
des Lebens gefördert, welche für die Vollendung einer äch¬
ten Lebenkunst unfehlbar die richtigsten Einsichten gewähren
muß.

Was nun zweitens zu sagen wäre über höhere und
rechte Erfassung Dessen, was an Glück und Gemäßheit
der Seele, oder, wie die Sprache es schön ausdrückt, See¬
ligkeit, das gebrechliche Leben heranführen kann, so ist
einmal klar, daß überhaupt nur deßhalb eine bereits er¬
worbene Ruhe und Klarheit der Seelenstimmung fähig
machen kann eine äußere günstige Constellation zu empfin¬
den, weil sie selbst schon ein Glück ist und überhaupt nur
Glück das Glück empfangen kann (wird doch wahres Un¬
glück das wahre Glück eben so wenig aufnehmen als Schat¬
ten das Licht); und ein andermal wird diese höhere Ruhe,
die aber freilich immer eben in sich wieder die höchste Le¬
bendigkeit sein muß, mittels der der Seele freier gegebenen
Umsicht und Uebersicht des Lebens, wesentlich beitragen,
durch richtigere Erwägung der Verhältnisse zur Natur und
zu Menschen, vieles an Glück herbeizuführen, was der
innerlich unfreien, aus ihrem rechten Verhältniß zu Gott
herausgetretenen Seele nothwendig und unwiederbringlich
verloren geht. Der alte Spruch: "denen die Gott lieben,
müssen alle Dinge zum Besten dienen," leidet hier seine
volle Anwendung, und es gibt zu eigenen Betrachtungen
im Leben Veranlassung, wenn wir die tantalischen Qualen
so vieler Menschen betrachten und erwägen, denen sich von
vielen Seiten glückliche Verhältnisse in Fülle herzuneigen
scheinen und welche, ohne jene innere Sammlung, im Ueber¬
flusse verschmachten und in einer Art von rastloser Verzweif¬
lung ihr Leben verlieren; -- das Ganze was in der neueren
Literatur unter dem karrikirten Namen des Weltschmerzes bis
zum Ekel wiederholt worden ist, ruht nur auf dieser Basis.

geräumt und mehr und mehr eine höhere Freiheit des Da¬
ſeins hergeſtellt werden könne, und ein andermal wird durch
dieſen Standpunkt ſelbſt eine Einſicht in die Verhältniſſe
des Lebens gefördert, welche für die Vollendung einer äch¬
ten Lebenkunſt unfehlbar die richtigſten Einſichten gewähren
muß.

Was nun zweitens zu ſagen wäre über höhere und
rechte Erfaſſung Deſſen, was an Glück und Gemäßheit
der Seele, oder, wie die Sprache es ſchön ausdrückt, See¬
ligkeit, das gebrechliche Leben heranführen kann, ſo iſt
einmal klar, daß überhaupt nur deßhalb eine bereits er¬
worbene Ruhe und Klarheit der Seelenſtimmung fähig
machen kann eine äußere günſtige Conſtellation zu empfin¬
den, weil ſie ſelbſt ſchon ein Glück iſt und überhaupt nur
Glück das Glück empfangen kann (wird doch wahres Un¬
glück das wahre Glück eben ſo wenig aufnehmen als Schat¬
ten das Licht); und ein andermal wird dieſe höhere Ruhe,
die aber freilich immer eben in ſich wieder die höchſte Le¬
bendigkeit ſein muß, mittels der der Seele freier gegebenen
Umſicht und Ueberſicht des Lebens, weſentlich beitragen,
durch richtigere Erwägung der Verhältniſſe zur Natur und
zu Menſchen, vieles an Glück herbeizuführen, was der
innerlich unfreien, aus ihrem rechten Verhältniß zu Gott
herausgetretenen Seele nothwendig und unwiederbringlich
verloren geht. Der alte Spruch: „denen die Gott lieben,
müſſen alle Dinge zum Beſten dienen,“ leidet hier ſeine
volle Anwendung, und es gibt zu eigenen Betrachtungen
im Leben Veranlaſſung, wenn wir die tantaliſchen Qualen
ſo vieler Menſchen betrachten und erwägen, denen ſich von
vielen Seiten glückliche Verhältniſſe in Fülle herzuneigen
ſcheinen und welche, ohne jene innere Sammlung, im Ueber¬
fluſſe verſchmachten und in einer Art von raſtloſer Verzweif¬
lung ihr Leben verlieren; — das Ganze was in der neueren
Literatur unter dem karrikirten Namen des Weltſchmerzes bis
zum Ekel wiederholt worden iſt, ruht nur auf dieſer Baſis.

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[411/0427] geräumt und mehr und mehr eine höhere Freiheit des Da¬ ſeins hergeſtellt werden könne, und ein andermal wird durch dieſen Standpunkt ſelbſt eine Einſicht in die Verhältniſſe des Lebens gefördert, welche für die Vollendung einer äch¬ ten Lebenkunſt unfehlbar die richtigſten Einſichten gewähren muß. Was nun zweitens zu ſagen wäre über höhere und rechte Erfaſſung Deſſen, was an Glück und Gemäßheit der Seele, oder, wie die Sprache es ſchön ausdrückt, See¬ ligkeit, das gebrechliche Leben heranführen kann, ſo iſt einmal klar, daß überhaupt nur deßhalb eine bereits er¬ worbene Ruhe und Klarheit der Seelenſtimmung fähig machen kann eine äußere günſtige Conſtellation zu empfin¬ den, weil ſie ſelbſt ſchon ein Glück iſt und überhaupt nur Glück das Glück empfangen kann (wird doch wahres Un¬ glück das wahre Glück eben ſo wenig aufnehmen als Schat¬ ten das Licht); und ein andermal wird dieſe höhere Ruhe, die aber freilich immer eben in ſich wieder die höchſte Le¬ bendigkeit ſein muß, mittels der der Seele freier gegebenen Umſicht und Ueberſicht des Lebens, weſentlich beitragen, durch richtigere Erwägung der Verhältniſſe zur Natur und zu Menſchen, vieles an Glück herbeizuführen, was der innerlich unfreien, aus ihrem rechten Verhältniß zu Gott herausgetretenen Seele nothwendig und unwiederbringlich verloren geht. Der alte Spruch: „denen die Gott lieben, müſſen alle Dinge zum Beſten dienen,“ leidet hier ſeine volle Anwendung, und es gibt zu eigenen Betrachtungen im Leben Veranlaſſung, wenn wir die tantaliſchen Qualen ſo vieler Menſchen betrachten und erwägen, denen ſich von vielen Seiten glückliche Verhältniſſe in Fülle herzuneigen ſcheinen und welche, ohne jene innere Sammlung, im Ueber¬ fluſſe verſchmachten und in einer Art von raſtloſer Verzweif¬ lung ihr Leben verlieren; — das Ganze was in der neueren Literatur unter dem karrikirten Namen des Weltſchmerzes bis zum Ekel wiederholt worden iſt, ruht nur auf dieſer Baſis.

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/427>, abgerufen am 22.11.2024.