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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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Doch das Wichtigste und zugleich das Geheimnißvollste
in der Lehre vom Verhältniß der Seele zu Gott -- das
dem wir nur mit einer gewissen Ehrfurcht selbst im Denken
nahen sollen, ist nun noch übrig zu erwägen, nämlich das
was wir die Wechselwirkung -- das Ueberwirken von der
Seele auf jenes höchste Mysterium und das Ueberwirken
dieses höchsten Mysteriums auf die Seele nennen dürfen.
Daß ein solches Ueberwirken gewiß wahr und vorhanden
sei, daß die Seele Gott etwas sein könne, und Gott un¬
mittelbar die zum Bewußtsein entwickelte Seele influenzire,
dafür spricht a priori das Gesetz der in gewissem Maße
bestehenden Gleichartigkeit des Wesens, und dafür spricht
der höhere Instinkt der gesammten zum Bewußtsein erwachten
Menschheit. -- Was die in gewissem Maße vorhandene
Gleichartigkeit des Wesens anbelangt, so schließen wir durch
dasselbe Recht auf sie, wodurch wir veranlaßt werden, die
Seele selbst als ein Göttliches und in ihrem innersten tiefsten
Grunde, ebenfalls als ein Mysterium zu betrachten. Sie
kann aber nicht ein Göttliches sein, ohne mit dem Urgrunde
alles Göttlichen in einer thatsächlichen Beziehung zu stehen;
eben so gewiß als, gleichnißweise und ganz im Materiellen,
der Stein nicht ein Irdisches sein kann, ohne von der Erde
angezogen zu werden und seinerseits auch wieder die Erde
anzuziehen. -- Mag daher in Beziehung auf die thätige
Wechselwirkung zwischen der Seele und Gott auch noch ein
unermeßlicheres und weit unsaglicheres Verhältniß bestehen
als zwischen dem fallenden Steine und der Erde, welche,
indem sie den Stein anzieht und fallen macht, auch allemal
von ihm in irgend einem Grade angezogen werden muß
-- so ist doch, daß irgend ein thätiges Ueberwirken auch
in dieser höchsten geistigen Sphäre vorhanden sei, vor dem
Richterstuhle höchster Erkenntniß und reinsten Wahrheit¬
gewissens durchaus unläugbar. -- Was dann aber betrifft
den erwähnten durch alle Menschheit-Geschichte gehenden
höhern Instinkt, so zeigt er sich an, theils in dem, was von

Doch das Wichtigſte und zugleich das Geheimnißvollſte
in der Lehre vom Verhältniß der Seele zu Gott — das
dem wir nur mit einer gewiſſen Ehrfurcht ſelbſt im Denken
nahen ſollen, iſt nun noch übrig zu erwägen, nämlich das
was wir die Wechſelwirkung — das Ueberwirken von der
Seele auf jenes höchſte Myſterium und das Ueberwirken
dieſes höchſten Myſteriums auf die Seele nennen dürfen.
Daß ein ſolches Ueberwirken gewiß wahr und vorhanden
ſei, daß die Seele Gott etwas ſein könne, und Gott un¬
mittelbar die zum Bewußtſein entwickelte Seele influenzire,
dafür ſpricht a priori das Geſetz der in gewiſſem Maße
beſtehenden Gleichartigkeit des Weſens, und dafür ſpricht
der höhere Inſtinkt der geſammten zum Bewußtſein erwachten
Menſchheit. — Was die in gewiſſem Maße vorhandene
Gleichartigkeit des Weſens anbelangt, ſo ſchließen wir durch
daſſelbe Recht auf ſie, wodurch wir veranlaßt werden, die
Seele ſelbſt als ein Göttliches und in ihrem innerſten tiefſten
Grunde, ebenfalls als ein Myſterium zu betrachten. Sie
kann aber nicht ein Göttliches ſein, ohne mit dem Urgrunde
alles Göttlichen in einer thatſächlichen Beziehung zu ſtehen;
eben ſo gewiß als, gleichnißweiſe und ganz im Materiellen,
der Stein nicht ein Irdiſches ſein kann, ohne von der Erde
angezogen zu werden und ſeinerſeits auch wieder die Erde
anzuziehen. — Mag daher in Beziehung auf die thätige
Wechſelwirkung zwiſchen der Seele und Gott auch noch ein
unermeßlicheres und weit unſaglicheres Verhältniß beſtehen
als zwiſchen dem fallenden Steine und der Erde, welche,
indem ſie den Stein anzieht und fallen macht, auch allemal
von ihm in irgend einem Grade angezogen werden muß
— ſo iſt doch, daß irgend ein thätiges Ueberwirken auch
in dieſer höchſten geiſtigen Sphäre vorhanden ſei, vor dem
Richterſtuhle höchſter Erkenntniß und reinſten Wahrheit¬
gewiſſens durchaus unläugbar. — Was dann aber betrifft
den erwähnten durch alle Menſchheit-Geſchichte gehenden
höhern Inſtinkt, ſo zeigt er ſich an, theils in dem, was von

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[412/0428] Doch das Wichtigſte und zugleich das Geheimnißvollſte in der Lehre vom Verhältniß der Seele zu Gott — das dem wir nur mit einer gewiſſen Ehrfurcht ſelbſt im Denken nahen ſollen, iſt nun noch übrig zu erwägen, nämlich das was wir die Wechſelwirkung — das Ueberwirken von der Seele auf jenes höchſte Myſterium und das Ueberwirken dieſes höchſten Myſteriums auf die Seele nennen dürfen. Daß ein ſolches Ueberwirken gewiß wahr und vorhanden ſei, daß die Seele Gott etwas ſein könne, und Gott un¬ mittelbar die zum Bewußtſein entwickelte Seele influenzire, dafür ſpricht a priori das Geſetz der in gewiſſem Maße beſtehenden Gleichartigkeit des Weſens, und dafür ſpricht der höhere Inſtinkt der geſammten zum Bewußtſein erwachten Menſchheit. — Was die in gewiſſem Maße vorhandene Gleichartigkeit des Weſens anbelangt, ſo ſchließen wir durch daſſelbe Recht auf ſie, wodurch wir veranlaßt werden, die Seele ſelbſt als ein Göttliches und in ihrem innerſten tiefſten Grunde, ebenfalls als ein Myſterium zu betrachten. Sie kann aber nicht ein Göttliches ſein, ohne mit dem Urgrunde alles Göttlichen in einer thatſächlichen Beziehung zu ſtehen; eben ſo gewiß als, gleichnißweiſe und ganz im Materiellen, der Stein nicht ein Irdiſches ſein kann, ohne von der Erde angezogen zu werden und ſeinerſeits auch wieder die Erde anzuziehen. — Mag daher in Beziehung auf die thätige Wechſelwirkung zwiſchen der Seele und Gott auch noch ein unermeßlicheres und weit unſaglicheres Verhältniß beſtehen als zwiſchen dem fallenden Steine und der Erde, welche, indem ſie den Stein anzieht und fallen macht, auch allemal von ihm in irgend einem Grade angezogen werden muß — ſo iſt doch, daß irgend ein thätiges Ueberwirken auch in dieſer höchſten geiſtigen Sphäre vorhanden ſei, vor dem Richterſtuhle höchſter Erkenntniß und reinſten Wahrheit¬ gewiſſens durchaus unläugbar. — Was dann aber betrifft den erwähnten durch alle Menſchheit-Geſchichte gehenden höhern Inſtinkt, ſo zeigt er ſich an, theils in dem, was von

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/428>, abgerufen am 22.11.2024.