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Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846.

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gleich einleuchten, daß in einem Individuum, dessen unbe¬
wußtes Leben vollkommen gesund ist, unter veranlassen¬
den äußern Umständen und durch falsche freiwillige Rich¬
tung des bewußten Lebens, zwar die heftigsten Aufregungen
der Gefühle und Verirrungen des Erkennens und Wollens
mancherlei Art vorkommen werden, aber nie das vorkommen
kann, was wir ganz eigentlich Krankheitserscheinungen am
Geiste nennen.

Auf welche Weise Verirrungen des bewußten Seelen¬
lebens (oder die sogenannten moralischen Krankheiten) und
namentlich mittels heftiger Gefühlsaufregungen, Geistes¬
krankheiten veranlassen können, ist früher schon bemerklich
gemacht worden; was es dagegen besonders ist, wodurch
vom Unbewußten oder sogenannten Leiblichen aus Krank¬
heitserscheinungen am Geiste bewirkt werden können, dies
gehört eigentlich zu sehr in den Bereich des Arztes, als
daß es hier ausführlich erwogen werden könnte; -- nur
ganz im Allgemeinen sei es daher bemerkt, daß alle Momente
dieser Art entweder direct oder indirect auf Bildung und
Leben des Gehirns Bezug haben müssen. Es ist deßhalb
allerdings etwas sehr Häufiges, eigenthümliche und mannich¬
faltige Verbildungen des Gehirns nicht bloß bei Idioten,
sondern eben so bei unheilbar Wahnsinnigen, durch die
Section zu finden; wo jedoch dergleichen wirklich nicht
aufgefunden werden können, da liegt es entweder daran,
daß die Störung der Bildungsverhältnisse so fein ist, daß
sie den Sinnen entgeht (und dies wird in einem Organ,
dessen mikroskopischer Bau noch immer großentheils ein Räthsel
ist, und dessen wichtigste Lebenserscheinungen, d. i. die Um¬
stimmungen der Innervationsspannung, eben so wenig sicht¬
bar gemacht werden können, als die magnetische Strömung
in einem Stück Eisen, am häufigsten vorkommen), oder,
daß überhaupt das Hirnleben nur indirect ergriffen worden
war. Die Erklärung des Letztern gibt das Folgende. In¬
dem das Hirn nämlich die Bedeutung hat, den Herd zu

gleich einleuchten, daß in einem Individuum, deſſen unbe¬
wußtes Leben vollkommen geſund iſt, unter veranlaſſen¬
den äußern Umſtänden und durch falſche freiwillige Rich¬
tung des bewußten Lebens, zwar die heftigſten Aufregungen
der Gefühle und Verirrungen des Erkennens und Wollens
mancherlei Art vorkommen werden, aber nie das vorkommen
kann, was wir ganz eigentlich Krankheitserſcheinungen am
Geiſte nennen.

Auf welche Weiſe Verirrungen des bewußten Seelen¬
lebens (oder die ſogenannten moraliſchen Krankheiten) und
namentlich mittels heftiger Gefühlſaufregungen, Geiſtes¬
krankheiten veranlaſſen können, iſt früher ſchon bemerklich
gemacht worden; was es dagegen beſonders iſt, wodurch
vom Unbewußten oder ſogenannten Leiblichen aus Krank¬
heitserſcheinungen am Geiſte bewirkt werden können, dies
gehört eigentlich zu ſehr in den Bereich des Arztes, als
daß es hier ausführlich erwogen werden könnte; — nur
ganz im Allgemeinen ſei es daher bemerkt, daß alle Momente
dieſer Art entweder direct oder indirect auf Bildung und
Leben des Gehirns Bezug haben müſſen. Es iſt deßhalb
allerdings etwas ſehr Häufiges, eigenthümliche und mannich¬
faltige Verbildungen des Gehirns nicht bloß bei Idioten,
ſondern eben ſo bei unheilbar Wahnſinnigen, durch die
Section zu finden; wo jedoch dergleichen wirklich nicht
aufgefunden werden können, da liegt es entweder daran,
daß die Störung der Bildungsverhältniſſe ſo fein iſt, daß
ſie den Sinnen entgeht (und dies wird in einem Organ,
deſſen mikroſkopiſcher Bau noch immer großentheils ein Räthſel
iſt, und deſſen wichtigſte Lebenserſcheinungen, d. i. die Um¬
ſtimmungen der Innervationsſpannung, eben ſo wenig ſicht¬
bar gemacht werden können, als die magnetiſche Strömung
in einem Stück Eiſen, am häufigſten vorkommen), oder,
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war. Die Erklärung des Letztern gibt das Folgende. In¬
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[452/0468] gleich einleuchten, daß in einem Individuum, deſſen unbe¬ wußtes Leben vollkommen geſund iſt, unter veranlaſſen¬ den äußern Umſtänden und durch falſche freiwillige Rich¬ tung des bewußten Lebens, zwar die heftigſten Aufregungen der Gefühle und Verirrungen des Erkennens und Wollens mancherlei Art vorkommen werden, aber nie das vorkommen kann, was wir ganz eigentlich Krankheitserſcheinungen am Geiſte nennen. Auf welche Weiſe Verirrungen des bewußten Seelen¬ lebens (oder die ſogenannten moraliſchen Krankheiten) und namentlich mittels heftiger Gefühlſaufregungen, Geiſtes¬ krankheiten veranlaſſen können, iſt früher ſchon bemerklich gemacht worden; was es dagegen beſonders iſt, wodurch vom Unbewußten oder ſogenannten Leiblichen aus Krank¬ heitserſcheinungen am Geiſte bewirkt werden können, dies gehört eigentlich zu ſehr in den Bereich des Arztes, als daß es hier ausführlich erwogen werden könnte; — nur ganz im Allgemeinen ſei es daher bemerkt, daß alle Momente dieſer Art entweder direct oder indirect auf Bildung und Leben des Gehirns Bezug haben müſſen. Es iſt deßhalb allerdings etwas ſehr Häufiges, eigenthümliche und mannich¬ faltige Verbildungen des Gehirns nicht bloß bei Idioten, ſondern eben ſo bei unheilbar Wahnſinnigen, durch die Section zu finden; wo jedoch dergleichen wirklich nicht aufgefunden werden können, da liegt es entweder daran, daß die Störung der Bildungsverhältniſſe ſo fein iſt, daß ſie den Sinnen entgeht (und dies wird in einem Organ, deſſen mikroſkopiſcher Bau noch immer großentheils ein Räthſel iſt, und deſſen wichtigſte Lebenserſcheinungen, d. i. die Um¬ ſtimmungen der Innervationsſpannung, eben ſo wenig ſicht¬ bar gemacht werden können, als die magnetiſche Strömung in einem Stück Eiſen, am häufigſten vorkommen), oder, daß überhaupt das Hirnleben nur indirect ergriffen worden war. Die Erklärung des Letztern gibt das Folgende. In¬ dem das Hirn nämlich die Bedeutung hat, den Herd zu

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Zitationshilfe: Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 452. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/468>, abgerufen am 02.06.2024.