lung des Bewußtseins als Muth und Lebensfrische empfun¬ den wird. Umgekehrt wird gesunkenes Blutleben, größerer Blutverlust, Schwäche der Herzbewegung und Schlaffheit seiner Textur, wiedergespiegelt im Psychischen unter der Form von Niedergeschlagenheit, Furcht, Gefühl allgemeiner Kraftlosigkeit und Unfähigkeit. -- Leicht ist es dabei auch gewahr zu werden, daß es ganz gleich ist von welcher Seite her, ob rein vom Organischen oder rein vom Psychischen her, diese Umstimmungen angeregt werten. Fortgesetzter durch Verhältnisse erregter Zustand von Furcht und Klein¬ muth ruft die erwähnten kranken Zustände des Blutlebens hervor und umgekehrt, und Alles zeigt an, wie sehr wir Ursache haben, immer und immerfort beides nur als Eins zu betrachten. -- Eben so ist es mit der Sphäre der Stoff¬ aufnahme. Das Leben im Verdauungssysteme, durch welches eine neue Fülle von Elementarsubstanz in den Organismus gebracht wird, ist im Psychischen ausgedrückt durch die Be¬ haglichkeit oder die Qual des eigentlichen Gefühls von einem irgendwie wirklich gewordenen Dasein; Zustände welche sich im Angenehmen, im Gefühl der Sättigung, und im Wohlgeschmack, von dem was diesen Zustand herbeiführt, oder in dem Unangenehmen, durch Gefühl des Darbens, des Hungers, des Durstes und im widrigen Eindrucke derjeni¬ gen Elemente, welche der Ernährung nicht vollkommen ge¬ mäß sind, offenbaren und so auch in die höchste bewußte Sphäre sich fortpflanzen. Letzteres indeß immer nur in so fern ein Nervensystem mitwirkt; denn das was eigentlich durstet und hungert oder im Sättigungszustand lebt, ist keineswegs das Nervensystem selbst, d. h. die zum Bewußt¬ sein sich vorbereitende Seele, sondern es sind Modifikationen des ganz Unbewußten, und hier also des Verdauungssystems, d. h. Modificationen desjenigen Lebensgebildes und der Verwirklichung des unbewußten Seelenkreises, welcher den Organismus mit neuen Stoffen zu versorgen und zu durch¬ dringen bestimmt ist. Auch die Pflanze kann dursten oder
lung des Bewußtſeins als Muth und Lebensfriſche empfun¬ den wird. Umgekehrt wird geſunkenes Blutleben, größerer Blutverluſt, Schwäche der Herzbewegung und Schlaffheit ſeiner Textur, wiedergeſpiegelt im Pſychiſchen unter der Form von Niedergeſchlagenheit, Furcht, Gefühl allgemeiner Kraftloſigkeit und Unfähigkeit. — Leicht iſt es dabei auch gewahr zu werden, daß es ganz gleich iſt von welcher Seite her, ob rein vom Organiſchen oder rein vom Pſychiſchen her, dieſe Umſtimmungen angeregt werten. Fortgeſetzter durch Verhältniſſe erregter Zuſtand von Furcht und Klein¬ muth ruft die erwähnten kranken Zuſtände des Blutlebens hervor und umgekehrt, und Alles zeigt an, wie ſehr wir Urſache haben, immer und immerfort beides nur als Eins zu betrachten. — Eben ſo iſt es mit der Sphäre der Stoff¬ aufnahme. Das Leben im Verdauungsſyſteme, durch welches eine neue Fülle von Elementarſubſtanz in den Organismus gebracht wird, iſt im Pſychiſchen ausgedrückt durch die Be¬ haglichkeit oder die Qual des eigentlichen Gefühls von einem irgendwie wirklich gewordenen Daſein; Zuſtände welche ſich im Angenehmen, im Gefühl der Sättigung, und im Wohlgeſchmack, von dem was dieſen Zuſtand herbeiführt, oder in dem Unangenehmen, durch Gefühl des Darbens, des Hungers, des Durſtes und im widrigen Eindrucke derjeni¬ gen Elemente, welche der Ernährung nicht vollkommen ge¬ mäß ſind, offenbaren und ſo auch in die höchſte bewußte Sphäre ſich fortpflanzen. Letzteres indeß immer nur in ſo fern ein Nervenſyſtem mitwirkt; denn das was eigentlich durſtet und hungert oder im Sättigungszuſtand lebt, iſt keineswegs das Nervenſyſtem ſelbſt, d. h. die zum Bewußt¬ ſein ſich vorbereitende Seele, ſondern es ſind Modifikationen des ganz Unbewußten, und hier alſo des Verdauungsſyſtems, d. h. Modificationen desjenigen Lebensgebildes und der Verwirklichung des unbewußten Seelenkreiſes, welcher den Organismus mit neuen Stoffen zu verſorgen und zu durch¬ dringen beſtimmt iſt. Auch die Pflanze kann durſten oder
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0061"n="45"/>
lung des Bewußtſeins als Muth und Lebensfriſche empfun¬<lb/>
den wird. Umgekehrt wird geſunkenes Blutleben, größerer<lb/>
Blutverluſt, Schwäche der Herzbewegung und Schlaffheit<lb/>ſeiner Textur, wiedergeſpiegelt im Pſychiſchen unter der<lb/>
Form von Niedergeſchlagenheit, Furcht, Gefühl allgemeiner<lb/>
Kraftloſigkeit und Unfähigkeit. — Leicht iſt es dabei auch<lb/>
gewahr zu werden, daß es ganz gleich iſt von welcher Seite<lb/>
her, ob rein vom Organiſchen oder rein vom Pſychiſchen<lb/>
her, dieſe Umſtimmungen angeregt werten. Fortgeſetzter<lb/>
durch Verhältniſſe erregter Zuſtand von Furcht und Klein¬<lb/>
muth ruft die erwähnten kranken Zuſtände des Blutlebens<lb/>
hervor und umgekehrt, und Alles zeigt an, wie ſehr wir<lb/>
Urſache haben, immer und immerfort beides nur als <hirendition="#g">Eins</hi><lb/>
zu betrachten. — Eben ſo iſt es mit der Sphäre der Stoff¬<lb/>
aufnahme. Das Leben im Verdauungsſyſteme, durch welches<lb/>
eine neue Fülle von Elementarſubſtanz in den Organismus<lb/>
gebracht wird, iſt im Pſychiſchen ausgedrückt durch die Be¬<lb/>
haglichkeit oder die Qual des eigentlichen Gefühls von<lb/>
einem irgendwie wirklich gewordenen Daſein; Zuſtände welche<lb/>ſich im Angenehmen, im Gefühl der Sättigung, und im<lb/>
Wohlgeſchmack, von dem was dieſen Zuſtand herbeiführt,<lb/>
oder in dem Unangenehmen, durch Gefühl des Darbens, des<lb/>
Hungers, des Durſtes und im widrigen Eindrucke derjeni¬<lb/>
gen Elemente, welche der Ernährung nicht vollkommen ge¬<lb/>
mäß ſind, offenbaren und ſo auch in die höchſte bewußte<lb/>
Sphäre ſich fortpflanzen. Letzteres indeß immer nur in ſo<lb/>
fern ein Nervenſyſtem mitwirkt; denn das was eigentlich<lb/>
durſtet und hungert oder im Sättigungszuſtand lebt, iſt<lb/>
keineswegs das Nervenſyſtem ſelbſt, d. h. die zum Bewußt¬<lb/>ſein ſich vorbereitende Seele, ſondern es ſind Modifikationen<lb/>
des ganz Unbewußten, und hier alſo des Verdauungsſyſtems,<lb/>
d. h. Modificationen desjenigen Lebensgebildes und der<lb/>
Verwirklichung <hirendition="#g">des</hi> unbewußten Seelenkreiſes, welcher den<lb/>
Organismus mit neuen Stoffen zu verſorgen und zu durch¬<lb/>
dringen beſtimmt iſt. Auch die Pflanze kann durſten oder<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[45/0061]
lung des Bewußtſeins als Muth und Lebensfriſche empfun¬
den wird. Umgekehrt wird geſunkenes Blutleben, größerer
Blutverluſt, Schwäche der Herzbewegung und Schlaffheit
ſeiner Textur, wiedergeſpiegelt im Pſychiſchen unter der
Form von Niedergeſchlagenheit, Furcht, Gefühl allgemeiner
Kraftloſigkeit und Unfähigkeit. — Leicht iſt es dabei auch
gewahr zu werden, daß es ganz gleich iſt von welcher Seite
her, ob rein vom Organiſchen oder rein vom Pſychiſchen
her, dieſe Umſtimmungen angeregt werten. Fortgeſetzter
durch Verhältniſſe erregter Zuſtand von Furcht und Klein¬
muth ruft die erwähnten kranken Zuſtände des Blutlebens
hervor und umgekehrt, und Alles zeigt an, wie ſehr wir
Urſache haben, immer und immerfort beides nur als Eins
zu betrachten. — Eben ſo iſt es mit der Sphäre der Stoff¬
aufnahme. Das Leben im Verdauungsſyſteme, durch welches
eine neue Fülle von Elementarſubſtanz in den Organismus
gebracht wird, iſt im Pſychiſchen ausgedrückt durch die Be¬
haglichkeit oder die Qual des eigentlichen Gefühls von
einem irgendwie wirklich gewordenen Daſein; Zuſtände welche
ſich im Angenehmen, im Gefühl der Sättigung, und im
Wohlgeſchmack, von dem was dieſen Zuſtand herbeiführt,
oder in dem Unangenehmen, durch Gefühl des Darbens, des
Hungers, des Durſtes und im widrigen Eindrucke derjeni¬
gen Elemente, welche der Ernährung nicht vollkommen ge¬
mäß ſind, offenbaren und ſo auch in die höchſte bewußte
Sphäre ſich fortpflanzen. Letzteres indeß immer nur in ſo
fern ein Nervenſyſtem mitwirkt; denn das was eigentlich
durſtet und hungert oder im Sättigungszuſtand lebt, iſt
keineswegs das Nervenſyſtem ſelbſt, d. h. die zum Bewußt¬
ſein ſich vorbereitende Seele, ſondern es ſind Modifikationen
des ganz Unbewußten, und hier alſo des Verdauungsſyſtems,
d. h. Modificationen desjenigen Lebensgebildes und der
Verwirklichung des unbewußten Seelenkreiſes, welcher den
Organismus mit neuen Stoffen zu verſorgen und zu durch¬
dringen beſtimmt iſt. Auch die Pflanze kann durſten oder
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Carus, Carl Gustav: Psyche. Zur Entwicklungsgeschichte der Seele. Pforzheim, 1846, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_psyche_1846/61>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.