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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode des Stillstandes bis zum zwölften Jahrhundert.
Grammatiker und Rhetoren aus öffentlichen Mitteln Besoldungen er-
hielten, erlagen dem Andrange der sich westwärts ausbreitenden Völ-
kerstämme.

Selbstverständlich fand unter solchen Verhältnissen keine einzige
Wissenschaft irgend eine Förderung durch den Schulunterricht. Ein
ferneres directes Hinderniß für die Weiterentwickelung der Naturwis-
senschaften lag noch darin, daß auch da, wo überhaupt noch Bildung
angestrebt wurde, dieselbe sich immer strenger formal an die in der
alexandrinischen Zeit entwickelte, seitdem in immer einseitigerer Geltung
sich ausbreitende Encyklopädie der Disciplinen anschloß. Außer den
sieben freien Künsten ward nur Jurisprudenz und Medicin und zwar
aus nahe liegenden praktischen Gründen getrieben. Und wie wenig die
Medicin der ersten Jahrhunderte der christlichen Zeitrechnung auf wis-
senschaftliche Begründung Anspruch machte und machen konnte, bewei-
sen die Schriften eines Serenus Sammonicus, Sextus Placitus,
Marcellus Empiricus u. A. Hier werden zwar auch Thiere und die
von ihnen hergenommenen Heilmittel aufgeführt, aber in einer Weise,
welche nur zu deutlich zeigt, wie sehr theils eine wundersüchtige und
abergläubische Geheimmittellehre, theils eine gedankenlose Nachbeterei
jede gesunde Betrachtung des thierischen Lebens und seiner Träger zu
überwuchern angefangen hatte. Leider blieb eine solche Richtung sehr
lange vorherrschend, auch nachdem bereits von anderer Seite her der
Reform der Heilkunde vorgearbeitet worden war.

Drohte nun Bildung und Unterricht der gänzlichen Zerstörung
entgegenzugehen, so entstand von einer andern Seite her ein in seinem
nächsten und unmittelbaren Einfluß zwar zweifelhafter, für die Erhal-
tung der Denkmäler früherer litterarischer Leistungen aber äußerst wich-
tiger Schutz in der Vermehrung und Ausbreitung christlicher Gemein-
den. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die ersten Lehrer der jungen
Christenschulen mehr als Festigung der Glaubenslehren im Auge gehabt
haben sollten, besonders bei dem so nahe liegenden mehr apologetischen
Charakter ihres etwa öffentlichen Auftretens. Manche Apologeten ver-
fuhren geradezu aggressiv und suchten die heidnische Mythologie und mit
ihr das heidnische Wissen als Ausflüsse dämonischen Unwesens darzu-

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Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert.
Grammatiker und Rhetoren aus öffentlichen Mitteln Beſoldungen er-
hielten, erlagen dem Andrange der ſich weſtwärts ausbreitenden Völ-
kerſtämme.

Selbſtverſtändlich fand unter ſolchen Verhältniſſen keine einzige
Wiſſenſchaft irgend eine Förderung durch den Schulunterricht. Ein
ferneres directes Hinderniß für die Weiterentwickelung der Naturwiſ-
ſenſchaften lag noch darin, daß auch da, wo überhaupt noch Bildung
angeſtrebt wurde, dieſelbe ſich immer ſtrenger formal an die in der
alexandriniſchen Zeit entwickelte, ſeitdem in immer einſeitigerer Geltung
ſich ausbreitende Encyklopädie der Disciplinen anſchloß. Außer den
ſieben freien Künſten ward nur Jurisprudenz und Medicin und zwar
aus nahe liegenden praktiſchen Gründen getrieben. Und wie wenig die
Medicin der erſten Jahrhunderte der chriſtlichen Zeitrechnung auf wiſ-
ſenſchaftliche Begründung Anſpruch machte und machen konnte, bewei-
ſen die Schriften eines Serenus Sammonicus, Sextus Placitus,
Marcellus Empiricus u. A. Hier werden zwar auch Thiere und die
von ihnen hergenommenen Heilmittel aufgeführt, aber in einer Weiſe,
welche nur zu deutlich zeigt, wie ſehr theils eine wunderſüchtige und
abergläubiſche Geheimmittellehre, theils eine gedankenloſe Nachbeterei
jede geſunde Betrachtung des thieriſchen Lebens und ſeiner Träger zu
überwuchern angefangen hatte. Leider blieb eine ſolche Richtung ſehr
lange vorherrſchend, auch nachdem bereits von anderer Seite her der
Reform der Heilkunde vorgearbeitet worden war.

Drohte nun Bildung und Unterricht der gänzlichen Zerſtörung
entgegenzugehen, ſo entſtand von einer andern Seite her ein in ſeinem
nächſten und unmittelbaren Einfluß zwar zweifelhafter, für die Erhal-
tung der Denkmäler früherer litterariſcher Leiſtungen aber äußerſt wich-
tiger Schutz in der Vermehrung und Ausbreitung chriſtlicher Gemein-
den. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die erſten Lehrer der jungen
Chriſtenſchulen mehr als Feſtigung der Glaubenslehren im Auge gehabt
haben ſollten, beſonders bei dem ſo nahe liegenden mehr apologetiſchen
Charakter ihres etwa öffentlichen Auftretens. Manche Apologeten ver-
fuhren geradezu aggreſſiv und ſuchten die heidniſche Mythologie und mit
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[99/0110] Periode des Stillſtandes bis zum zwölften Jahrhundert. Grammatiker und Rhetoren aus öffentlichen Mitteln Beſoldungen er- hielten, erlagen dem Andrange der ſich weſtwärts ausbreitenden Völ- kerſtämme. Selbſtverſtändlich fand unter ſolchen Verhältniſſen keine einzige Wiſſenſchaft irgend eine Förderung durch den Schulunterricht. Ein ferneres directes Hinderniß für die Weiterentwickelung der Naturwiſ- ſenſchaften lag noch darin, daß auch da, wo überhaupt noch Bildung angeſtrebt wurde, dieſelbe ſich immer ſtrenger formal an die in der alexandriniſchen Zeit entwickelte, ſeitdem in immer einſeitigerer Geltung ſich ausbreitende Encyklopädie der Disciplinen anſchloß. Außer den ſieben freien Künſten ward nur Jurisprudenz und Medicin und zwar aus nahe liegenden praktiſchen Gründen getrieben. Und wie wenig die Medicin der erſten Jahrhunderte der chriſtlichen Zeitrechnung auf wiſ- ſenſchaftliche Begründung Anſpruch machte und machen konnte, bewei- ſen die Schriften eines Serenus Sammonicus, Sextus Placitus, Marcellus Empiricus u. A. Hier werden zwar auch Thiere und die von ihnen hergenommenen Heilmittel aufgeführt, aber in einer Weiſe, welche nur zu deutlich zeigt, wie ſehr theils eine wunderſüchtige und abergläubiſche Geheimmittellehre, theils eine gedankenloſe Nachbeterei jede geſunde Betrachtung des thieriſchen Lebens und ſeiner Träger zu überwuchern angefangen hatte. Leider blieb eine ſolche Richtung ſehr lange vorherrſchend, auch nachdem bereits von anderer Seite her der Reform der Heilkunde vorgearbeitet worden war. Drohte nun Bildung und Unterricht der gänzlichen Zerſtörung entgegenzugehen, ſo entſtand von einer andern Seite her ein in ſeinem nächſten und unmittelbaren Einfluß zwar zweifelhafter, für die Erhal- tung der Denkmäler früherer litterariſcher Leiſtungen aber äußerſt wich- tiger Schutz in der Vermehrung und Ausbreitung chriſtlicher Gemein- den. Es war freilich nicht zu erwarten, daß die erſten Lehrer der jungen Chriſtenſchulen mehr als Feſtigung der Glaubenslehren im Auge gehabt haben ſollten, beſonders bei dem ſo nahe liegenden mehr apologetiſchen Charakter ihres etwa öffentlichen Auftretens. Manche Apologeten ver- fuhren geradezu aggreſſiv und ſuchten die heidniſche Mythologie und mit ihr das heidniſche Wiſſen als Ausflüſſe dämoniſchen Unweſens darzu- 7*

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/110>, abgerufen am 21.11.2024.