Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Die Zoologie des Mittelalters. mindern. Man braucht sich nur daran zu erinnern, wie in den späternJahrhunderten des absterbenden Heidenthums über die Stellung der Sklaven gedacht und geurtheilt wurde1). Aber auch schon früher war durch vorwiegende Richtung der Erziehung auf Entwickelung sogenannter Bürgertugenden weder dafür gesorgt worden, daß der im Hinaustreten an die Oeffentlichkeit stets neue Nahrung findende Egoismus durch Er- weckung eines wahrhaft menschlichen Bewußtseins gezügelt werde, noch hatte man für den völligen Mangel eines das Gemüthsleben veredeln- den Familienlebens in der Form und dem Gehalt des Unterrichts einen Ersatz zu finden gewußt2). Grammatik, als die elementarste Kunde von der äußern Form, den Gesetzen der Sprache und deren Litteratur, war die Grundlage, mit welcher versehen der Jüngling der Rhetoren- schule zueilte, um hier durch hohlen Schwall prunkender Phrasen das überdecken zu lernen, daß man möglichst wenig sagte und sagen durfte. Die meistens daneben getriebene Philosophie spitzte sich bald zu einer Dialektik zu. Bei der Unthätigkeit, zu welcher während des straff des- potischen Regiments die Mehrheit der Staatsbürger in Betreff der öffentlichen Angelegenheiten verurtheilt war, beschränkte sich auch das früher allgemeinere, nun mehr zünftig werdende Studium der Rechts- kunde immer mehr oder wurde zu einer bloßen Kenntniß der wichtigsten Gesetze herabgedrückt. Die früher wegen ihrer Beziehung zur Astrono- mie gepflegten Fächer der Geometrie und Arithmetik wurden allmählich verlassen. Je mehr die Bevölkerung mit fremden Elementen durchsetzt wurde, desto mehr schwand der Sinn für litterarische Bildung, welcher selbst durch die strengere Zucht, der die kaiserlichen Schulen, z. B. das Athenäum in Rom, unterworfen wurden, nicht zu beleben war. So war der Zustand in Italien. Aber auch die in den meisten größeren Städten der einzelnen Provinzen eingerichteten Schulen, an denen 1) Themistius, welcher von seiner Behandlung der Sklaven geradezu den Namen Basanistes erhielt, spricht den gebornen Sklaven jede Fähigkeit zu höheren menschlichen Gesinnungen ab. Macrobius verhandelt ganz ernstlich darüber, ob die Sklaven überhaupt Menschenrang hätten und ob sich die Götter um sie küm- merten. Saturn. I, 11. vergl. Burckhardt, a. a. O. S. 427. 2) vergl. C. Schmidt, Essai historique sur la societe civile dans le
monde remain. Strasbourg, 1853. S. 64 u. a. a. O. Die Zoologie des Mittelalters. mindern. Man braucht ſich nur daran zu erinnern, wie in den ſpäternJahrhunderten des abſterbenden Heidenthums über die Stellung der Sklaven gedacht und geurtheilt wurde1). Aber auch ſchon früher war durch vorwiegende Richtung der Erziehung auf Entwickelung ſogenannter Bürgertugenden weder dafür geſorgt worden, daß der im Hinaustreten an die Oeffentlichkeit ſtets neue Nahrung findende Egoismus durch Er- weckung eines wahrhaft menſchlichen Bewußtſeins gezügelt werde, noch hatte man für den völligen Mangel eines das Gemüthsleben veredeln- den Familienlebens in der Form und dem Gehalt des Unterrichts einen Erſatz zu finden gewußt2). Grammatik, als die elementarſte Kunde von der äußern Form, den Geſetzen der Sprache und deren Litteratur, war die Grundlage, mit welcher verſehen der Jüngling der Rhetoren- ſchule zueilte, um hier durch hohlen Schwall prunkender Phraſen das überdecken zu lernen, daß man möglichſt wenig ſagte und ſagen durfte. Die meiſtens daneben getriebene Philoſophie ſpitzte ſich bald zu einer Dialektik zu. Bei der Unthätigkeit, zu welcher während des ſtraff des- potiſchen Regiments die Mehrheit der Staatsbürger in Betreff der öffentlichen Angelegenheiten verurtheilt war, beſchränkte ſich auch das früher allgemeinere, nun mehr zünftig werdende Studium der Rechts- kunde immer mehr oder wurde zu einer bloßen Kenntniß der wichtigſten Geſetze herabgedrückt. Die früher wegen ihrer Beziehung zur Aſtrono- mie gepflegten Fächer der Geometrie und Arithmetik wurden allmählich verlaſſen. Je mehr die Bevölkerung mit fremden Elementen durchſetzt wurde, deſto mehr ſchwand der Sinn für litterariſche Bildung, welcher ſelbſt durch die ſtrengere Zucht, der die kaiſerlichen Schulen, z. B. das Athenäum in Rom, unterworfen wurden, nicht zu beleben war. So war der Zuſtand in Italien. Aber auch die in den meiſten größeren Städten der einzelnen Provinzen eingerichteten Schulen, an denen 1) Themiſtius, welcher von ſeiner Behandlung der Sklaven geradezu den Namen Baſaniſtes erhielt, ſpricht den gebornen Sklaven jede Fähigkeit zu höheren menſchlichen Geſinnungen ab. Macrobius verhandelt ganz ernſtlich darüber, ob die Sklaven überhaupt Menſchenrang hätten und ob ſich die Götter um ſie küm- merten. Saturn. I, 11. vergl. Burckhardt, a. a. O. S. 427. 2) vergl. C. Schmidt, Essai historique sur la société civile dans le
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Die Zoologie des Mittelalters.
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Jahrhunderten des abſterbenden Heidenthums über die Stellung der
Sklaven gedacht und geurtheilt wurde 1). Aber auch ſchon früher war
durch vorwiegende Richtung der Erziehung auf Entwickelung ſogenannter
Bürgertugenden weder dafür geſorgt worden, daß der im Hinaustreten
an die Oeffentlichkeit ſtets neue Nahrung findende Egoismus durch Er-
weckung eines wahrhaft menſchlichen Bewußtſeins gezügelt werde, noch
hatte man für den völligen Mangel eines das Gemüthsleben veredeln-
den Familienlebens in der Form und dem Gehalt des Unterrichts einen
Erſatz zu finden gewußt 2). Grammatik, als die elementarſte Kunde
von der äußern Form, den Geſetzen der Sprache und deren Litteratur,
war die Grundlage, mit welcher verſehen der Jüngling der Rhetoren-
ſchule zueilte, um hier durch hohlen Schwall prunkender Phraſen das
überdecken zu lernen, daß man möglichſt wenig ſagte und ſagen durfte.
Die meiſtens daneben getriebene Philoſophie ſpitzte ſich bald zu einer
Dialektik zu. Bei der Unthätigkeit, zu welcher während des ſtraff des-
potiſchen Regiments die Mehrheit der Staatsbürger in Betreff der
öffentlichen Angelegenheiten verurtheilt war, beſchränkte ſich auch das
früher allgemeinere, nun mehr zünftig werdende Studium der Rechts-
kunde immer mehr oder wurde zu einer bloßen Kenntniß der wichtigſten
Geſetze herabgedrückt. Die früher wegen ihrer Beziehung zur Aſtrono-
mie gepflegten Fächer der Geometrie und Arithmetik wurden allmählich
verlaſſen. Je mehr die Bevölkerung mit fremden Elementen durchſetzt
wurde, deſto mehr ſchwand der Sinn für litterariſche Bildung, welcher
ſelbſt durch die ſtrengere Zucht, der die kaiſerlichen Schulen, z. B. das
Athenäum in Rom, unterworfen wurden, nicht zu beleben war. So
war der Zuſtand in Italien. Aber auch die in den meiſten größeren
Städten der einzelnen Provinzen eingerichteten Schulen, an denen
1) Themiſtius, welcher von ſeiner Behandlung der Sklaven geradezu den
Namen Baſaniſtes erhielt, ſpricht den gebornen Sklaven jede Fähigkeit zu höheren
menſchlichen Geſinnungen ab. Macrobius verhandelt ganz ernſtlich darüber, ob
die Sklaven überhaupt Menſchenrang hätten und ob ſich die Götter um ſie küm-
merten. Saturn. I, 11. vergl. Burckhardt, a. a. O. S. 427.
2) vergl. C. Schmidt, Essai historique sur la société civile dans le
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Zitationshilfe: | Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/109>, abgerufen am 16.02.2025. |