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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Die Zoologie des Mittelalters.
Eine Veröffentlichung desselben wäre in Rücksicht auf das große Inter-
esse, welches dieses Stück altnordischer Litteratur fachlich und formell
darbietet, äußerst wünschenswerth25).

Von einem angelsächsischen Physiologus sind leider nur
Bruchstücke erhalten, Panther und Walfisch vollständig und ein Frag-
ment vom Rebhuhn. Das Vorhandene weist ihn in die Reihe der üb-
rigen Bearbeitungen. Er ist metrisch, schließt sich aber nicht an Theo-
bald
, sondern an den ausführlicheren anonymen Physiologus an26).

Der Angabe des Herausgebers zufolge gehört der provenca-
lische
Physiologus dem dreizehnten Jahrhundert an. Er steht zwar
seinem ganzen Inhalte nach nicht völlig isolirt, nimmt aber doch durch
seine etwas abweichende Form den andern Bearbeitungen gegenüber
eine besondere Stellung ein27). Auch fehlen ihm die Moralisationen.

Schon früher war der Physiologus oder Bestiarius in verschiedne
altfranzösische Dialekte übersetzt worden. Als älteste Bearbeitung ist
die metrische normannische des Philippe de Thaun zu nennen,
welche 1121 verfaßt wurde und zwar im Ganzen ziemlich ausgeführt
ist, aber doch den lateinischen, überhaupt älteren Formen sehr nahe
steht28). Ziemlich hundert Jahre später (ungefähr 1210) brachte ein
andrer Troudere normand, Guillaume, auch clerc de Normandie
genannt, den Physiologus nochmals in Verse 29). Fast gleichzeitig mit

25) Pergamenthandschrift der Kopenhagener Bibliothek
aus dem 13. Jahr-
hundert. Der treuen Theilnahme meines lieben Freundes des Prof. Theodor Mö-
bius
in Kiel verdanke ich ein lithographirtes Facsimile dieses merkwürdigen Stückes
mit einer Uebersetzung, ohne welche ich den kostbaren Schatz nicht hätte heben kön-
nen. Möchte er seinen Vorsatz bald ausführen, diesen interessanten Beleg für die
geographische Verbreitung des Physiologus herauszugeben.
26) Herausgegeben in: Grein, Bibliothek der angelsächsischen Poesie. Bd. 1.
Göttingen, 1857. S. 233-238.
27) Abgedruckt in: Bartsch, Chrestomatie
provencale. Elberfeld,
1868. Sp. 325-330
28) Philippus Taonensis, bestiarius. abgedruckt in: Th.
Wright
,
Popular treatises on science written during the middle ages. London, 1841.
p. 74-131;
nach einem Cottonian Manuscript in London. Eine andere Hand-
schrift findet sich in Kopenhagen. s. Abrahams, Descript. des Manuscr. franc.
du moyen age de la bibl. roy. de Copenhague. Copenh. 1844. Nr. XIX. p. 44.
29) Le bestiaire divin de Guillaume Clerc de Normandic. publie par

Die Zoologie des Mittelalters.
Eine Veröffentlichung deſſelben wäre in Rückſicht auf das große Inter-
eſſe, welches dieſes Stück altnordiſcher Litteratur fachlich und formell
darbietet, äußerſt wünſchenswerth25).

Von einem angelſächſiſchen Phyſiologus ſind leider nur
Bruchſtücke erhalten, Panther und Walfiſch vollſtändig und ein Frag-
ment vom Rebhuhn. Das Vorhandene weiſt ihn in die Reihe der üb-
rigen Bearbeitungen. Er iſt metriſch, ſchließt ſich aber nicht an Theo-
bald
, ſondern an den ausführlicheren anonymen Phyſiologus an26).

Der Angabe des Herausgebers zufolge gehört der provença-
liſche
Phyſiologus dem dreizehnten Jahrhundert an. Er ſteht zwar
ſeinem ganzen Inhalte nach nicht völlig iſolirt, nimmt aber doch durch
ſeine etwas abweichende Form den andern Bearbeitungen gegenüber
eine beſondere Stellung ein27). Auch fehlen ihm die Moraliſationen.

Schon früher war der Phyſiologus oder Beſtiarius in verſchiedne
altfranzöſiſche Dialekte überſetzt worden. Als älteſte Bearbeitung iſt
die metriſche normanniſche des Philippe de Thaun zu nennen,
welche 1121 verfaßt wurde und zwar im Ganzen ziemlich ausgeführt
iſt, aber doch den lateiniſchen, überhaupt älteren Formen ſehr nahe
ſteht28). Ziemlich hundert Jahre ſpäter (ungefähr 1210) brachte ein
andrer Troudère normand, Guillaume, auch clerc de Normandie
genannt, den Phyſiologus nochmals in Verſe 29). Faſt gleichzeitig mit

25) Pergamenthandſchrift der Kopenhagener Bibliothek
aus dem 13. Jahr-
hundert. Der treuen Theilnahme meines lieben Freundes des Prof. Theodor Mö-
bius
in Kiel verdanke ich ein lithographirtes Facſimile dieſes merkwürdigen Stückes
mit einer Ueberſetzung, ohne welche ich den koſtbaren Schatz nicht hätte heben kön-
nen. Möchte er ſeinen Vorſatz bald ausführen, dieſen intereſſanten Beleg für die
geographiſche Verbreitung des Phyſiologus herauszugeben.
26) Herausgegeben in: Grein, Bibliothek der angelſächſiſchen Poeſie. Bd. 1.
Göttingen, 1857. S. 233-238.
27) Abgedruckt in: Bartsch, Chrestomatie
provençale. Elberfeld,
1868. Sp. 325-330
28) Philippus Taonensis, bestiarius. abgedruckt in: Th.
Wright
,
Popular treatises on science written during the middle ages. London, 1841.
p. 74-131;
nach einem Cottonian Manuſcript in London. Eine andere Hand-
ſchrift findet ſich in Kopenhagen. ſ. Abrahams, Descript. des Manuscr. franç.
du moyen âge de la bibl. roy. de Copenhague. Copenh. 1844. Nr. XIX. p. 44.
29) Le bestiaire divin de Guillaume Clerc de Normandic. publié par
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[116/0127] Die Zoologie des Mittelalters. Eine Veröffentlichung deſſelben wäre in Rückſicht auf das große Inter- eſſe, welches dieſes Stück altnordiſcher Litteratur fachlich und formell darbietet, äußerſt wünſchenswerth 25). Von einem angelſächſiſchen Phyſiologus ſind leider nur Bruchſtücke erhalten, Panther und Walfiſch vollſtändig und ein Frag- ment vom Rebhuhn. Das Vorhandene weiſt ihn in die Reihe der üb- rigen Bearbeitungen. Er iſt metriſch, ſchließt ſich aber nicht an Theo- bald, ſondern an den ausführlicheren anonymen Phyſiologus an 26). Der Angabe des Herausgebers zufolge gehört der provença- liſche Phyſiologus dem dreizehnten Jahrhundert an. Er ſteht zwar ſeinem ganzen Inhalte nach nicht völlig iſolirt, nimmt aber doch durch ſeine etwas abweichende Form den andern Bearbeitungen gegenüber eine beſondere Stellung ein 27). Auch fehlen ihm die Moraliſationen. Schon früher war der Phyſiologus oder Beſtiarius in verſchiedne altfranzöſiſche Dialekte überſetzt worden. Als älteſte Bearbeitung iſt die metriſche normanniſche des Philippe de Thaun zu nennen, welche 1121 verfaßt wurde und zwar im Ganzen ziemlich ausgeführt iſt, aber doch den lateiniſchen, überhaupt älteren Formen ſehr nahe ſteht 28). Ziemlich hundert Jahre ſpäter (ungefähr 1210) brachte ein andrer Troudère normand, Guillaume, auch clerc de Normandie genannt, den Phyſiologus nochmals in Verſe 29). Faſt gleichzeitig mit 25) Pergamenthandſchrift der Kopenhagener Bibliothek aus dem 13. Jahr- hundert. Der treuen Theilnahme meines lieben Freundes des Prof. Theodor Mö- bius in Kiel verdanke ich ein lithographirtes Facſimile dieſes merkwürdigen Stückes mit einer Ueberſetzung, ohne welche ich den koſtbaren Schatz nicht hätte heben kön- nen. Möchte er ſeinen Vorſatz bald ausführen, dieſen intereſſanten Beleg für die geographiſche Verbreitung des Phyſiologus herauszugeben. 26) Herausgegeben in: Grein, Bibliothek der angelſächſiſchen Poeſie. Bd. 1. Göttingen, 1857. S. 233-238. 27) Abgedruckt in: Bartsch, Chrestomatie provençale. Elberfeld, 1868. Sp. 325-330 28) Philippus Taonensis, bestiarius. abgedruckt in: Th. Wright, Popular treatises on science written during the middle ages. London, 1841. p. 74-131; nach einem Cottonian Manuſcript in London. Eine andere Hand- ſchrift findet ſich in Kopenhagen. ſ. Abrahams, Descript. des Manuscr. franç. du moyen âge de la bibl. roy. de Copenhague. Copenh. 1844. Nr. XIX. p. 44. 29) Le bestiaire divin de Guillaume Clerc de Normandic. publié par

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/127>, abgerufen am 17.05.2024.