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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Die Zoologie des Mittelalters.

Im griechischen Physiologus wird sowohl von der Krähe als
von der Turteltaube rühmend erwähnt, daß sie nach dem Tode
ihres Männchens den Witwenstand bewahre und eheliche Treue selbst
nach dem Tode noch halte. Für die Krähe wird Jeremias 3, 2 ange-
führt58). Von der Turteltaube wird noch unter Bezugnahme auf Hohe-
lied 2, 12 erzählt, daß sie die Einsamkeit liebe. Die Keuschheit und
Treue der Tauben wird schon von Aristoteles (hist. anim.9, 53 und
56) und Aelian (hist. anim. 3, 44) erwähnt, während letzterer (3, 9)
Treue und Bewahrung des Witwenstandes der Krähe beilegt. Im
syrischen Physiologus (Tychsen) finden sich beide Thiere, indeß die Tur-
teltaube nur als ein die Einsamkeit liebender Vogel. Wo in späteren
Bearbeitungen der Turtur vorkommt, wird ihm unter Anführung der
Stelle aus dem Hohenlied die Treue der Witwe nachgerühmt, ohne die
aus dieser Stelle entnommene Eigenschaft zu erwähnen. Es ist hier
also durch die Aehnlichkeit der den beiden Thieren beigelegten Eigen-
schaften veranlaßt eine Verwechselung eingetreten, in Folge deren die
Krähe später ganz ausfiel. Daß diese Verwechselung dadurch entstan-
den sei, daß man statt Turteltaube "schwarze Taube" sagte, liegt zu
weit ab59).

Die Fulica der lateinischen und späteren Physiologen ist ur-
sprünglich ein anderes Thier, als etwa die jetzige Gattung dieses Na-
mens, nämlich das hebräische Chasida. Der griechisch-alexandrinische
Uebersetzer hat Erodios. Daher erzählt sowohl der griechische als syrische
Physiologus, daß der Erodius ein äußerst kluger60) Vogel sei, welcher

58) Pitra vermuthet Jesajas 59, 11; aber die angeführten Worte: ekathisa
osei korone memonomene entsprechen der griechisch-alexandrinischen Uebersetzung
von Jerem. 3, 2 so genau, daß nicht daran zu zweifeln ist, letztere Stelle sei ge-
meint. Sie lautet: ekathisa autois osei korone eremoumene (Ausgabe von
Tischendorf).
59) Horapollo führt 2, 32 die peristera melaina als treue Witwe an. Der
Möglichkeit einer hieraus entstandenen Verwechselung gedenkt Cahier (Melanges
etc. T. 3. p. 264
).
60) Tychsen übersetzt zwar avis maligna. Die Uebereinstimmung aller
übrigen Physiologi spricht aber dafür, daß das syrische Wort areim hier nur "schlau",
"klug" heißt.
Die Zoologie des Mittelalters.

Im griechiſchen Phyſiologus wird ſowohl von der Krähe als
von der Turteltaube rühmend erwähnt, daß ſie nach dem Tode
ihres Männchens den Witwenſtand bewahre und eheliche Treue ſelbſt
nach dem Tode noch halte. Für die Krähe wird Jeremias 3, 2 ange-
führt58). Von der Turteltaube wird noch unter Bezugnahme auf Hohe-
lied 2, 12 erzählt, daß ſie die Einſamkeit liebe. Die Keuſchheit und
Treue der Tauben wird ſchon von Ariſtoteles (hist. anim.9, 53 und
56) und Aelian (hist. anim. 3, 44) erwähnt, während letzterer (3, 9)
Treue und Bewahrung des Witwenſtandes der Krähe beilegt. Im
ſyriſchen Phyſiologus (Tychſen) finden ſich beide Thiere, indeß die Tur-
teltaube nur als ein die Einſamkeit liebender Vogel. Wo in ſpäteren
Bearbeitungen der Turtur vorkommt, wird ihm unter Anführung der
Stelle aus dem Hohenlied die Treue der Witwe nachgerühmt, ohne die
aus dieſer Stelle entnommene Eigenſchaft zu erwähnen. Es iſt hier
alſo durch die Aehnlichkeit der den beiden Thieren beigelegten Eigen-
ſchaften veranlaßt eine Verwechſelung eingetreten, in Folge deren die
Krähe ſpäter ganz ausfiel. Daß dieſe Verwechſelung dadurch entſtan-
den ſei, daß man ſtatt Turteltaube „ſchwarze Taube“ ſagte, liegt zu
weit ab59).

Die Fulica der lateiniſchen und ſpäteren Phyſiologen iſt ur-
ſprünglich ein anderes Thier, als etwa die jetzige Gattung dieſes Na-
mens, nämlich das hebräiſche Chaſida. Der griechiſch-alexandriniſche
Ueberſetzer hat Erodios. Daher erzählt ſowohl der griechiſche als ſyriſche
Phyſiologus, daß der Erodius ein äußerſt kluger60) Vogel ſei, welcher

58) Pitra vermuthet Jeſajas 59, 11; aber die angeführten Worte: ἐκάθισα
ὡσεὶ κορώνη μεμονωμένη entſprechen der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung
von Jerem. 3, 2 ſo genau, daß nicht daran zu zweifeln iſt, letztere Stelle ſei ge-
meint. Sie lautet: ἐκάθισα αὐτοῖς ὡσεὶ κορώνη ἐρημουμένη (Ausgabe von
Tiſchendorf).
59) Horapollo führt 2, 32 die περίστερα μέλαινα als treue Witwe an. Der
Möglichkeit einer hieraus entſtandenen Verwechſelung gedenkt Cahier (Mélanges
etc. T. 3. p. 264
).
60) Tychſen überſetzt zwar avis maligna. Die Uebereinſtimmung aller
übrigen Phyſiologi ſpricht aber dafür, daß das ſyriſche Wort a̔rîm hier nur „ſchlau“,
„klug“ heißt.
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[132/0143] Die Zoologie des Mittelalters. Im griechiſchen Phyſiologus wird ſowohl von der Krähe als von der Turteltaube rühmend erwähnt, daß ſie nach dem Tode ihres Männchens den Witwenſtand bewahre und eheliche Treue ſelbſt nach dem Tode noch halte. Für die Krähe wird Jeremias 3, 2 ange- führt 58). Von der Turteltaube wird noch unter Bezugnahme auf Hohe- lied 2, 12 erzählt, daß ſie die Einſamkeit liebe. Die Keuſchheit und Treue der Tauben wird ſchon von Ariſtoteles (hist. anim.9, 53 und 56) und Aelian (hist. anim. 3, 44) erwähnt, während letzterer (3, 9) Treue und Bewahrung des Witwenſtandes der Krähe beilegt. Im ſyriſchen Phyſiologus (Tychſen) finden ſich beide Thiere, indeß die Tur- teltaube nur als ein die Einſamkeit liebender Vogel. Wo in ſpäteren Bearbeitungen der Turtur vorkommt, wird ihm unter Anführung der Stelle aus dem Hohenlied die Treue der Witwe nachgerühmt, ohne die aus dieſer Stelle entnommene Eigenſchaft zu erwähnen. Es iſt hier alſo durch die Aehnlichkeit der den beiden Thieren beigelegten Eigen- ſchaften veranlaßt eine Verwechſelung eingetreten, in Folge deren die Krähe ſpäter ganz ausfiel. Daß dieſe Verwechſelung dadurch entſtan- den ſei, daß man ſtatt Turteltaube „ſchwarze Taube“ ſagte, liegt zu weit ab 59). Die Fulica der lateiniſchen und ſpäteren Phyſiologen iſt ur- ſprünglich ein anderes Thier, als etwa die jetzige Gattung dieſes Na- mens, nämlich das hebräiſche Chaſida. Der griechiſch-alexandriniſche Ueberſetzer hat Erodios. Daher erzählt ſowohl der griechiſche als ſyriſche Phyſiologus, daß der Erodius ein äußerſt kluger 60) Vogel ſei, welcher 58) Pitra vermuthet Jeſajas 59, 11; aber die angeführten Worte: ἐκάθισα ὡσεὶ κορώνη μεμονωμένη entſprechen der griechiſch-alexandriniſchen Ueberſetzung von Jerem. 3, 2 ſo genau, daß nicht daran zu zweifeln iſt, letztere Stelle ſei ge- meint. Sie lautet: ἐκάθισα αὐτοῖς ὡσεὶ κορώνη ἐρημουμένη (Ausgabe von Tiſchendorf). 59) Horapollo führt 2, 32 die περίστερα μέλαινα als treue Witwe an. Der Möglichkeit einer hieraus entſtandenen Verwechſelung gedenkt Cahier (Mélanges etc. T. 3. p. 264). 60) Tychſen überſetzt zwar avis maligna. Die Uebereinſtimmung aller übrigen Phyſiologi ſpricht aber dafür, daß das ſyriſche Wort a̔rîm hier nur „ſchlau“, „klug“ heißt.

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/143>, abgerufen am 21.11.2024.