Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Zoologie des Mittelalters.
Vitriaco auf Bäumen entstehen (starb 1240)163). Hier wird überall
eine bestimmte Oertlichkeit angegeben und einer Erwähnung dieser Vögel
bei früheren Schriftstellern nicht gedacht. Auch erwähnt noch später der
im Jahre 1331 gestorbene Odoricus von Pordenone (de Porta
Naonis,
auch von Udine genannt), daß ihn das in der Tartarei gesehene
sogenannte vegetabilische Lamm an die Baumvögel in Schottland erin-
nert habe164). Der erste Schriftsteller, welcher sich für die Erzählung
auf ältere Quellen beruft, ist der später ausführlich zu besprechende
Thomas von Cantimpre. Er sagt ausdrücklich, "die Barliaten
wachsen, wie Aristoteles sagt, auf Bäumen; es sind die Vögel welche
das Volk barnescas nennt". Im Aristoteles findet sich keine auf die
Fabel sich beziehende Angabe; man könnte höchstens die Behauptung
des Aristoteles hier anführen wollen, daß Insecten in faulendem Holze
entständen. Daß der Gedanke an Insecten nicht etwa weit hergeholt
ist, beweist ein Citat bei Michael Mayer, welcher sagt, Plutarch
habe in dem Tractate über die Frage, ob das Ei älter sei als die Henne,
solcher Vögel Erwähnung gethan. Plutarch spricht aber in der einzigen
hierher zu beziehenden Stelle dieser Schrift allein von der Entstehung
von Insecten aus oder in Bäumen, welche nun wohl, wie es oben für
Bienen und Ameisen mitgetheilt wurde, als Vögel bezeichnet worden
sein können165). Es erzählt übrigens Thomas von Cantimpre auch,

163) in der Historia Hierosolimitana, abgedruckt in den Gesta Dei per
Francos. Hanoviae, 1611. p. 1112.
164) Ramusio, Secondo Volume delle navigatione et viaggi. Venetia,
1574. fol. 248 V. "pomi violati e tondi alla guisa di una zucca, da quali
quando sono maturi esce fuori un' uccello".
Dieselbe Geschichte erwähnt bei
gleicher Gelegenheit Sir John Maundeville, the voiage and travaile etc. ed.
by J. O. Halliwell. London, 1839. p. 264.
165) Mich. Maier, Tract. de volucri arborea absque patre et matre
in insulis Orcadum forma anserculorum proveniente. Francofurti, 1619.

Michael Mayer war Leibarzt Rudolph's II und wurde als solcher Pfalzgraf.
Einen Auszug aus seiner Schrift gab Joh. Johnstonus, Thaumatographia
naturalis Amstelod. 1661. p. 277-292.
Die Stelle im Plutarch findet sich:
Ausgabe von Reiske. Bd. 8. S. 521. Dela Faille führt in einem Aufsatz
(Mem. pres. Acad. d. Scienc. Paris T. 9. 1780. p. 331.) Plinius und Aelian
als Gewährsmänner an; in beiden findet sich nichts einschlägliches.

Die Zoologie des Mittelalters.
Vitriaco auf Bäumen entſtehen (ſtarb 1240)163). Hier wird überall
eine beſtimmte Oertlichkeit angegeben und einer Erwähnung dieſer Vögel
bei früheren Schriftſtellern nicht gedacht. Auch erwähnt noch ſpäter der
im Jahre 1331 geſtorbene Odoricus von Pordenone (de Porta
Naonis,
auch von Udine genannt), daß ihn das in der Tartarei geſehene
ſogenannte vegetabiliſche Lamm an die Baumvögel in Schottland erin-
nert habe164). Der erſte Schriftſteller, welcher ſich für die Erzählung
auf ältere Quellen beruft, iſt der ſpäter ausführlich zu beſprechende
Thomas von Cantimpré. Er ſagt ausdrücklich, „die Barliaten
wachſen, wie Ariſtoteles ſagt, auf Bäumen; es ſind die Vögel welche
das Volk barnescas nennt“. Im Ariſtoteles findet ſich keine auf die
Fabel ſich beziehende Angabe; man könnte höchſtens die Behauptung
des Ariſtoteles hier anführen wollen, daß Inſecten in faulendem Holze
entſtänden. Daß der Gedanke an Inſecten nicht etwa weit hergeholt
iſt, beweiſt ein Citat bei Michael Mayer, welcher ſagt, Plutarch
habe in dem Tractate über die Frage, ob das Ei älter ſei als die Henne,
ſolcher Vögel Erwähnung gethan. Plutarch ſpricht aber in der einzigen
hierher zu beziehenden Stelle dieſer Schrift allein von der Entſtehung
von Inſecten aus oder in Bäumen, welche nun wohl, wie es oben für
Bienen und Ameiſen mitgetheilt wurde, als Vögel bezeichnet worden
ſein können165). Es erzählt übrigens Thomas von Cantimpré auch,

163) in der Historia Hierosolimitana, abgedruckt in den Gesta Dei per
Francos. Hanoviae, 1611. p. 1112.
164) Ramusio, Secondo Volume delle navigatione et viaggi. Venetia,
1574. fol. 248 V. „pomi violati e tondi alla guisa di una zucca, da quali
quando sono maturi esce fuori un' uccello“.
Dieſelbe Geſchichte erwähnt bei
gleicher Gelegenheit Sir John Maundeville, the voiage and travaile etc. ed.
by J. O. Halliwell. London, 1839. p. 264.
165) Mich. Maier, Tract. de volucri arborea absque patre et matre
in insulis Orcadum forma anserculorum proveniente. Francofurti, 1619.

Michael Mayer war Leibarzt Rudolph's II und wurde als ſolcher Pfalzgraf.
Einen Auszug aus ſeiner Schrift gab Joh. Johnstonus, Thaumatographia
naturalis Amstelod. 1661. p. 277-292.
Die Stelle im Plutarch findet ſich:
Ausgabe von Reiske. Bd. 8. S. 521. Dela Faille führt in einem Aufſatz
(Mém. prés. Acad. d. Scienc. Paris T. 9. 1780. p. 331.) Plinius und Aelian
als Gewährsmänner an; in beiden findet ſich nichts einſchlägliches.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><hi rendition="#g"><pb facs="#f0203" n="192"/><fw place="top" type="header">Die Zoologie des Mittelalters.</fw><lb/>
Vitriaco</hi> auf Bäumen ent&#x017F;tehen (&#x017F;tarb 1240)<note place="foot" n="163)">in der <hi rendition="#aq">Historia Hierosolimitana,</hi> abgedruckt in den <hi rendition="#aq">Gesta Dei per<lb/>
Francos. Hanoviae, 1611. p. 1112.</hi></note>. Hier wird überall<lb/>
eine be&#x017F;timmte Oertlichkeit angegeben und einer Erwähnung die&#x017F;er Vögel<lb/>
bei früheren Schrift&#x017F;tellern nicht gedacht. Auch erwähnt noch &#x017F;päter der<lb/>
im Jahre 1331 ge&#x017F;torbene <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118786709">Odoricus</persName> von Pordenone</hi> (<hi rendition="#aq">de Porta<lb/>
Naonis,</hi> auch von <placeName>Udine</placeName> genannt), daß ihn das in der Tartarei ge&#x017F;ehene<lb/>
&#x017F;ogenannte vegetabili&#x017F;che Lamm an die Baumvögel in Schottland erin-<lb/>
nert habe<note place="foot" n="164)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/128993456">Ramusio</persName></hi>, Secondo Volume delle navigatione et viaggi. Venetia,<lb/>
1574. fol. 248 V. &#x201E;pomi violati e tondi alla guisa di una zucca, da quali<lb/>
quando sono maturi esce fuori un' uccello&#x201C;.</hi> Die&#x017F;elbe Ge&#x017F;chichte erwähnt bei<lb/>
gleicher Gelegenheit <hi rendition="#aq">Sir <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118730606">John <hi rendition="#g">Maundeville</hi></persName>, the voiage and travaile etc. ed.<lb/>
by <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119506556">J. O. <hi rendition="#g">Halliwell</hi></persName>. London, 1839. p. 264.</hi></note>. Der er&#x017F;te Schrift&#x017F;teller, welcher &#x017F;ich für die Erzählung<lb/>
auf ältere Quellen beruft, i&#x017F;t der &#x017F;päter ausführlich zu be&#x017F;prechende<lb/><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118802003">Thomas</persName> von Cantimpré</hi>. Er &#x017F;agt ausdrücklich, &#x201E;die Barliaten<lb/>
wach&#x017F;en, wie <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> &#x017F;agt, auf Bäumen; es &#x017F;ind die Vögel welche<lb/>
das Volk <hi rendition="#aq">barnescas</hi> nennt&#x201C;. Im <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> findet &#x017F;ich keine auf die<lb/>
Fabel &#x017F;ich beziehende Angabe; man könnte höch&#x017F;tens die Behauptung<lb/>
des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118650130">Ari&#x017F;toteles</persName> hier anführen wollen, daß In&#x017F;ecten in faulendem Holze<lb/>
ent&#x017F;tänden. Daß der Gedanke an In&#x017F;ecten nicht etwa weit hergeholt<lb/>
i&#x017F;t, bewei&#x017F;t ein Citat bei <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119287064">Michael Mayer</persName></hi>, welcher &#x017F;agt, <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595237">Plutarch</persName><lb/>
habe in dem Tractate über die Frage, ob das Ei älter &#x017F;ei als die Henne,<lb/>
&#x017F;olcher Vögel Erwähnung gethan. <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595237">Plutarch</persName> &#x017F;pricht aber in der einzigen<lb/>
hierher zu beziehenden Stelle die&#x017F;er Schrift allein von der Ent&#x017F;tehung<lb/>
von In&#x017F;ecten aus oder in Bäumen, welche nun wohl, wie es oben für<lb/>
Bienen und Amei&#x017F;en mitgetheilt wurde, als Vögel bezeichnet worden<lb/>
&#x017F;ein können<note place="foot" n="165)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119287064">Mich. Maier</persName></hi>, Tract. de volucri arborea absque patre et matre<lb/>
in insulis Orcadum forma anserculorum proveniente. Francofurti, 1619.</hi><lb/><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119287064">Michael Mayer</persName></hi> war Leibarzt Rudolph's II und wurde als &#x017F;olcher Pfalzgraf.<lb/>
Einen Auszug aus &#x017F;einer Schrift gab <hi rendition="#aq">Joh. <hi rendition="#g">Johnstonus</hi>, Thaumatographia<lb/>
naturalis Amstelod. 1661. p. 277-292.</hi> Die Stelle im <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595237">Plutarch</persName> findet &#x017F;ich:<lb/>
Ausgabe von Reiske. Bd. 8. S. 521. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Dela Faille</hi></hi> führt in einem Auf&#x017F;atz<lb/>
(<hi rendition="#aq">Mém. prés. Acad. d. Scienc. Paris T. 9. 1780. p. 331.</hi>) <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118595083">Plinius</persName> und <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119160285">Aelian</persName><lb/>
als Gewährsmänner an; in beiden findet &#x017F;ich nichts ein&#x017F;chlägliches.</note>. Es erzählt übrigens <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118802003">Thomas</persName> von Cantimpré auch,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[192/0203] Die Zoologie des Mittelalters. Vitriaco auf Bäumen entſtehen (ſtarb 1240) 163). Hier wird überall eine beſtimmte Oertlichkeit angegeben und einer Erwähnung dieſer Vögel bei früheren Schriftſtellern nicht gedacht. Auch erwähnt noch ſpäter der im Jahre 1331 geſtorbene Odoricus von Pordenone (de Porta Naonis, auch von Udine genannt), daß ihn das in der Tartarei geſehene ſogenannte vegetabiliſche Lamm an die Baumvögel in Schottland erin- nert habe 164). Der erſte Schriftſteller, welcher ſich für die Erzählung auf ältere Quellen beruft, iſt der ſpäter ausführlich zu beſprechende Thomas von Cantimpré. Er ſagt ausdrücklich, „die Barliaten wachſen, wie Ariſtoteles ſagt, auf Bäumen; es ſind die Vögel welche das Volk barnescas nennt“. Im Ariſtoteles findet ſich keine auf die Fabel ſich beziehende Angabe; man könnte höchſtens die Behauptung des Ariſtoteles hier anführen wollen, daß Inſecten in faulendem Holze entſtänden. Daß der Gedanke an Inſecten nicht etwa weit hergeholt iſt, beweiſt ein Citat bei Michael Mayer, welcher ſagt, Plutarch habe in dem Tractate über die Frage, ob das Ei älter ſei als die Henne, ſolcher Vögel Erwähnung gethan. Plutarch ſpricht aber in der einzigen hierher zu beziehenden Stelle dieſer Schrift allein von der Entſtehung von Inſecten aus oder in Bäumen, welche nun wohl, wie es oben für Bienen und Ameiſen mitgetheilt wurde, als Vögel bezeichnet worden ſein können 165). Es erzählt übrigens Thomas von Cantimpré auch, 163) in der Historia Hierosolimitana, abgedruckt in den Gesta Dei per Francos. Hanoviae, 1611. p. 1112. 164) Ramusio, Secondo Volume delle navigatione et viaggi. Venetia, 1574. fol. 248 V. „pomi violati e tondi alla guisa di una zucca, da quali quando sono maturi esce fuori un' uccello“. Dieſelbe Geſchichte erwähnt bei gleicher Gelegenheit Sir John Maundeville, the voiage and travaile etc. ed. by J. O. Halliwell. London, 1839. p. 264. 165) Mich. Maier, Tract. de volucri arborea absque patre et matre in insulis Orcadum forma anserculorum proveniente. Francofurti, 1619. Michael Mayer war Leibarzt Rudolph's II und wurde als ſolcher Pfalzgraf. Einen Auszug aus ſeiner Schrift gab Joh. Johnstonus, Thaumatographia naturalis Amstelod. 1661. p. 277-292. Die Stelle im Plutarch findet ſich: Ausgabe von Reiske. Bd. 8. S. 521. Dela Faille führt in einem Aufſatz (Mém. prés. Acad. d. Scienc. Paris T. 9. 1780. p. 331.) Plinius und Aelian als Gewährsmänner an; in beiden findet ſich nichts einſchlägliches.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/203
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/203>, abgerufen am 21.05.2024.