Uebersetzung der Thiergeschichte, welche Thomas und Albert kannten, wirklich von ihm ist, so muß er sie vor 1233 gemacht haben; denn in diesem Jahre fieng, wie sich zeigen wird, Thomas von Cantimpre sein Werk zu schreiben an, in welchem Aristoteles nach einer solchen Bear- beitung citirt wird.
In einer ziemlich ähnlichen Unsicherheit findet sich die Geschichte in Bezug auf die specielleren Lebensverhältnisse Wilhelm's von Moerbeke. Sein Geburtsjahr ist unbekannt; die älteren Angaben über ihn und sein Leben sind oft in Folge einer Verwechselung mit Thomas von Cantimpre, welcher wie er selbst den Beinamen Braban- tinus häufig erhielt, völlig irrig. Im Jahre 1274 war er als des Griechischen Kundiger zur Assistenz des Pabstes auf dem Concil in Lyon. Aber schon vorher, vermuthet Echard, wurde er in Missionen des päbstlichen Stuhles nach Griechenland geschickt. Ob möglicherweise eine aus "Theben" datirte Handschrift der Thiergeschichte in griechisch- lateinischer Uebersetzung, auf einen solchen früheren Aufenthalt bezogen werden kann, ist freilich fraglich; die Annahme ist indeß nicht unwahr- scheinlich. Nach der Subscription dieser Handschrift wurde die Ueber- setzung beendet X. Kalend. Januar. 1260190). Mehrere Angaben sagen, daß Wilhelm von Moerbeke 1273 von Thomas von Aquino den Auf- trag erhalten habe oder gebeten worden sei, Uebersetzungen vorzunehmen. Im Jahre 1277 wird er als Erzbischof von Korinth erwähnt (die Quellen s. bei Schneider); in Korinth war er aber selbst erst 1280 und 1281, von welchen Jahren andere Uebersetzungen von ihm aus jener Stadt datirt sind. Mag nun Wilhelm die Kenntniß des Griechi- schen auf dem von PhilippII August in Paris gegründeten griechischen Colleg oder auf andere Weise erlangt haben, jedenfalls war sie keine so tief gehende, daß er mit der nöthigen Freiheit seinen Stoff bemeistern konnte. Bei der sklavischen Weise, jedes Wort des griechischen Origi- nals durch ein lateinisches decken zu wollen, konnte er natürlich auch
190) wie Schneider (a. a. O. p. XXX) und Jourdain (a. a. O. S. 75) anführen (nach Zachariae itiner. litter. per Italiam, p. 95) und wie von Muccioli, Catal. Codd. MSS. biblioth. Malatest. Caesen. Vol. II. p. 41 bestätigt wird.
Ueberſetzung der Thiergeſchichte, welche Thomas und Albert kannten, wirklich von ihm iſt, ſo muß er ſie vor 1233 gemacht haben; denn in dieſem Jahre fieng, wie ſich zeigen wird, Thomas von Cantimpré ſein Werk zu ſchreiben an, in welchem Ariſtoteles nach einer ſolchen Bear- beitung citirt wird.
In einer ziemlich ähnlichen Unſicherheit findet ſich die Geſchichte in Bezug auf die ſpecielleren Lebensverhältniſſe Wilhelm's von Moerbeke. Sein Geburtsjahr iſt unbekannt; die älteren Angaben über ihn und ſein Leben ſind oft in Folge einer Verwechſelung mit Thomas von Cantimpré, welcher wie er ſelbſt den Beinamen Braban- tinus häufig erhielt, völlig irrig. Im Jahre 1274 war er als des Griechiſchen Kundiger zur Aſſiſtenz des Pabſtes auf dem Concil in Lyon. Aber ſchon vorher, vermuthet Echard, wurde er in Miſſionen des päbſtlichen Stuhles nach Griechenland geſchickt. Ob möglicherweiſe eine aus „Theben“ datirte Handſchrift der Thiergeſchichte in griechiſch- lateiniſcher Ueberſetzung, auf einen ſolchen früheren Aufenthalt bezogen werden kann, iſt freilich fraglich; die Annahme iſt indeß nicht unwahr- ſcheinlich. Nach der Subſcription dieſer Handſchrift wurde die Ueber- ſetzung beendet X. Kalend. Januar. 1260190). Mehrere Angaben ſagen, daß Wilhelm von Moerbeke 1273 von Thomas von Aquino den Auf- trag erhalten habe oder gebeten worden ſei, Ueberſetzungen vorzunehmen. Im Jahre 1277 wird er als Erzbiſchof von Korinth erwähnt (die Quellen ſ. bei Schneider); in Korinth war er aber ſelbſt erſt 1280 und 1281, von welchen Jahren andere Ueberſetzungen von ihm aus jener Stadt datirt ſind. Mag nun Wilhelm die Kenntniß des Griechi- ſchen auf dem von PhilippII Auguſt in Paris gegründeten griechiſchen Colleg oder auf andere Weiſe erlangt haben, jedenfalls war ſie keine ſo tief gehende, daß er mit der nöthigen Freiheit ſeinen Stoff bemeiſtern konnte. Bei der ſklaviſchen Weiſe, jedes Wort des griechiſchen Origi- nals durch ein lateiniſches decken zu wollen, konnte er natürlich auch
190) wie Schneider (a. a. O. p. XXX) und Jourdain (a. a. O. S. 75) anführen (nach Zachariae itiner. litter. per Italiam, p. 95) und wie von Muccioli, Catal. Codd. MSS. biblioth. Malatest. Caesen. Vol. II. p. 41 beſtätigt wird.
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Das dreizehnte Jahrhundert.
Ueberſetzung der Thiergeſchichte, welche Thomas und Albert kannten,
wirklich von ihm iſt, ſo muß er ſie vor 1233 gemacht haben; denn in
dieſem Jahre fieng, wie ſich zeigen wird, Thomas von Cantimpré ſein
Werk zu ſchreiben an, in welchem Ariſtoteles nach einer ſolchen Bear-
beitung citirt wird.
In einer ziemlich ähnlichen Unſicherheit findet ſich die Geſchichte
in Bezug auf die ſpecielleren Lebensverhältniſſe Wilhelm's von
Moerbeke. Sein Geburtsjahr iſt unbekannt; die älteren Angaben
über ihn und ſein Leben ſind oft in Folge einer Verwechſelung mit
Thomas von Cantimpré, welcher wie er ſelbſt den Beinamen Braban-
tinus häufig erhielt, völlig irrig. Im Jahre 1274 war er als des
Griechiſchen Kundiger zur Aſſiſtenz des Pabſtes auf dem Concil in
Lyon. Aber ſchon vorher, vermuthet Echard, wurde er in Miſſionen
des päbſtlichen Stuhles nach Griechenland geſchickt. Ob möglicherweiſe
eine aus „Theben“ datirte Handſchrift der Thiergeſchichte in griechiſch-
lateiniſcher Ueberſetzung, auf einen ſolchen früheren Aufenthalt bezogen
werden kann, iſt freilich fraglich; die Annahme iſt indeß nicht unwahr-
ſcheinlich. Nach der Subſcription dieſer Handſchrift wurde die Ueber-
ſetzung beendet X. Kalend. Januar. 1260 190). Mehrere Angaben ſagen,
daß Wilhelm von Moerbeke 1273 von Thomas von Aquino den Auf-
trag erhalten habe oder gebeten worden ſei, Ueberſetzungen vorzunehmen.
Im Jahre 1277 wird er als Erzbiſchof von Korinth erwähnt (die
Quellen ſ. bei Schneider); in Korinth war er aber ſelbſt erſt 1280
und 1281, von welchen Jahren andere Ueberſetzungen von ihm aus
jener Stadt datirt ſind. Mag nun Wilhelm die Kenntniß des Griechi-
ſchen auf dem von Philipp II Auguſt in Paris gegründeten griechiſchen
Colleg oder auf andere Weiſe erlangt haben, jedenfalls war ſie keine ſo
tief gehende, daß er mit der nöthigen Freiheit ſeinen Stoff bemeiſtern
konnte. Bei der ſklaviſchen Weiſe, jedes Wort des griechiſchen Origi-
nals durch ein lateiniſches decken zu wollen, konnte er natürlich auch
190) wie Schneider (a. a. O. p. XXX) und Jourdain (a. a. O. S.
75) anführen (nach Zachariae itiner. litter. per Italiam, p. 95) und wie von
Muccioli, Catal. Codd. MSS. biblioth. Malatest. Caesen. Vol. II. p. 41
beſtätigt wird.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 14
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/220>, abgerufen am 24.11.2024.
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