Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Periode der encyklopädischen Darstellungen. dings in manchen Fällen wiedererkennbar, aber überall, wo es sich umfremde Formen handelt, ebenso der Phantasie des Zeichners entsprun- gen sind, wie die bildlichen Darstellungen wirklich fabelhafter Thiere. Wie sich die bildende Kunst überhaupt den conventionellen Fesseln ent- zog und um so viel an Werth gewann, als sie sich der Natur enger an- schloß, so werden auch die Thierabbildungen jetzt nicht bloß naturge- treuer, sondern auch in der ganzen Behandlung künstlerischer und freier. Dazu kam die hohe Entwickelung des Holzschnittes, welche den Abbil- dungen eine möglichst weite Verbreitung sicherte. Freilich benutzten auch damals schon einzelne Drucker dieselben Holzschnitte zur Illustra- tion verschiedener Werke. Doch konnte dies in einer Zeit, wo die Leser erst allmählich lernen mußten, in Naturgegenständen Objecte wissen- schaftlicher Betrachtung zu erblicken, nur von Vortheil sein. Mit den Abbildungen ganzer Thiere, welche fast in allen Hauptschriften der vor- liegenden Periode enthalten sind, geht die bildliche Darstellung anato- mischer Verhältnisse ziemlich Hand in Hand. Einen bedeutenden Auf- schwung nahm allerdings zunächst die künstlerische Abbildung mensch- licher Anatomie; aber schon die erste Schilderung von Thierskeleten durch Volcher Coiter bestand wesentlich in Zeichnungen. So groß aber auch die Bedeutung der bisher erwähnten Mo- Dem Mistrauen in wissenschaftlichen Dingen gieng ein Zweifel Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen. dings in manchen Fällen wiedererkennbar, aber überall, wo es ſich umfremde Formen handelt, ebenſo der Phantaſie des Zeichners entſprun- gen ſind, wie die bildlichen Darſtellungen wirklich fabelhafter Thiere. Wie ſich die bildende Kunſt überhaupt den conventionellen Feſſeln ent- zog und um ſo viel an Werth gewann, als ſie ſich der Natur enger an- ſchloß, ſo werden auch die Thierabbildungen jetzt nicht bloß naturge- treuer, ſondern auch in der ganzen Behandlung künſtleriſcher und freier. Dazu kam die hohe Entwickelung des Holzſchnittes, welche den Abbil- dungen eine möglichſt weite Verbreitung ſicherte. Freilich benutzten auch damals ſchon einzelne Drucker dieſelben Holzſchnitte zur Illuſtra- tion verſchiedener Werke. Doch konnte dies in einer Zeit, wo die Leſer erſt allmählich lernen mußten, in Naturgegenſtänden Objecte wiſſen- ſchaftlicher Betrachtung zu erblicken, nur von Vortheil ſein. Mit den Abbildungen ganzer Thiere, welche faſt in allen Hauptſchriften der vor- liegenden Periode enthalten ſind, geht die bildliche Darſtellung anato- miſcher Verhältniſſe ziemlich Hand in Hand. Einen bedeutenden Auf- ſchwung nahm allerdings zunächſt die künſtleriſche Abbildung menſch- licher Anatomie; aber ſchon die erſte Schilderung von Thierſkeleten durch Volcher Coiter beſtand weſentlich in Zeichnungen. So groß aber auch die Bedeutung der bisher erwähnten Mo- Dem Mistrauen in wiſſenſchaftlichen Dingen gieng ein Zweifel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0273" n="262"/><fw place="top" type="header">Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.</fw><lb/> dings in manchen Fällen wiedererkennbar, aber überall, wo es ſich um<lb/> fremde Formen handelt, ebenſo der Phantaſie des Zeichners entſprun-<lb/> gen ſind, wie die bildlichen Darſtellungen wirklich fabelhafter Thiere.<lb/> Wie ſich die bildende Kunſt überhaupt den conventionellen Feſſeln ent-<lb/> zog und um ſo viel an Werth gewann, als ſie ſich der Natur enger an-<lb/> ſchloß, ſo werden auch die Thierabbildungen jetzt nicht bloß naturge-<lb/> treuer, ſondern auch in der ganzen Behandlung künſtleriſcher und freier.<lb/> Dazu kam die hohe Entwickelung des Holzſchnittes, welche den Abbil-<lb/> dungen eine möglichſt weite Verbreitung ſicherte. Freilich benutzten<lb/> auch damals ſchon einzelne Drucker dieſelben Holzſchnitte zur Illuſtra-<lb/> tion verſchiedener Werke. Doch konnte dies in einer Zeit, wo die Leſer<lb/> erſt allmählich lernen mußten, in Naturgegenſtänden Objecte wiſſen-<lb/> ſchaftlicher Betrachtung zu erblicken, nur von Vortheil ſein. Mit den<lb/> Abbildungen ganzer Thiere, welche faſt in allen Hauptſchriften der vor-<lb/> liegenden Periode enthalten ſind, geht die bildliche Darſtellung anato-<lb/> miſcher Verhältniſſe ziemlich Hand in Hand. Einen bedeutenden Auf-<lb/> ſchwung nahm allerdings zunächſt die künſtleriſche Abbildung menſch-<lb/> licher Anatomie; aber ſchon die erſte Schilderung von Thierſkeleten<lb/> durch <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/128678232">Volcher Coiter</persName></hi> beſtand weſentlich in Zeichnungen.</p><lb/> <p>So groß aber auch die Bedeutung der bisher erwähnten Mo-<lb/> mente für die Entwickelung der Zoologie war, ſo hätten dieſelben allein<lb/> doch kaum irgend welche weſentlichen Fortſchritte bewirken können, wenn<lb/> nicht das geiſtige Leben jener Zeit eine von Grund aus verſchiedene<lb/> Richtung erhalten hätte. Freilich hat es, beſonders in <placeName>Deutſchland</placeName>,<lb/> noch ziemlich lange gedauert, bis man auch in wiſſenſchaftlichen Dingen<lb/> das unbedingte Vertrauen auf Alles, was mit der Sicherheit eins au-<lb/> toritativen Gewichtes aufzutreten mußte, ablegte und vor Allem über<lb/> Naturdinge die Natur, nicht bloß Bücher befrug; doch war die Bewe-<lb/> gung der Geiſter im ſechzehnten Jahrhundert mächtig genug, um an<lb/> der ruhigen Zuverſicht in das bisher Ueberlieferte zu rütteln und hier-<lb/> durch wieder jene Umgeſtaltung de ſcholaſtiſchen in eine den Objecten<lb/> ſich anpaſſende Philoſophie möglich zu machen deren Auftreten jenes<lb/> Zeitalter charakteriſirte.</p><lb/> <p>Dem Mistrauen in wiſſenſchaftlichen Dingen gieng ein Zweifel<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [262/0273]
Periode der encyklopädiſchen Darſtellungen.
dings in manchen Fällen wiedererkennbar, aber überall, wo es ſich um
fremde Formen handelt, ebenſo der Phantaſie des Zeichners entſprun-
gen ſind, wie die bildlichen Darſtellungen wirklich fabelhafter Thiere.
Wie ſich die bildende Kunſt überhaupt den conventionellen Feſſeln ent-
zog und um ſo viel an Werth gewann, als ſie ſich der Natur enger an-
ſchloß, ſo werden auch die Thierabbildungen jetzt nicht bloß naturge-
treuer, ſondern auch in der ganzen Behandlung künſtleriſcher und freier.
Dazu kam die hohe Entwickelung des Holzſchnittes, welche den Abbil-
dungen eine möglichſt weite Verbreitung ſicherte. Freilich benutzten
auch damals ſchon einzelne Drucker dieſelben Holzſchnitte zur Illuſtra-
tion verſchiedener Werke. Doch konnte dies in einer Zeit, wo die Leſer
erſt allmählich lernen mußten, in Naturgegenſtänden Objecte wiſſen-
ſchaftlicher Betrachtung zu erblicken, nur von Vortheil ſein. Mit den
Abbildungen ganzer Thiere, welche faſt in allen Hauptſchriften der vor-
liegenden Periode enthalten ſind, geht die bildliche Darſtellung anato-
miſcher Verhältniſſe ziemlich Hand in Hand. Einen bedeutenden Auf-
ſchwung nahm allerdings zunächſt die künſtleriſche Abbildung menſch-
licher Anatomie; aber ſchon die erſte Schilderung von Thierſkeleten
durch Volcher Coiter beſtand weſentlich in Zeichnungen.
So groß aber auch die Bedeutung der bisher erwähnten Mo-
mente für die Entwickelung der Zoologie war, ſo hätten dieſelben allein
doch kaum irgend welche weſentlichen Fortſchritte bewirken können, wenn
nicht das geiſtige Leben jener Zeit eine von Grund aus verſchiedene
Richtung erhalten hätte. Freilich hat es, beſonders in Deutſchland,
noch ziemlich lange gedauert, bis man auch in wiſſenſchaftlichen Dingen
das unbedingte Vertrauen auf Alles, was mit der Sicherheit eins au-
toritativen Gewichtes aufzutreten mußte, ablegte und vor Allem über
Naturdinge die Natur, nicht bloß Bücher befrug; doch war die Bewe-
gung der Geiſter im ſechzehnten Jahrhundert mächtig genug, um an
der ruhigen Zuverſicht in das bisher Ueberlieferte zu rütteln und hier-
durch wieder jene Umgeſtaltung de ſcholaſtiſchen in eine den Objecten
ſich anpaſſende Philoſophie möglich zu machen deren Auftreten jenes
Zeitalter charakteriſirte.
Dem Mistrauen in wiſſenſchaftlichen Dingen gieng ein Zweifel
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |