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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Charakteristik des Zeitraums
in religiösen voran. Hier war es weniger der Glaubensinhalt, als der
Misbrauch mit dem sogenannten Gnadenschatze der Kirche, welcher die
hauptsächlichste Veranlassung wurde, den Sinn auf eine Klärung des
Verhältnisses des individuellen Gemüthes zu Gott zu führen. Wie
Luther der autoritativen Gewalt der mittelalterlichen Kirche die ver-
nünftige Auslegung des göttlichen Wortes entgegenhielt und hierdurch
die Scheinautorität der päbstlichen Herrschaft zerstörte, so traten auch
von andern Seiten her immer mehr Kämpfer für das Recht der Ver-
nunft gegen den blinden Glauben an Autoritäten auf. Das erste Leben
eines kritischen Zuweifels begann sich zu regen, zuweilen schon damals
in das Gewand der Sathre gekleidet. So erscheinen, um nur Einzelnes
beispielsweise herauszugreifen, Werke wie Richard Hooker's Eccle-
siastical Polity
einerseits und Francois Rabelais' Satyren anderer-
seits. Gleichzeitig war aber auch das alte ptolemäische Weltsystem durch
Coernicus als irrig nachgewiesen worden. Kepler und Galilei,
welche für ihn eintraten, hatten mit der Autorität des Aristoteles zu käm-
pfen zu dessen Unterstützung noch die Bibel herangezogen wurde. Durch
Galilei wurde das Experiment und die mathematische Begründung
der Naturgesetze eingeführt. Selbstvertändig konnte die Zoologie hier-
aus direct keinen Vortheil ziehen. Doch gieng sie in dieser allgemeinen
Bewegung nicht leer aus. Der Skepticismus Descartes' und noch
directer die Bemühungen Francis Bacon's um die Naturphiloso-
phie wirkten reinigend und belebend auf alle spätern wissenschaftlichen
Arbeiten. Man hat in neuerer Zeit dem Lord Verulam entschieden Un-
recht gethan, wenn man ihm Inconsequenzen und Widersinnigkeiten im
Verlaufe seiner eigenen Darstellung zum Vorwurf gemacht hat. So
tolles Zeug er allerdings in seinen Exprimenten zuweilen auftischt, so
leicht er vielleicht selbst zu seiner Zeit Manches hätte besser erklären
können, so ist sein Einfluß und sein Verdienst doch nie in dem gesucht
worden, was er selbst positives Neues zu Tage gefördert hat. Das
war zum größten Theil abhängig von den Hülfsmitteln, die ihm
seine Zeit etwa bieten konnte. Er war aber der erste, welcher in ent-
schiedener Weise vor der Herbeiziehung von Endursachen als Erklä-
rungsgründen warnte und für jeden einzelnen Fall zu der beobachteten

Charakteriſtik des Zeitraums
in religiöſen voran. Hier war es weniger der Glaubensinhalt, als der
Misbrauch mit dem ſogenannten Gnadenſchatze der Kirche, welcher die
hauptſächlichſte Veranlaſſung wurde, den Sinn auf eine Klärung des
Verhältniſſes des individuellen Gemüthes zu Gott zu führen. Wie
Luther der autoritativen Gewalt der mittelalterlichen Kirche die ver-
nünftige Auslegung des göttlichen Wortes entgegenhielt und hierdurch
die Scheinautorität der päbſtlichen Herrſchaft zerſtörte, ſo traten auch
von andern Seiten her immer mehr Kämpfer für das Recht der Ver-
nunft gegen den blinden Glauben an Autoritäten auf. Das erſte Leben
eines kritiſchen Zuweifels begann ſich zu regen, zuweilen ſchon damals
in das Gewand der Sathre gekleidet. So erſcheinen, um nur Einzelnes
beiſpielsweiſe herauszugreifen, Werke wie Richard Hooker's Eccle-
siastical Polity
einerſeits und Francois Rabelais' Satyren anderer-
ſeits. Gleichzeitig war aber auch das alte ptolemäiſche Weltſyſtem durch
Coernicus als irrig nachgewieſen worden. Kepler und Galilei,
welche für ihn eintraten, hatten mit der Autorität des Ariſtoteles zu käm-
pfen zu deſſen Unterſtützung noch die Bibel herangezogen wurde. Durch
Galilei wurde das Experiment und die mathematiſche Begründung
der Naturgeſetze eingeführt. Selbſtvertändig konnte die Zoologie hier-
aus direct keinen Vortheil ziehen. Doch gieng ſie in dieſer allgemeinen
Bewegung nicht leer aus. Der Skepticismus Descartes' und noch
directer die Bemühungen Francis Bacon's um die Naturphiloſo-
phie wirkten reinigend und belebend auf alle ſpätern wiſſenſchaftlichen
Arbeiten. Man hat in neuerer Zeit dem Lord Verulam entſchieden Un-
recht gethan, wenn man ihm Inconſequenzen und Widerſinnigkeiten im
Verlaufe ſeiner eigenen Darſtellung zum Vorwurf gemacht hat. So
tolles Zeug er allerdings in ſeinen Exprimenten zuweilen auftiſcht, ſo
leicht er vielleicht ſelbſt zu ſeiner Zeit Manches hätte beſſer erklären
können, ſo iſt ſein Einfluß und ſein Verdienſt doch nie in dem geſucht
worden, was er ſelbſt poſitives Neues zu Tage gefördert hat. Das
war zum größten Theil abhängig von den Hülfsmitteln, die ihm
ſeine Zeit etwa bieten konnte. Er war aber der erſte, welcher in ent-
ſchiedener Weiſe vor der Herbeiziehung von Endurſachen als Erklä-
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[263/0274] Charakteriſtik des Zeitraums in religiöſen voran. Hier war es weniger der Glaubensinhalt, als der Misbrauch mit dem ſogenannten Gnadenſchatze der Kirche, welcher die hauptſächlichſte Veranlaſſung wurde, den Sinn auf eine Klärung des Verhältniſſes des individuellen Gemüthes zu Gott zu führen. Wie Luther der autoritativen Gewalt der mittelalterlichen Kirche die ver- nünftige Auslegung des göttlichen Wortes entgegenhielt und hierdurch die Scheinautorität der päbſtlichen Herrſchaft zerſtörte, ſo traten auch von andern Seiten her immer mehr Kämpfer für das Recht der Ver- nunft gegen den blinden Glauben an Autoritäten auf. Das erſte Leben eines kritiſchen Zuweifels begann ſich zu regen, zuweilen ſchon damals in das Gewand der Sathre gekleidet. So erſcheinen, um nur Einzelnes beiſpielsweiſe herauszugreifen, Werke wie Richard Hooker's Eccle- siastical Polity einerſeits und Francois Rabelais' Satyren anderer- ſeits. Gleichzeitig war aber auch das alte ptolemäiſche Weltſyſtem durch Coernicus als irrig nachgewieſen worden. Kepler und Galilei, welche für ihn eintraten, hatten mit der Autorität des Ariſtoteles zu käm- pfen zu deſſen Unterſtützung noch die Bibel herangezogen wurde. Durch Galilei wurde das Experiment und die mathematiſche Begründung der Naturgeſetze eingeführt. Selbſtvertändig konnte die Zoologie hier- aus direct keinen Vortheil ziehen. Doch gieng ſie in dieſer allgemeinen Bewegung nicht leer aus. Der Skepticismus Descartes' und noch directer die Bemühungen Francis Bacon's um die Naturphiloſo- phie wirkten reinigend und belebend auf alle ſpätern wiſſenſchaftlichen Arbeiten. Man hat in neuerer Zeit dem Lord Verulam entſchieden Un- recht gethan, wenn man ihm Inconſequenzen und Widerſinnigkeiten im Verlaufe ſeiner eigenen Darſtellung zum Vorwurf gemacht hat. So tolles Zeug er allerdings in ſeinen Exprimenten zuweilen auftiſcht, ſo leicht er vielleicht ſelbſt zu ſeiner Zeit Manches hätte beſſer erklären können, ſo iſt ſein Einfluß und ſein Verdienſt doch nie in dem geſucht worden, was er ſelbſt poſitives Neues zu Tage gefördert hat. Das war zum größten Theil abhängig von den Hülfsmitteln, die ihm ſeine Zeit etwa bieten konnte. Er war aber der erſte, welcher in ent- ſchiedener Weiſe vor der Herbeiziehung von Endurſachen als Erklä- rungsgründen warnte und für jeden einzelnen Fall zu der beobachteten

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/274>, abgerufen am 22.11.2024.