enthalten zahlreiche Zusätze im Text und in Abbildungen, ohne daß sich bei letzteren ein Bearbeiter oder Herausgeber der neueren Auflage irgendwo nennte. Sein Werk stellt sich auch seinen eignen Worten nach mehr auf den Standpunkt eines encyklopädischen Nachschlagewerkes. Als solches hat es aber auch reiche Früchte getragen. Denn alle späte- ren Beschreiber fußen auf ihm.
Mit diesem Aufgeben eines allgemeinen Standpunktes hängt zu- sammen, daß Gesner auch von vergleichender Anatomie nur wenig gibt. Es fehlen bei ihm die allgemeinen anatomischen Einleitungen, welche früher zwar sämmtlich dem Aristoteles nachgeschrieben, aber doch ein- gehend genug waren, um für wirkliche Vergleichungen den Ausgangs- punkt zu bilden. Er hat nun zwar bei den Einzelformen auch eine Schilderung ihrer anatomischen Eigenthümlichkeiten gegeben; da aber mit einer Uebersicht der Anatomie der ganzen Classe oder größern Ab- theilung auch der Rahmen fehlte, in welche jene eingeordnet erst ihre wahre Bedeutung und wissenschaftliche Verwerthung erhalten, so er- scheint diese ganze Seite seiner Schilderung isolirt und zusammenhang- los. -- Ferner hatte er bei seiner Auffassung des Thierreichs keine Veranlassung und Gelegenheit von fossilen Formen zu sprechen. Ueber die Figurensteine hat er besonders geschrieben. An einzelnen Stellen (z. B. beim Hippopotamus) gedenkt er zwar der Funde fossiler Zähne, ohne aber sich über die landläufige Meinung seiner Zeit hinaus in eine Erörterung über ihre eigentliche Natur und Bedeutung einzulassen. Daß er endlich bei seiner Betrachtung des Thierreichs den Menschen ganz weggelassen hat, ist ihm nicht mehr zum Vorwurf anzurechnen als seinen Vorgängern. Wenn sich auch das Thierreich von der ihm angewiesenen Stellung als sündhafter Geschöpfe zu einem die Größe Gottes darlegenden Wunderreiche erhoben hatte, so nahm doch der Mensch einen bevorzugten Platz in der Natur ein, welchen ihm streitig zu machen die mangelnde Anwendung allgemeiner anatomischer Ansich- ten hinderte.
Der Einfluß Gesner's gründet sich aber nicht allein auf die Her- ausgabe des im Vorstehenden geschilderten Hauptwerkes. Zunächst be- sorgte er selbst noch einen Auszug des Textes aus jenem, welchem die
enthalten zahlreiche Zuſätze im Text und in Abbildungen, ohne daß ſich bei letzteren ein Bearbeiter oder Herausgeber der neueren Auflage irgendwo nennte. Sein Werk ſtellt ſich auch ſeinen eignen Worten nach mehr auf den Standpunkt eines encyklopädiſchen Nachſchlagewerkes. Als ſolches hat es aber auch reiche Früchte getragen. Denn alle ſpäte- ren Beſchreiber fußen auf ihm.
Mit dieſem Aufgeben eines allgemeinen Standpunktes hängt zu- ſammen, daß Gesner auch von vergleichender Anatomie nur wenig gibt. Es fehlen bei ihm die allgemeinen anatomiſchen Einleitungen, welche früher zwar ſämmtlich dem Ariſtoteles nachgeſchrieben, aber doch ein- gehend genug waren, um für wirkliche Vergleichungen den Ausgangs- punkt zu bilden. Er hat nun zwar bei den Einzelformen auch eine Schilderung ihrer anatomiſchen Eigenthümlichkeiten gegeben; da aber mit einer Ueberſicht der Anatomie der ganzen Claſſe oder größern Ab- theilung auch der Rahmen fehlte, in welche jene eingeordnet erſt ihre wahre Bedeutung und wiſſenſchaftliche Verwerthung erhalten, ſo er- ſcheint dieſe ganze Seite ſeiner Schilderung iſolirt und zuſammenhang- los. — Ferner hatte er bei ſeiner Auffaſſung des Thierreichs keine Veranlaſſung und Gelegenheit von foſſilen Formen zu ſprechen. Ueber die Figurenſteine hat er beſonders geſchrieben. An einzelnen Stellen (z. B. beim Hippopotamus) gedenkt er zwar der Funde foſſiler Zähne, ohne aber ſich über die landläufige Meinung ſeiner Zeit hinaus in eine Erörterung über ihre eigentliche Natur und Bedeutung einzulaſſen. Daß er endlich bei ſeiner Betrachtung des Thierreichs den Menſchen ganz weggelaſſen hat, iſt ihm nicht mehr zum Vorwurf anzurechnen als ſeinen Vorgängern. Wenn ſich auch das Thierreich von der ihm angewieſenen Stellung als ſündhafter Geſchöpfe zu einem die Größe Gottes darlegenden Wunderreiche erhoben hatte, ſo nahm doch der Menſch einen bevorzugten Platz in der Natur ein, welchen ihm ſtreitig zu machen die mangelnde Anwendung allgemeiner anatomiſcher Anſich- ten hinderte.
Der Einfluß Gesner's gründet ſich aber nicht allein auf die Her- ausgabe des im Vorſtehenden geſchilderten Hauptwerkes. Zunächſt be- ſorgte er ſelbſt noch einen Auszug des Textes aus jenem, welchem die
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Conrad Gesner.
enthalten zahlreiche Zuſätze im Text und in Abbildungen, ohne daß ſich
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irgendwo nennte. Sein Werk ſtellt ſich auch ſeinen eignen Worten nach
mehr auf den Standpunkt eines encyklopädiſchen Nachſchlagewerkes.
Als ſolches hat es aber auch reiche Früchte getragen. Denn alle ſpäte-
ren Beſchreiber fußen auf ihm.
Mit dieſem Aufgeben eines allgemeinen Standpunktes hängt zu-
ſammen, daß Gesner auch von vergleichender Anatomie nur wenig gibt.
Es fehlen bei ihm die allgemeinen anatomiſchen Einleitungen, welche
früher zwar ſämmtlich dem Ariſtoteles nachgeſchrieben, aber doch ein-
gehend genug waren, um für wirkliche Vergleichungen den Ausgangs-
punkt zu bilden. Er hat nun zwar bei den Einzelformen auch eine
Schilderung ihrer anatomiſchen Eigenthümlichkeiten gegeben; da aber
mit einer Ueberſicht der Anatomie der ganzen Claſſe oder größern Ab-
theilung auch der Rahmen fehlte, in welche jene eingeordnet erſt ihre
wahre Bedeutung und wiſſenſchaftliche Verwerthung erhalten, ſo er-
ſcheint dieſe ganze Seite ſeiner Schilderung iſolirt und zuſammenhang-
los. — Ferner hatte er bei ſeiner Auffaſſung des Thierreichs keine
Veranlaſſung und Gelegenheit von foſſilen Formen zu ſprechen. Ueber
die Figurenſteine hat er beſonders geſchrieben. An einzelnen Stellen
(z. B. beim Hippopotamus) gedenkt er zwar der Funde foſſiler Zähne,
ohne aber ſich über die landläufige Meinung ſeiner Zeit hinaus in eine
Erörterung über ihre eigentliche Natur und Bedeutung einzulaſſen.
Daß er endlich bei ſeiner Betrachtung des Thierreichs den Menſchen
ganz weggelaſſen hat, iſt ihm nicht mehr zum Vorwurf anzurechnen
als ſeinen Vorgängern. Wenn ſich auch das Thierreich von der ihm
angewieſenen Stellung als ſündhafter Geſchöpfe zu einem die Größe
Gottes darlegenden Wunderreiche erhoben hatte, ſo nahm doch der
Menſch einen bevorzugten Platz in der Natur ein, welchen ihm ſtreitig
zu machen die mangelnde Anwendung allgemeiner anatomiſcher Anſich-
ten hinderte.
Der Einfluß Gesner's gründet ſich aber nicht allein auf die Her-
ausgabe des im Vorſtehenden geſchilderten Hauptwerkes. Zunächſt be-
ſorgte er ſelbſt noch einen Auszug des Textes aus jenem, welchem die
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/296>, abgerufen am 22.11.2024.
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