Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

des Menschen, wie sie später zur Bildung eines besondern Naturreichs
für ihn führte. Im ersten allgemeinen Theile wird nun zuerst von der
Thierseele, dann vom Thierkörper gehandelt. In Bezug auf die See-
lenäußerungen wird nach spiritualistischer Auffassung die ganze Lehre
von den Sinnen, den Affecten, der Locomotion durchgegangen, ohne
jedoch, wie es ja bei letzterer z. B. nahe gelegen hätte, das Zustande-
kommen der einzelnen Erscheinungen aus dem Baue der betreffenden
Organe abzuleiten. Dabei kommen zwar Aeußerungen vor, welche wei-
tern Untersuchungen wohl hätten als Ausgangspunkte dienen können,
wie Verfasser z. B. sagt, daß zwar Gott im Anfang die Seelen der
Thiere mit ihren Körpern erschaffen habe, daß sie aber später bei der
Fortpflanzung erst mit entstünden. Doch heißt es an einer andern
Stelle wieder, beim Schließen des einen Auges werde das andere
größer wegen des Eintritts größerer Mengen "Spiritus". Daß die
Fische hören, daß also das Hören unter Wasser möglich und wahr sei,
wird aus der Thatsache gefolgert, daß man Fische durch Läuten mit
einer Glocke an einen bestimmten Fütterungsort rufen kann. Von
Muskeln ist hier bei der Locomotion ebensowenig die Rede, als im
zweiten Kapitel, wo der Körper der Thiere besprochen wird. Es werden
feste, oder andere enthaltende, und flüssige, oder in andern enthaltene
Theile unterschieden und ihnen als dritte Gruppe noch Anstoß gebende
Theile, Spiritus, an die Seite gestellt. Letztere sind natürliche, vitale
und animale Spiritus. Man sieht, daß es noch vollständig an klaren
physiologischen Vorbegriffen fehlte, daß man vielmehr meinte, um Le-
benserscheinungen erklären zu können, müsse man im alten Galenischen
Sinne zu unbekannten räthselhaften Einflüssen seine Zuflucht nehmen.
Der zweite specielle Theil des Sperling'schen Werkes ist dadurch nicht
uninteressant, als der Verfasser zum erstenmale versucht hat, die auf-
gezählten Thierarten durch kurze präcise Definitionen, welche er auch
hier in den "Präcepten" voranstellt, zu charakterisiren und diese dann
durch weitere Ausführungen näher zu erläutern. Es macht sich aber
dabei sowohl eine völlige Vernachlässigung der wichtigern äußeren zoo-
logischen Merkmale als eine Unbekanntschaft mit selbst leichter zu er-
mittelnden anatomischen Verhältnissen geltend, wenn er z. B. gegen

20*

des Menſchen, wie ſie ſpäter zur Bildung eines beſondern Naturreichs
für ihn führte. Im erſten allgemeinen Theile wird nun zuerſt von der
Thierſeele, dann vom Thierkörper gehandelt. In Bezug auf die See-
lenäußerungen wird nach ſpiritualiſtiſcher Auffaſſung die ganze Lehre
von den Sinnen, den Affecten, der Locomotion durchgegangen, ohne
jedoch, wie es ja bei letzterer z. B. nahe gelegen hätte, das Zuſtande-
kommen der einzelnen Erſcheinungen aus dem Baue der betreffenden
Organe abzuleiten. Dabei kommen zwar Aeußerungen vor, welche wei-
tern Unterſuchungen wohl hätten als Ausgangspunkte dienen können,
wie Verfaſſer z. B. ſagt, daß zwar Gott im Anfang die Seelen der
Thiere mit ihren Körpern erſchaffen habe, daß ſie aber ſpäter bei der
Fortpflanzung erſt mit entſtünden. Doch heißt es an einer andern
Stelle wieder, beim Schließen des einen Auges werde das andere
größer wegen des Eintritts größerer Mengen „Spiritus“. Daß die
Fiſche hören, daß alſo das Hören unter Waſſer möglich und wahr ſei,
wird aus der Thatſache gefolgert, daß man Fiſche durch Läuten mit
einer Glocke an einen beſtimmten Fütterungsort rufen kann. Von
Muskeln iſt hier bei der Locomotion ebenſowenig die Rede, als im
zweiten Kapitel, wo der Körper der Thiere beſprochen wird. Es werden
feſte, oder andere enthaltende, und flüſſige, oder in andern enthaltene
Theile unterſchieden und ihnen als dritte Gruppe noch Anſtoß gebende
Theile, Spiritus, an die Seite geſtellt. Letztere ſind natürliche, vitale
und animale Spiritus. Man ſieht, daß es noch vollſtändig an klaren
phyſiologiſchen Vorbegriffen fehlte, daß man vielmehr meinte, um Le-
benserſcheinungen erklären zu können, müſſe man im alten Galeniſchen
Sinne zu unbekannten räthſelhaften Einflüſſen ſeine Zuflucht nehmen.
Der zweite ſpecielle Theil des Sperling'ſchen Werkes iſt dadurch nicht
unintereſſant, als der Verfaſſer zum erſtenmale verſucht hat, die auf-
gezählten Thierarten durch kurze präciſe Definitionen, welche er auch
hier in den „Präcepten“ voranſtellt, zu charakteriſiren und dieſe dann
durch weitere Ausführungen näher zu erläutern. Es macht ſich aber
dabei ſowohl eine völlige Vernachläſſigung der wichtigern äußeren zoo-
logiſchen Merkmale als eine Unbekanntſchaft mit ſelbſt leichter zu er-
mittelnden anatomiſchen Verhältniſſen geltend, wenn er z. B. gegen

20*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0318" n="307"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/117492752">Johann Sperling</persName>.</fw><lb/>
des Men&#x017F;chen, wie &#x017F;ie &#x017F;päter zur Bildung eines be&#x017F;ondern Naturreichs<lb/>
für ihn führte. Im er&#x017F;ten allgemeinen Theile wird nun zuer&#x017F;t von der<lb/>
Thier&#x017F;eele, dann vom Thierkörper gehandelt. In Bezug auf die See-<lb/>
lenäußerungen wird nach &#x017F;pirituali&#x017F;ti&#x017F;cher Auffa&#x017F;&#x017F;ung die ganze Lehre<lb/>
von den Sinnen, den Affecten, der Locomotion durchgegangen, ohne<lb/>
jedoch, wie es ja bei letzterer z. B. nahe gelegen hätte, das Zu&#x017F;tande-<lb/>
kommen der einzelnen Er&#x017F;cheinungen aus dem Baue der betreffenden<lb/>
Organe abzuleiten. Dabei kommen zwar Aeußerungen vor, welche wei-<lb/>
tern Unter&#x017F;uchungen wohl hätten als Ausgangspunkte dienen können,<lb/>
wie Verfa&#x017F;&#x017F;er z. B. &#x017F;agt, daß zwar Gott im Anfang die Seelen der<lb/>
Thiere mit ihren Körpern er&#x017F;chaffen habe, daß &#x017F;ie aber &#x017F;päter bei der<lb/>
Fortpflanzung er&#x017F;t mit ent&#x017F;tünden. Doch heißt es an einer andern<lb/>
Stelle wieder, beim Schließen des einen Auges werde das andere<lb/>
größer wegen des Eintritts größerer Mengen &#x201E;Spiritus&#x201C;. Daß die<lb/>
Fi&#x017F;che hören, daß al&#x017F;o das Hören unter Wa&#x017F;&#x017F;er möglich und wahr &#x017F;ei,<lb/>
wird aus der That&#x017F;ache gefolgert, daß man Fi&#x017F;che durch Läuten mit<lb/>
einer Glocke an einen be&#x017F;timmten Fütterungsort rufen kann. Von<lb/>
Muskeln i&#x017F;t hier bei der Locomotion eben&#x017F;owenig die Rede, als im<lb/>
zweiten Kapitel, wo der Körper der Thiere be&#x017F;prochen wird. Es werden<lb/>
fe&#x017F;te, oder andere enthaltende, und flü&#x017F;&#x017F;ige, oder in andern enthaltene<lb/>
Theile unter&#x017F;chieden und ihnen als dritte Gruppe noch An&#x017F;toß gebende<lb/>
Theile, Spiritus, an die Seite ge&#x017F;tellt. Letztere &#x017F;ind natürliche, vitale<lb/>
und animale Spiritus. Man &#x017F;ieht, daß es noch voll&#x017F;tändig an klaren<lb/>
phy&#x017F;iologi&#x017F;chen Vorbegriffen fehlte, daß man vielmehr meinte, um Le-<lb/>
benser&#x017F;cheinungen erklären zu können, mü&#x017F;&#x017F;e man im alten Galeni&#x017F;chen<lb/>
Sinne zu unbekannten räth&#x017F;elhaften Einflü&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eine Zuflucht nehmen.<lb/>
Der zweite &#x017F;pecielle Theil des <persName ref="http://d-nb.info/gnd/117492752">Sperling</persName>'&#x017F;chen Werkes i&#x017F;t dadurch nicht<lb/>
unintere&#x017F;&#x017F;ant, als der Verfa&#x017F;&#x017F;er zum er&#x017F;tenmale ver&#x017F;ucht hat, die auf-<lb/>
gezählten Thierarten durch kurze präci&#x017F;e Definitionen, welche er auch<lb/>
hier in den &#x201E;Präcepten&#x201C; voran&#x017F;tellt, zu charakteri&#x017F;iren und die&#x017F;e dann<lb/>
durch weitere Ausführungen näher zu erläutern. Es macht &#x017F;ich aber<lb/>
dabei &#x017F;owohl eine völlige Vernachlä&#x017F;&#x017F;igung der wichtigern äußeren zoo-<lb/>
logi&#x017F;chen Merkmale als eine Unbekannt&#x017F;chaft mit &#x017F;elb&#x017F;t leichter zu er-<lb/>
mittelnden anatomi&#x017F;chen Verhältni&#x017F;&#x017F;en geltend, wenn er z. B. gegen<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">20*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[307/0318] Johann Sperling. des Menſchen, wie ſie ſpäter zur Bildung eines beſondern Naturreichs für ihn führte. Im erſten allgemeinen Theile wird nun zuerſt von der Thierſeele, dann vom Thierkörper gehandelt. In Bezug auf die See- lenäußerungen wird nach ſpiritualiſtiſcher Auffaſſung die ganze Lehre von den Sinnen, den Affecten, der Locomotion durchgegangen, ohne jedoch, wie es ja bei letzterer z. B. nahe gelegen hätte, das Zuſtande- kommen der einzelnen Erſcheinungen aus dem Baue der betreffenden Organe abzuleiten. Dabei kommen zwar Aeußerungen vor, welche wei- tern Unterſuchungen wohl hätten als Ausgangspunkte dienen können, wie Verfaſſer z. B. ſagt, daß zwar Gott im Anfang die Seelen der Thiere mit ihren Körpern erſchaffen habe, daß ſie aber ſpäter bei der Fortpflanzung erſt mit entſtünden. Doch heißt es an einer andern Stelle wieder, beim Schließen des einen Auges werde das andere größer wegen des Eintritts größerer Mengen „Spiritus“. Daß die Fiſche hören, daß alſo das Hören unter Waſſer möglich und wahr ſei, wird aus der Thatſache gefolgert, daß man Fiſche durch Läuten mit einer Glocke an einen beſtimmten Fütterungsort rufen kann. Von Muskeln iſt hier bei der Locomotion ebenſowenig die Rede, als im zweiten Kapitel, wo der Körper der Thiere beſprochen wird. Es werden feſte, oder andere enthaltende, und flüſſige, oder in andern enthaltene Theile unterſchieden und ihnen als dritte Gruppe noch Anſtoß gebende Theile, Spiritus, an die Seite geſtellt. Letztere ſind natürliche, vitale und animale Spiritus. Man ſieht, daß es noch vollſtändig an klaren phyſiologiſchen Vorbegriffen fehlte, daß man vielmehr meinte, um Le- benserſcheinungen erklären zu können, müſſe man im alten Galeniſchen Sinne zu unbekannten räthſelhaften Einflüſſen ſeine Zuflucht nehmen. Der zweite ſpecielle Theil des Sperling'ſchen Werkes iſt dadurch nicht unintereſſant, als der Verfaſſer zum erſtenmale verſucht hat, die auf- gezählten Thierarten durch kurze präciſe Definitionen, welche er auch hier in den „Präcepten“ voranſtellt, zu charakteriſiren und dieſe dann durch weitere Ausführungen näher zu erläutern. Es macht ſich aber dabei ſowohl eine völlige Vernachläſſigung der wichtigern äußeren zoo- logiſchen Merkmale als eine Unbekanntſchaft mit ſelbſt leichter zu er- mittelnden anatomiſchen Verhältniſſen geltend, wenn er z. B. gegen 20*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/318
Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/318>, abgerufen am 01.06.2024.