Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Zootomische und vergleichend-anatomische Leistungen. Vesalius (eigentlich Witting aus Wesel, geb. 1514, gest. 1564)nahm die reformatorische Bewegung auf, gieng aber noch den entschei- dendsten Schritt weiter, -- von Galen zur Natur. Freilich konnte es da nicht ausbleiben, daß Galen's Autorität, wo es sich entschieden um anatomische Verhältnisse beim Menschen handelte, arg erschüttert wurde. In seinem, zuerst 1543 erschienenen Hauptwerke "Ueber den Bau des menschlichen Körpers" mußte sich Vesal den Boden Schritt für Schritt durch Naturschilderungen erkämpfen. Diese verstießen aber gegen die Angaben Galen's, weil derselbe einen andern Gegen- stand vor sich gehabt hatte. Schon Vesal selbst wies beständig auf diesen letzteren hin und flocht zahlreiche Bemerkungen über das Ver- halten einzelner anatomischer Verhältnisse bei Thieren seiner Dar- stellung ein. Noch hervortretender wird dies bei den Vertheidigern Galen's, so z. B. bei Bartolomeo Eustachio (gest. 1574), wel- cher die offenbaren Abweichungen der Galenschen Beschreibungen von dem beim Menschen Gefundenen aus der Breite der Veränderlichkeit des menschlichen Baues zu erklären versuchte, daneben aber immer auf die entsprechenden Verhältnisse (besonders des Skeletes) des Affen hin- wies. Andererseits mußte natürlich auch eine Gewißheit über das beim Menschen wirklich Vorhandene für den Chirurgen ganz besonders wichtig sein. Der Reformator der Chirurgie, Ambroise Pare (1517-1590) folgte daher nicht bloß Vesal, dessen Abbildungen er benutzte, sondern vergleicht auch selbständig mit ausdrücklichem Hin- weis auf die sich entsprechenden Theile die Skelete eines Säugethieres und eines Vogels mit dem des Menschen. In ähnlicher Weise schildert auch der jüngere Riolan (1577-1657) in seiner Osteographie des Menschen das Skelet des Affen. Es galt eben hier, zur Beurtheilung der Abweichungen von Galen das Vergleichsobjekt selbst vorzuführen. Einen reichhaltigeren Beitrag nicht bloß zur Kenntniß der Skelet- 125) Koiter, Koyter oder Coeiter.
Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen. Veſalius (eigentlich Witting aus Weſel, geb. 1514, geſt. 1564)nahm die reformatoriſche Bewegung auf, gieng aber noch den entſchei- dendſten Schritt weiter, — von Galen zur Natur. Freilich konnte es da nicht ausbleiben, daß Galen's Autorität, wo es ſich entſchieden um anatomiſche Verhältniſſe beim Menſchen handelte, arg erſchüttert wurde. In ſeinem, zuerſt 1543 erſchienenen Hauptwerke „Ueber den Bau des menſchlichen Körpers“ mußte ſich Veſal den Boden Schritt für Schritt durch Naturſchilderungen erkämpfen. Dieſe verſtießen aber gegen die Angaben Galen's, weil derſelbe einen andern Gegen- ſtand vor ſich gehabt hatte. Schon Veſal ſelbſt wies beſtändig auf dieſen letzteren hin und flocht zahlreiche Bemerkungen über das Ver- halten einzelner anatomiſcher Verhältniſſe bei Thieren ſeiner Dar- ſtellung ein. Noch hervortretender wird dies bei den Vertheidigern Galen's, ſo z. B. bei Bartolomeo Euſtachio (geſt. 1574), wel- cher die offenbaren Abweichungen der Galenſchen Beſchreibungen von dem beim Menſchen Gefundenen aus der Breite der Veränderlichkeit des menſchlichen Baues zu erklären verſuchte, daneben aber immer auf die entſprechenden Verhältniſſe (beſonders des Skeletes) des Affen hin- wies. Andererſeits mußte natürlich auch eine Gewißheit über das beim Menſchen wirklich Vorhandene für den Chirurgen ganz beſonders wichtig ſein. Der Reformator der Chirurgie, Ambroiſe Paré (1517-1590) folgte daher nicht bloß Veſal, deſſen Abbildungen er benutzte, ſondern vergleicht auch ſelbſtändig mit ausdrücklichem Hin- weis auf die ſich entſprechenden Theile die Skelete eines Säugethieres und eines Vogels mit dem des Menſchen. In ähnlicher Weiſe ſchildert auch der jüngere Riolan (1577-1657) in ſeiner Oſteographie des Menſchen das Skelet des Affen. Es galt eben hier, zur Beurtheilung der Abweichungen von Galen das Vergleichsobjekt ſelbſt vorzuführen. Einen reichhaltigeren Beitrag nicht bloß zur Kenntniß der Skelet- 125) Koiter, Koyter oder Coeiter.
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Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
Veſalius (eigentlich Witting aus Weſel, geb. 1514, geſt. 1564)
nahm die reformatoriſche Bewegung auf, gieng aber noch den entſchei-
dendſten Schritt weiter, — von Galen zur Natur. Freilich konnte es
da nicht ausbleiben, daß Galen's Autorität, wo es ſich entſchieden um
anatomiſche Verhältniſſe beim Menſchen handelte, arg erſchüttert
wurde. In ſeinem, zuerſt 1543 erſchienenen Hauptwerke „Ueber den
Bau des menſchlichen Körpers“ mußte ſich Veſal den Boden Schritt
für Schritt durch Naturſchilderungen erkämpfen. Dieſe verſtießen
aber gegen die Angaben Galen's, weil derſelbe einen andern Gegen-
ſtand vor ſich gehabt hatte. Schon Veſal ſelbſt wies beſtändig auf
dieſen letzteren hin und flocht zahlreiche Bemerkungen über das Ver-
halten einzelner anatomiſcher Verhältniſſe bei Thieren ſeiner Dar-
ſtellung ein. Noch hervortretender wird dies bei den Vertheidigern
Galen's, ſo z. B. bei Bartolomeo Euſtachio (geſt. 1574), wel-
cher die offenbaren Abweichungen der Galenſchen Beſchreibungen von
dem beim Menſchen Gefundenen aus der Breite der Veränderlichkeit
des menſchlichen Baues zu erklären verſuchte, daneben aber immer auf
die entſprechenden Verhältniſſe (beſonders des Skeletes) des Affen hin-
wies. Andererſeits mußte natürlich auch eine Gewißheit über das beim
Menſchen wirklich Vorhandene für den Chirurgen ganz beſonders
wichtig ſein. Der Reformator der Chirurgie, Ambroiſe Paré
(1517-1590) folgte daher nicht bloß Veſal, deſſen Abbildungen er
benutzte, ſondern vergleicht auch ſelbſtändig mit ausdrücklichem Hin-
weis auf die ſich entſprechenden Theile die Skelete eines Säugethieres
und eines Vogels mit dem des Menſchen. In ähnlicher Weiſe ſchildert
auch der jüngere Riolan (1577-1657) in ſeiner Oſteographie des
Menſchen das Skelet des Affen. Es galt eben hier, zur Beurtheilung
der Abweichungen von Galen das Vergleichsobjekt ſelbſt vorzuführen.
Einen reichhaltigeren Beitrag nicht bloß zur Kenntniß der Skelet-
formen, ſondern zur Zootomie überhaupt hatte aber ſchon vor Paré
und Riolan der als Stadtphyſikus in Nürnberg 1600 geſtorbene
Volcher Coiter gegeben 125). Er war 1535 in Groningen geboren,
125) Koiter, Koyter oder Coeiter.
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