Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Zootomische und vergleichend-anatomische Leistungen. Grundlagen für deren Zustandekommen morphologisch auf einanderzurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinsame der Erscheinung auf eine gewisse Uebereinstimmung in dem Bau der be- treffenden Organe zu beziehen. Das aus solchen Betrachtungen sich ergebende Resultat konnte natürlich nur der Physiologie zu Gute kom- men und würde selbst dann diese einseitige Richtung nicht verloren haben, wenn dem Fabrizio noch bessere Hülfsmittel der Untersuchung zu Gebote gestanden hätten, als das bloße anatomische Messer. In der Führung desselben war er aber sicherlich geschickt und noch erinnert der seinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der frühesten zootomischen Untersuchungen der neueren Zeit. Mit Coiter hat Fabrizio noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des sich bil- denden Vogels von Tag zu Tag schilderte und abbildete. Aber auch ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher späte- ren Untersuchungen gleicher Art eine so bedeutende Tragweite verlieh. Die Stellung, welche Fabrizio zu der von seinem Schüler Harvey zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann nicht hier geschildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An- schauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meisten sei- ner Zeitgenossen noch vielfach von den irrigen Anschauungen früherer Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und Lebensgeister zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte der thierischen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden Sinne von dem "Nutzen" des Muskelfleisches gilt128). Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an- 128) Hier. Fabricii ab Aquapendente Opera omnia anatomica
et physiologica. Cum praefatione Joh. Bohnij. Lipsiae, 1687. Fol. Diesel- ben herausgegeben von S. Albinus. Lugdun. 1737. Fol. Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen. Grundlagen für deren Zuſtandekommen morphologiſch auf einanderzurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinſame der Erſcheinung auf eine gewiſſe Uebereinſtimmung in dem Bau der be- treffenden Organe zu beziehen. Das aus ſolchen Betrachtungen ſich ergebende Reſultat konnte natürlich nur der Phyſiologie zu Gute kom- men und würde ſelbſt dann dieſe einſeitige Richtung nicht verloren haben, wenn dem Fabrizio noch beſſere Hülfsmittel der Unterſuchung zu Gebote geſtanden hätten, als das bloße anatomiſche Meſſer. In der Führung deſſelben war er aber ſicherlich geſchickt und noch erinnert der ſeinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der früheſten zootomiſchen Unterſuchungen der neueren Zeit. Mit Coiter hat Fabrizio noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des ſich bil- denden Vogels von Tag zu Tag ſchilderte und abbildete. Aber auch ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher ſpäte- ren Unterſuchungen gleicher Art eine ſo bedeutende Tragweite verlieh. Die Stellung, welche Fabrizio zu der von ſeinem Schüler Harvey zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann nicht hier geſchildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An- ſchauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meiſten ſei- ner Zeitgenoſſen noch vielfach von den irrigen Anſchauungen früherer Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und Lebensgeiſter zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte der thieriſchen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden Sinne von dem „Nutzen“ des Muskelfleiſches gilt128). Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an- 128) Hier. Fabricii ab Aquapendente Opera omnia anatomica
et physiologica. Cum praefatione Joh. Bohnij. Lipsiae, 1687. Fol. Dieſel- ben herausgegeben von S. Albinus. Lugdun. 1737. Fol. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0392" n="381"/><fw place="top" type="header">Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.</fw><lb/> Grundlagen für deren Zuſtandekommen morphologiſch auf einander<lb/> zurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinſame der<lb/> Erſcheinung auf eine gewiſſe Uebereinſtimmung in dem Bau der be-<lb/> treffenden Organe zu beziehen. Das aus ſolchen Betrachtungen ſich<lb/> ergebende Reſultat konnte natürlich nur der Phyſiologie zu Gute kom-<lb/> men und würde ſelbſt dann dieſe einſeitige Richtung nicht verloren<lb/> haben, wenn dem <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> noch beſſere Hülfsmittel der Unterſuchung<lb/> zu Gebote geſtanden hätten, als das bloße anatomiſche Meſſer. In<lb/> der Führung deſſelben war er aber ſicherlich geſchickt und noch erinnert<lb/> der ſeinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der<lb/> früheſten zootomiſchen Unterſuchungen der neueren Zeit. Mit <persName ref="http://d-nb.info/gnd/128678232">Coiter</persName><lb/> hat <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des<lb/> Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des ſich bil-<lb/> denden Vogels von Tag zu Tag ſchilderte und abbildete. Aber auch<lb/> ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher ſpäte-<lb/> ren Unterſuchungen gleicher Art eine ſo bedeutende Tragweite verlieh.<lb/> Die Stellung, welche <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> zu der von ſeinem Schüler <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118546481">Harvey</persName></hi><lb/> zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann<lb/> nicht hier geſchildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An-<lb/> ſchauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meiſten ſei-<lb/> ner Zeitgenoſſen noch vielfach von den irrigen Anſchauungen früherer<lb/> Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und<lb/> Lebensgeiſter zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte<lb/> der thieriſchen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden<lb/> Sinne von dem „Nutzen“ des Muskelfleiſches gilt<note place="foot" n="128)"><hi rendition="#aq"><hi rendition="#g">Hier</hi>. <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabricii ab Aquapendente</persName></hi> Opera omnia anatomica<lb/> et physiologica. Cum praefatione Joh. <hi rendition="#g">Bohnij</hi>. Lipsiae, 1687. Fol.</hi> Dieſel-<lb/> ben herausgegeben von <hi rendition="#aq"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/119396432">S. <hi rendition="#g">Albinus</hi></persName>. Lugdun. 1737. Fol.</hi></note>.</p><lb/> <p>Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an-<lb/> dere Wiſſenſchaften nimmt auch der Zeitgenoſſe <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118546481">Harvey</persName>'s <hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/11747486X">Marco<lb/> Aurelio Severino</persName></hi> ein (geboren 1580 in Tarſia in Calabrien,<lb/> Profeſſor der Anatomie und, wie es auch <persName ref="http://d-nb.info/gnd/119215357">Fabrizio</persName> war, der Chirurgie<lb/> in Neapel, dort geſtorben 1656). Doch iſt ihm als beſonderes Ver-<lb/> dienſt anzurechnen, daß er zum erſtenmale in einer ausdrücklich der<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [381/0392]
Zootomiſche und vergleichend-anatomiſche Leiſtungen.
Grundlagen für deren Zuſtandekommen morphologiſch auf einander
zurückzuführen, als vielmehr um ganz allgemein das Gemeinſame der
Erſcheinung auf eine gewiſſe Uebereinſtimmung in dem Bau der be-
treffenden Organe zu beziehen. Das aus ſolchen Betrachtungen ſich
ergebende Reſultat konnte natürlich nur der Phyſiologie zu Gute kom-
men und würde ſelbſt dann dieſe einſeitige Richtung nicht verloren
haben, wenn dem Fabrizio noch beſſere Hülfsmittel der Unterſuchung
zu Gebote geſtanden hätten, als das bloße anatomiſche Meſſer. In
der Führung deſſelben war er aber ſicherlich geſchickt und noch erinnert
der ſeinen Namen tragende Cloakenanhang bei Vögeln an eine der
früheſten zootomiſchen Unterſuchungen der neueren Zeit. Mit Coiter
hat Fabrizio noch ferner das gemein, daß auch er die Entwickelung des
Hühnchens verfolgte und die Veränderung der Körperform des ſich bil-
denden Vogels von Tag zu Tag ſchilderte und abbildete. Aber auch
ihm fehlte der allgemeine Blick auf den Wirbelthierbau, welcher ſpäte-
ren Unterſuchungen gleicher Art eine ſo bedeutende Tragweite verlieh.
Die Stellung, welche Fabrizio zu der von ſeinem Schüler Harvey
zur Vollendung geführten Lehre vom Blutkreislauf einnahm, kann
nicht hier geſchildert werden. Als Hemmniß einer fruchtbareren An-
ſchauung muß aber hervorgehoben werden, daß er wie die meiſten ſei-
ner Zeitgenoſſen noch vielfach von den irrigen Anſchauungen früherer
Zeiten befangen war, was z. B. von der Verbreitung der Luft und
Lebensgeiſter zum Gehirn und zum Herzen, von dem Ausgangspunkte
der thieriſchen Entwickelung und in einem kaum anders zu deutenden
Sinne von dem „Nutzen“ des Muskelfleiſches gilt 128).
Eine ganz ähnliche Stellung in Bezug auf das Anlehnen an an-
dere Wiſſenſchaften nimmt auch der Zeitgenoſſe Harvey's Marco
Aurelio Severino ein (geboren 1580 in Tarſia in Calabrien,
Profeſſor der Anatomie und, wie es auch Fabrizio war, der Chirurgie
in Neapel, dort geſtorben 1656). Doch iſt ihm als beſonderes Ver-
dienſt anzurechnen, daß er zum erſtenmale in einer ausdrücklich der
128) Hier. Fabricii ab Aquapendente Opera omnia anatomica
et physiologica. Cum praefatione Joh. Bohnij. Lipsiae, 1687. Fol. Dieſel-
ben herausgegeben von S. Albinus. Lugdun. 1737. Fol.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |