Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Allgemeine Anschauungen. den Zug gemüthlicher Vertrautheit häufig rührende Bekanntschaft mitder Thiere heimlichstem Leben. Als der Simplicissimus den Be- weis geben soll, daß er kein Narr, sondern gescheidter sei, als mancher der ihn hänselt, läßt ihn Grimmelshausen sich seiner Kenntniß vom Leben der Thiere rühmen2). "Sagt mir doch, wer die wilden Bloch- Dauben, Hähne, Ambseln und Rebhühner gelernet hat, wie sie sich mit Lorbeerblättern purgiren sollen und die Dauben, Turteldäublein und Hühner mit Sanct Peter's Kraut? Wer lehrt Hund und Katzen, daß sie das bethaute Gras fressen sollen, wenn sie ihren vollen Bauch reinigen wollen? Wer die Schild-Krott, wie sie die Biß mit Schirling heyle, und den Hirsch, wenn er geschossen, wie er seine Zuflucht zu dem Dictamno oder wilden Poley nehmen solle? Wer hat das Wiselin unterrichtet, daß es Rauten gebrauchen solle, wenn es mit der Fleder- mauß oder irgend einer Schlange kämpffen will? Wer gibt den wilden Schweinen den Epheu und den Beeren den Alraun zu erkennen und sagt ihnen, daß es gut seye zu ihrer Artzney? Wer hat dem Adler ge- rathen, daß er den Adlerstein suchen und gebrauchen soll, wann er seine Eyer schwerlich legen kann? Und welcher gibt es der Schwalbe zu ver- stehen, daß sie ihrer Jungen blöde Augen mit dem Chelidonio artzneyen solle? Wer hat die Schlang instruirt, daß sie sol Fenchel essen, wann sie ihre Haut abstreiffen und ihren dunklen Augen helffen will? Wer lehrt den Storck sich zu clystiren, den Pelican, sich Aber zu lassen und dem Beeren, wie er ihm von den Bienen solle schrepffen lassen?" Hier klingt ja Alterthum und Mittelalter noch hell und vernehmlich durch. Er nennt auch Schnecken und Frösche "Insecten"3) und erzählt ferner4), daß die Katze "mit Schmerzen empfahe, aber mit Wollust gebäre," was er als Beleg für die Richtigkeit der über die Weiber der Sylphen im Mummelsee verbreiteten Erzählungen beibringt. Den hauptsächlichsten Unterschied zwischen Menschen und Thieren bildet die Sprache, wie der 2) der abenteuerliche Simplicissimus, von Grimmelshausen, heraus- geg. von Keller. Stuttgart, litterar. Verein. 1. Bd. S. 245. 3) ebenda, 1. Bd. S. 144. 4) ebenda, 2. Bd. S. 748.
Allgemeine Anſchauungen. den Zug gemüthlicher Vertrautheit häufig rührende Bekanntſchaft mitder Thiere heimlichſtem Leben. Als der Simpliciſſimus den Be- weis geben ſoll, daß er kein Narr, ſondern geſcheidter ſei, als mancher der ihn hänſelt, läßt ihn Grimmelshauſen ſich ſeiner Kenntniß vom Leben der Thiere rühmen2). „Sagt mir doch, wer die wilden Bloch- Dauben, Hähne, Ambſeln und Rebhühner gelernet hat, wie ſie ſich mit Lorbeerblättern purgiren ſollen und die Dauben, Turteldäublein und Hühner mit Sanct Peter's Kraut? Wer lehrt Hund und Katzen, daß ſie das bethaute Gras freſſen ſollen, wenn ſie ihren vollen Bauch reinigen wollen? Wer die Schild-Krott, wie ſie die Biß mit Schirling heyle, und den Hirſch, wenn er geſchoſſen, wie er ſeine Zuflucht zu dem Dictamno oder wilden Poley nehmen ſolle? Wer hat das Wiſelin unterrichtet, daß es Rauten gebrauchen ſolle, wenn es mit der Fleder- mauß oder irgend einer Schlange kämpffen will? Wer gibt den wilden Schweinen den Epheu und den Beeren den Alraun zu erkennen und ſagt ihnen, daß es gut ſeye zu ihrer Artzney? Wer hat dem Adler ge- rathen, daß er den Adlerſtein ſuchen und gebrauchen ſoll, wann er ſeine Eyer ſchwerlich legen kann? Und welcher gibt es der Schwalbe zu ver- ſtehen, daß ſie ihrer Jungen blöde Augen mit dem Chelidonio artzneyen ſolle? Wer hat die Schlang inſtruirt, daß ſie ſol Fenchel eſſen, wann ſie ihre Haut abſtreiffen und ihren dunklen Augen helffen will? Wer lehrt den Storck ſich zu clyſtiren, den Pelican, ſich Aber zu laſſen und dem Beeren, wie er ihm von den Bienen ſolle ſchrepffen laſſen?“ Hier klingt ja Alterthum und Mittelalter noch hell und vernehmlich durch. Er nennt auch Schnecken und Fröſche „Inſecten“3) und erzählt ferner4), daß die Katze „mit Schmerzen empfahe, aber mit Wolluſt gebäre,“ was er als Beleg für die Richtigkeit der über die Weiber der Sylphen im Mummelſee verbreiteten Erzählungen beibringt. Den hauptſächlichſten Unterſchied zwiſchen Menſchen und Thieren bildet die Sprache, wie der 2) der abenteuerliche Simpliciſſimus, von Grimmelshauſen, heraus- geg. von Keller. Stuttgart, litterar. Verein. 1. Bd. S. 245. 3) ebenda, 1. Bd. S. 144. 4) ebenda, 2. Bd. S. 748.
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der Thiere heimlichſtem Leben. Als der Simpliciſſimus den Be-
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der ihn hänſelt, läßt ihn Grimmelshauſen ſich ſeiner Kenntniß vom
Leben der Thiere rühmen 2). „Sagt mir doch, wer die wilden Bloch-
Dauben, Hähne, Ambſeln und Rebhühner gelernet hat, wie ſie ſich
mit Lorbeerblättern purgiren ſollen und die Dauben, Turteldäublein
und Hühner mit Sanct Peter's Kraut? Wer lehrt Hund und Katzen,
daß ſie das bethaute Gras freſſen ſollen, wenn ſie ihren vollen Bauch
reinigen wollen? Wer die Schild-Krott, wie ſie die Biß mit Schirling
heyle, und den Hirſch, wenn er geſchoſſen, wie er ſeine Zuflucht zu
dem Dictamno oder wilden Poley nehmen ſolle? Wer hat das Wiſelin
unterrichtet, daß es Rauten gebrauchen ſolle, wenn es mit der Fleder-
mauß oder irgend einer Schlange kämpffen will? Wer gibt den wilden
Schweinen den Epheu und den Beeren den Alraun zu erkennen und
ſagt ihnen, daß es gut ſeye zu ihrer Artzney? Wer hat dem Adler ge-
rathen, daß er den Adlerſtein ſuchen und gebrauchen ſoll, wann er ſeine
Eyer ſchwerlich legen kann? Und welcher gibt es der Schwalbe zu ver-
ſtehen, daß ſie ihrer Jungen blöde Augen mit dem Chelidonio artzneyen
ſolle? Wer hat die Schlang inſtruirt, daß ſie ſol Fenchel eſſen, wann
ſie ihre Haut abſtreiffen und ihren dunklen Augen helffen will? Wer
lehrt den Storck ſich zu clyſtiren, den Pelican, ſich Aber zu laſſen und
dem Beeren, wie er ihm von den Bienen ſolle ſchrepffen laſſen?“ Hier
klingt ja Alterthum und Mittelalter noch hell und vernehmlich durch.
Er nennt auch Schnecken und Fröſche „Inſecten“ 3) und erzählt ferner 4),
daß die Katze „mit Schmerzen empfahe, aber mit Wolluſt gebäre,“ was
er als Beleg für die Richtigkeit der über die Weiber der Sylphen im
Mummelſee verbreiteten Erzählungen beibringt. Den hauptſächlichſten
Unterſchied zwiſchen Menſchen und Thieren bildet die Sprache, wie der
2) der abenteuerliche Simpliciſſimus, von Grimmelshauſen, heraus-
geg. von Keller. Stuttgart, litterar. Verein. 1. Bd. S. 245.
3) ebenda, 1. Bd. S. 144.
4) ebenda, 2. Bd. S. 748.
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