wissenschaftlich zu beleben. Die auffallende Aehnlichkeit vieler thieri- schen Formen mit einander hatte ja zwar schon längst zu der Anerken- nung einzelner Grundformen geführt; man sprach von Vögeln, Fischen u. s. f. So sehr man aber auch geneigt war, die völlige Gleichheit der Lebenserscheinungen eines der höheren Thiere und etwa der eines In- sectes oder Weichthieres anzuerkennen, so fehlte doch eine einigermaßen genügende, wenn auch nur äußere Erklärung hierfür so lange, als man die Gleichheit des feineren Baues so verschiedener Formen, die Gleichheit der eigentlich wirksamen Theile, wie sie nach Absehen von der äußeren Gestaltung sich offenbarte, nicht nachweisen, selbst kaum ahnen konnte. Jeder Schritt, welcher die Kenntniß diesem Ziele näher führte, mußte auf die Anschauung vom Thierleben und vom Bau der Thierkörper von Einfluß sein. Freilich haben die angedeuteten Resul- tate dieser tiefer eingehenden Beobachtung erst in viel neuerer Zeit ihre abschließende Form erhalten. Die ersten Versuche in dieser Richtung sind aber schon von großer Bedeutung gewesen, auch an sich und nicht bloß als Entwickelungsstufen der späteren Erkenntniß.
Dem Erfassen kleinerer Thierformen, sowie dem tieferen Eindrin- gen in das innere Gefüge des Thierkörpers war bisher in der Unzu- länglichkeit des menschlichen Auges eine natürliche Grenze gesetzt. Wurde diese durchbrochen, wurde dem Auge eine neue Sehkraft ver- liehen, so war dadurch nicht bloß für die Beobachtung ein neues Hülfsmittel geschaffen; es erschloß sich vielmehr dem geistigen Auge geradezu eine neue Welt; es belebte sich jeder Wassertropfen, jedes Staubkörnchen, das scheinbar Gleichartige im körperlichen Gefüge er- wies sich wiederum als höchst zusammengesetzt. Alles, womit man als mit einfachen Thatsachen rechnen zu können gemeint hatte, stellte sich als Folge zusammengesetzter Bildungsvorgänge heraus. Der Reichthum organischer Gestaltungen wuchs in einem unvorhergesehenen Maße; aber auch die Aufgaben der wissenschaftlichen Erklärungen ver- tieften sich. Natürlich traten alle diese Betrachtungen nicht sofort in das Bewußtsein derer ein, welche zuerst das Mikroskop benutzten. Allmählich erst und unter Abhängigkeit von der technischen Ausbildung dieses wichtigen Werkzeuges der neueren Zeit entwickelte sich jene
Periode der Syſtematik.
wiſſenſchaftlich zu beleben. Die auffallende Aehnlichkeit vieler thieri- ſchen Formen mit einander hatte ja zwar ſchon längſt zu der Anerken- nung einzelner Grundformen geführt; man ſprach von Vögeln, Fiſchen u. ſ. f. So ſehr man aber auch geneigt war, die völlige Gleichheit der Lebenserſcheinungen eines der höheren Thiere und etwa der eines In- ſectes oder Weichthieres anzuerkennen, ſo fehlte doch eine einigermaßen genügende, wenn auch nur äußere Erklärung hierfür ſo lange, als man die Gleichheit des feineren Baues ſo verſchiedener Formen, die Gleichheit der eigentlich wirkſamen Theile, wie ſie nach Abſehen von der äußeren Geſtaltung ſich offenbarte, nicht nachweiſen, ſelbſt kaum ahnen konnte. Jeder Schritt, welcher die Kenntniß dieſem Ziele näher führte, mußte auf die Anſchauung vom Thierleben und vom Bau der Thierkörper von Einfluß ſein. Freilich haben die angedeuteten Reſul- tate dieſer tiefer eingehenden Beobachtung erſt in viel neuerer Zeit ihre abſchließende Form erhalten. Die erſten Verſuche in dieſer Richtung ſind aber ſchon von großer Bedeutung geweſen, auch an ſich und nicht bloß als Entwickelungsſtufen der ſpäteren Erkenntniß.
Dem Erfaſſen kleinerer Thierformen, ſowie dem tieferen Eindrin- gen in das innere Gefüge des Thierkörpers war bisher in der Unzu- länglichkeit des menſchlichen Auges eine natürliche Grenze geſetzt. Wurde dieſe durchbrochen, wurde dem Auge eine neue Sehkraft ver- liehen, ſo war dadurch nicht bloß für die Beobachtung ein neues Hülfsmittel geſchaffen; es erſchloß ſich vielmehr dem geiſtigen Auge geradezu eine neue Welt; es belebte ſich jeder Waſſertropfen, jedes Staubkörnchen, das ſcheinbar Gleichartige im körperlichen Gefüge er- wies ſich wiederum als höchſt zuſammengeſetzt. Alles, womit man als mit einfachen Thatſachen rechnen zu können gemeint hatte, ſtellte ſich als Folge zuſammengeſetzter Bildungsvorgänge heraus. Der Reichthum organiſcher Geſtaltungen wuchs in einem unvorhergeſehenen Maße; aber auch die Aufgaben der wiſſenſchaftlichen Erklärungen ver- tieften ſich. Natürlich traten alle dieſe Betrachtungen nicht ſofort in das Bewußtſein derer ein, welche zuerſt das Mikroſkop benutzten. Allmählich erſt und unter Abhängigkeit von der techniſchen Ausbildung dieſes wichtigen Werkzeuges der neueren Zeit entwickelte ſich jene
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Periode der Syſtematik.
wiſſenſchaftlich zu beleben. Die auffallende Aehnlichkeit vieler thieri-
ſchen Formen mit einander hatte ja zwar ſchon längſt zu der Anerken-
nung einzelner Grundformen geführt; man ſprach von Vögeln, Fiſchen
u. ſ. f. So ſehr man aber auch geneigt war, die völlige Gleichheit der
Lebenserſcheinungen eines der höheren Thiere und etwa der eines In-
ſectes oder Weichthieres anzuerkennen, ſo fehlte doch eine einigermaßen
genügende, wenn auch nur äußere Erklärung hierfür ſo lange, als
man die Gleichheit des feineren Baues ſo verſchiedener Formen, die
Gleichheit der eigentlich wirkſamen Theile, wie ſie nach Abſehen von
der äußeren Geſtaltung ſich offenbarte, nicht nachweiſen, ſelbſt kaum
ahnen konnte. Jeder Schritt, welcher die Kenntniß dieſem Ziele näher
führte, mußte auf die Anſchauung vom Thierleben und vom Bau der
Thierkörper von Einfluß ſein. Freilich haben die angedeuteten Reſul-
tate dieſer tiefer eingehenden Beobachtung erſt in viel neuerer Zeit ihre
abſchließende Form erhalten. Die erſten Verſuche in dieſer Richtung
ſind aber ſchon von großer Bedeutung geweſen, auch an ſich und nicht
bloß als Entwickelungsſtufen der ſpäteren Erkenntniß.
Dem Erfaſſen kleinerer Thierformen, ſowie dem tieferen Eindrin-
gen in das innere Gefüge des Thierkörpers war bisher in der Unzu-
länglichkeit des menſchlichen Auges eine natürliche Grenze geſetzt.
Wurde dieſe durchbrochen, wurde dem Auge eine neue Sehkraft ver-
liehen, ſo war dadurch nicht bloß für die Beobachtung ein neues
Hülfsmittel geſchaffen; es erſchloß ſich vielmehr dem geiſtigen Auge
geradezu eine neue Welt; es belebte ſich jeder Waſſertropfen, jedes
Staubkörnchen, das ſcheinbar Gleichartige im körperlichen Gefüge er-
wies ſich wiederum als höchſt zuſammengeſetzt. Alles, womit man
als mit einfachen Thatſachen rechnen zu können gemeint hatte, ſtellte
ſich als Folge zuſammengeſetzter Bildungsvorgänge heraus. Der
Reichthum organiſcher Geſtaltungen wuchs in einem unvorhergeſehenen
Maße; aber auch die Aufgaben der wiſſenſchaftlichen Erklärungen ver-
tieften ſich. Natürlich traten alle dieſe Betrachtungen nicht ſofort in
das Bewußtſein derer ein, welche zuerſt das Mikroſkop benutzten.
Allmählich erſt und unter Abhängigkeit von der techniſchen Ausbildung
dieſes wichtigen Werkzeuges der neueren Zeit entwickelte ſich jene
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/403>, abgerufen am 22.11.2024.
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