Es ist nicht ohne Interesse zu sehen, wie schon bei Aristoteles die Frage nach dem Unterschiede zwischen Thier und Pflanze berührt wird. Bei- den gemeinsam ist das Leben; doch ist selbst der Uebergang von den unbelebten Körpern zu den Pflanzen nur allmählich. Im Ganzen er- scheinen die Pflanzen den andern Körpern gegenüber beseelt, den Thie- ren gegenüber unbeseelt zu sein. Von allen belebten Wesen unterscheidet sich aber das Thier allein durch die Empfindung; willkürliche Bewe- gung ist nicht nothwendig bei allen Thieren. Ueber die Natur mancher Seegewächse kann man zweifelhaft sein, ob sie pflanzlich oder thierisch ist. Die hier gemeinten sind aber nicht die später sogenannten Zoophy- ten (wenn schon der Aristotelische Zweifel der Bildung dieser Gruppe zu Grunde lag), sondern Schalthiere (Pinna, Solen). Auch die Asci- dien, sagt Aristoteles, kann man mit Recht pflanzlich nennen, da sie, wie die Pflanzen, keine Ausscheidung (Excremente) von sich geben.32). Man sieht, wie Aristoteles hier in denselben Fehler verfallen ist, wie fast alle Neueren. Der sprachlich überlieferte Ausdruck "Pflanze" wurde als ein solcher aufgefaßt, welcher eine von der Natur gegebene Classe von Körpern decken müsse. Dasselbe trat für die Späteren mit dem Begriff der "Art" ein. Statt zu untersuchen, ob etwas dem Wort ent- sprechendes Unveränderliches oder fest Abgeschlossenes in der Natur vorhanden sei, und dann beim Mangel eines solchen die Freiheit der Natur zu wahren und bloß künstlich nach dem Stande der Kenntnisse dem Ausdrucke einen Inhalt anzuweisen, glaubte man das Wort als das Symbol eines in der Natur liegenden Geheimnisses betrachten zu müssen, welches man doch noch entschleiern zu können hoffte.
Weniger Schwierigkeit als die Grenzbestimmung des Thierreichs gegen die Pflanzen hin machte die Abgrenzung desselben nach oben. Aristoteles sowohl als Plinius gehen bei ihren Schilderungen von oben nach unten. Ersterer sagt ausdrücklich, daß man von dem Bekanntesten ausgehen müsse; und der Mensch sei das bekannteste Thier. In allen seinen Schriften, wo von anatomischen oder entwickelungsgeschichtlichen
32) Die Hauptstellen des Aristoteles sind: De anima, cap. 2 u.3. Hist. anim. VIII, 1. 4-8. (Aub. u. Wimm.). De gener. anim. I, 23. 103 (Aub. u. Wimm.). De part. anim. IV, 5. 681 a, b.
Das claſſiſche Alterthum.
Es iſt nicht ohne Intereſſe zu ſehen, wie ſchon bei Ariſtoteles die Frage nach dem Unterſchiede zwiſchen Thier und Pflanze berührt wird. Bei- den gemeinſam iſt das Leben; doch iſt ſelbſt der Uebergang von den unbelebten Körpern zu den Pflanzen nur allmählich. Im Ganzen er- ſcheinen die Pflanzen den andern Körpern gegenüber beſeelt, den Thie- ren gegenüber unbeſeelt zu ſein. Von allen belebten Weſen unterſcheidet ſich aber das Thier allein durch die Empfindung; willkürliche Bewe- gung iſt nicht nothwendig bei allen Thieren. Ueber die Natur mancher Seegewächſe kann man zweifelhaft ſein, ob ſie pflanzlich oder thieriſch iſt. Die hier gemeinten ſind aber nicht die ſpäter ſogenannten Zoophy- ten (wenn ſchon der Ariſtoteliſche Zweifel der Bildung dieſer Gruppe zu Grunde lag), ſondern Schalthiere (Pinna, Solen). Auch die Asci- dien, ſagt Ariſtoteles, kann man mit Recht pflanzlich nennen, da ſie, wie die Pflanzen, keine Ausſcheidung (Excremente) von ſich geben.32). Man ſieht, wie Ariſtoteles hier in denſelben Fehler verfallen iſt, wie faſt alle Neueren. Der ſprachlich überlieferte Ausdruck „Pflanze“ wurde als ein ſolcher aufgefaßt, welcher eine von der Natur gegebene Claſſe von Körpern decken müſſe. Daſſelbe trat für die Späteren mit dem Begriff der „Art“ ein. Statt zu unterſuchen, ob etwas dem Wort ent- ſprechendes Unveränderliches oder feſt Abgeſchloſſenes in der Natur vorhanden ſei, und dann beim Mangel eines ſolchen die Freiheit der Natur zu wahren und bloß künſtlich nach dem Stande der Kenntniſſe dem Ausdrucke einen Inhalt anzuweiſen, glaubte man das Wort als das Symbol eines in der Natur liegenden Geheimniſſes betrachten zu müſſen, welches man doch noch entſchleiern zu können hoffte.
Weniger Schwierigkeit als die Grenzbeſtimmung des Thierreichs gegen die Pflanzen hin machte die Abgrenzung deſſelben nach oben. Ariſtoteles ſowohl als Plinius gehen bei ihren Schilderungen von oben nach unten. Erſterer ſagt ausdrücklich, daß man von dem Bekannteſten ausgehen müſſe; und der Menſch ſei das bekannteſte Thier. In allen ſeinen Schriften, wo von anatomiſchen oder entwickelungsgeſchichtlichen
32) Die Hauptſtellen des Ariſtoteles ſind: De anima, cap. 2 u.3. Hist. anim. VIII, 1. 4-8. (Aub. u. Wimm.). De gener. anim. I, 23. 103 (Aub. u. Wimm.). De part. anim. IV, 5. 681 a, b.
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unbelebten Körpern zu den Pflanzen nur allmählich. Im Ganzen er-
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iſt. Die hier gemeinten ſind aber nicht die ſpäter ſogenannten Zoophy-
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dien, ſagt Ariſtoteles, kann man mit Recht pflanzlich nennen, da ſie,
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Man ſieht, wie Ariſtoteles hier in denſelben Fehler verfallen iſt, wie
faſt alle Neueren. Der ſprachlich überlieferte Ausdruck „Pflanze“ wurde
als ein ſolcher aufgefaßt, welcher eine von der Natur gegebene Claſſe
von Körpern decken müſſe. Daſſelbe trat für die Späteren mit dem
Begriff der „Art“ ein. Statt zu unterſuchen, ob etwas dem Wort ent-
ſprechendes Unveränderliches oder feſt Abgeſchloſſenes in der Natur
vorhanden ſei, und dann beim Mangel eines ſolchen die Freiheit der
Natur zu wahren und bloß künſtlich nach dem Stande der Kenntniſſe
dem Ausdrucke einen Inhalt anzuweiſen, glaubte man das Wort als
das Symbol eines in der Natur liegenden Geheimniſſes betrachten zu
müſſen, welches man doch noch entſchleiern zu können hoffte.
Weniger Schwierigkeit als die Grenzbeſtimmung des Thierreichs
gegen die Pflanzen hin machte die Abgrenzung deſſelben nach oben.
Ariſtoteles ſowohl als Plinius gehen bei ihren Schilderungen von oben
nach unten. Erſterer ſagt ausdrücklich, daß man von dem Bekannteſten
ausgehen müſſe; und der Menſch ſei das bekannteſte Thier. In allen
ſeinen Schriften, wo von anatomiſchen oder entwickelungsgeſchichtlichen
32) Die Hauptſtellen des Ariſtoteles ſind: De anima, cap. 2 u.3. Hist.
anim. VIII, 1. 4-8. (Aub. u. Wimm.). De gener. anim. I, 23. 103 (Aub. u.
Wimm.). De part. anim. IV, 5. 681 a, b.
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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/42>, abgerufen am 21.11.2024.
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