Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.durescit, mollis fuit herba sub undis" hatte Ovid von den Korallen- stöcken gesagt31). Diese Ansicht, daß die Korallen im Wasser weich seien und nur an der Luft erhärten, wurde erst gegen Ende des sieb- zehnten Jahrhunderts allmählich beseitigt. Da indeß diese Gebilde meist nur in trockenem Zustande in Sammlungen betrachtet wurden, hatte sich bei einigen Naturforschern, wie Boccone, die Ansicht heraus- gebildet, es seien die Korallenstöcke Concretionen anorganischer Be- schaffenheit. Aber auch für die Erkenntniß dieser niedern, einen selbstän- digen Formenkreis darstellenden Thiere brach mit dem Erwachen neuer Beobachtungslust eine neue Zeit an. Der oben genannte Graf Mar- sigli hatte bei den Untersuchungen zu seiner physikalischen Geschichte des Meeres auch den Korallen eingehende Aufmerksamkeit gewidmet. In diesem Werke beschreibt er die Edelkoralle und bildet dieselbe ganz leid- lich ab und zwar nicht bloß den kalkigen Stock, sondern auch den orga- nischen Ueberzug und sogar die in voller Ausdehnung der Tentakeln entwickelten Polypen. Aber als wäre für die Einbildung der Menschen der Schritt vom völlig Unbelebten zum Thiere auf einmal zu groß, ent- schied er sich, trotz der chemischen Untersuchung und den Fäulnißerschei- nungen mit ihrem an faulende Fische erinnernden Geruche, für die pflanzliche Natur der Korallen, erklärte die Einzelthiere für Blüthen, den Nahrungssaft, welchen er verschieben und auspressen konnte, für Milchsaft und weist auf die gleiche Natur einer Anzahl verwandter Formen hin. Sein Werk erschien italienisch 1711, französisch 1725; doch hatte er schon vorher seine Entdeckung der Pariser Akademie mit- getheilt (veröffentlicht im Journal des Savans, 1707). Durch Mar- sigli's Arbeit war denn ein wichtiges Moment für die Weiterentwicke- lung der Ansichten über diese Thiere gegeben. Die Geschichte dieser Entwickelung selbst ist indessen ein sprechender Beweis für das zähe Festhalten, auch bei sonst tüchtigen Beobachtern, an überlieferten und durch etwelche Autoritäten unterstützten Meinungen. Kurz vor Marsigli hatte Georg Everh. Rumph in seiner Amboinschen Raritätenkam- mer von den Polypen als "Thieren, welche Pflanzen nachbilden", aber 31) Metamorphos. IV, 749. V. Carus, Gesch. d. Zool. 30
durescit, mollis fuit herba sub undis« hatte Ovid von den Korallen- ſtöcken geſagt31). Dieſe Anſicht, daß die Korallen im Waſſer weich ſeien und nur an der Luft erhärten, wurde erſt gegen Ende des ſieb- zehnten Jahrhunderts allmählich beſeitigt. Da indeß dieſe Gebilde meiſt nur in trockenem Zuſtande in Sammlungen betrachtet wurden, hatte ſich bei einigen Naturforſchern, wie Boccone, die Anſicht heraus- gebildet, es ſeien die Korallenſtöcke Concretionen anorganiſcher Be- ſchaffenheit. Aber auch für die Erkenntniß dieſer niedern, einen ſelbſtän- digen Formenkreis darſtellenden Thiere brach mit dem Erwachen neuer Beobachtungsluſt eine neue Zeit an. Der oben genannte Graf Mar- ſigli hatte bei den Unterſuchungen zu ſeiner phyſikaliſchen Geſchichte des Meeres auch den Korallen eingehende Aufmerkſamkeit gewidmet. In dieſem Werke beſchreibt er die Edelkoralle und bildet dieſelbe ganz leid- lich ab und zwar nicht bloß den kalkigen Stock, ſondern auch den orga- niſchen Ueberzug und ſogar die in voller Ausdehnung der Tentakeln entwickelten Polypen. Aber als wäre für die Einbildung der Menſchen der Schritt vom völlig Unbelebten zum Thiere auf einmal zu groß, ent- ſchied er ſich, trotz der chemiſchen Unterſuchung und den Fäulnißerſchei- nungen mit ihrem an faulende Fiſche erinnernden Geruche, für die pflanzliche Natur der Korallen, erklärte die Einzelthiere für Blüthen, den Nahrungsſaft, welchen er verſchieben und auspreſſen konnte, für Milchſaft und weiſt auf die gleiche Natur einer Anzahl verwandter Formen hin. Sein Werk erſchien italieniſch 1711, franzöſiſch 1725; doch hatte er ſchon vorher ſeine Entdeckung der Pariſer Akademie mit- getheilt (veröffentlicht im Journal des Savans, 1707). Durch Mar- ſigli's Arbeit war denn ein wichtiges Moment für die Weiterentwicke- lung der Anſichten über dieſe Thiere gegeben. Die Geſchichte dieſer Entwickelung ſelbſt iſt indeſſen ein ſprechender Beweis für das zähe Feſthalten, auch bei ſonſt tüchtigen Beobachtern, an überlieferten und durch etwelche Autoritäten unterſtützten Meinungen. Kurz vor Marſigli hatte Georg Everh. Rumph in ſeiner Amboinſchen Raritätenkam- mer von den Polypen als „Thieren, welche Pflanzen nachbilden“, aber 31) Metamorphos. IV, 749. V. Carus, Geſch. d. Zool. 30
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Die Zeit von Ray bis Klein.
durescit, mollis fuit herba sub undis« hatte Ovid von den Korallen-
ſtöcken geſagt 31). Dieſe Anſicht, daß die Korallen im Waſſer weich
ſeien und nur an der Luft erhärten, wurde erſt gegen Ende des ſieb-
zehnten Jahrhunderts allmählich beſeitigt. Da indeß dieſe Gebilde
meiſt nur in trockenem Zuſtande in Sammlungen betrachtet wurden,
hatte ſich bei einigen Naturforſchern, wie Boccone, die Anſicht heraus-
gebildet, es ſeien die Korallenſtöcke Concretionen anorganiſcher Be-
ſchaffenheit. Aber auch für die Erkenntniß dieſer niedern, einen ſelbſtän-
digen Formenkreis darſtellenden Thiere brach mit dem Erwachen neuer
Beobachtungsluſt eine neue Zeit an. Der oben genannte Graf Mar-
ſigli hatte bei den Unterſuchungen zu ſeiner phyſikaliſchen Geſchichte des
Meeres auch den Korallen eingehende Aufmerkſamkeit gewidmet. In
dieſem Werke beſchreibt er die Edelkoralle und bildet dieſelbe ganz leid-
lich ab und zwar nicht bloß den kalkigen Stock, ſondern auch den orga-
niſchen Ueberzug und ſogar die in voller Ausdehnung der Tentakeln
entwickelten Polypen. Aber als wäre für die Einbildung der Menſchen
der Schritt vom völlig Unbelebten zum Thiere auf einmal zu groß, ent-
ſchied er ſich, trotz der chemiſchen Unterſuchung und den Fäulnißerſchei-
nungen mit ihrem an faulende Fiſche erinnernden Geruche, für die
pflanzliche Natur der Korallen, erklärte die Einzelthiere für Blüthen,
den Nahrungsſaft, welchen er verſchieben und auspreſſen konnte, für
Milchſaft und weiſt auf die gleiche Natur einer Anzahl verwandter
Formen hin. Sein Werk erſchien italieniſch 1711, franzöſiſch 1725;
doch hatte er ſchon vorher ſeine Entdeckung der Pariſer Akademie mit-
getheilt (veröffentlicht im Journal des Savans, 1707). Durch Mar-
ſigli's Arbeit war denn ein wichtiges Moment für die Weiterentwicke-
lung der Anſichten über dieſe Thiere gegeben. Die Geſchichte dieſer
Entwickelung ſelbſt iſt indeſſen ein ſprechender Beweis für das zähe
Feſthalten, auch bei ſonſt tüchtigen Beobachtern, an überlieferten und
durch etwelche Autoritäten unterſtützten Meinungen. Kurz vor Marſigli
hatte Georg Everh. Rumph in ſeiner Amboinſchen Raritätenkam-
mer von den Polypen als „Thieren, welche Pflanzen nachbilden“, aber
31) Metamorphos. IV, 749.
V. Carus, Geſch. d. Zool. 30
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