Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.Periode der Systematik. über, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß "Naturspiel" nur eineBezeichnung unserer Unkenntniß von der eigentlichen Ursache sei (Ory- ctographia Norica. 1708). Ebenso ist der Lübecker Pastor Jak. von Melle ein Diluvianer bei Beschreibung mehrerer Lübecker Fossilien; und so sind es bald alle, welche von Versteinerungen sprechen. Unter der Annahme, daß die mosaische Sindfluth den Untergang früherer Geschlechter verursacht habe, war es zunächst natürlich, daß man in den versteinerten Formen dieselben Arten zu erblicken glaubte, wie die jetzt lebenden. So hat z. B. Ant. de Jussieu fossile Reste einer Hippopotamus-Art auf die jetzt existirende bezogen. Aber wenn die erste Schöpfung untergegangen war, so war zu erwarten, daß auch der Mensch diesem Geschick nicht entgehen konnte. Riesige Knochen bezog man daher aller Orten auf Menschen, deren Leiber nach man- cherlei Angaben in der Bibel von ganz andern Dimensionen gewesen sein sollten als die der später die Erde bevölkernden. Kein Bericht ist so berühmt geworden, als die Schrift Scheuchzer's über den Men- schen als Zeugen der Sindfluth (Homo diluvii testis, 1726), worin er die Knochen eines fossilen Salamanders, den erst Cuvier als solchen erkannte, für die Gebeine eines sündhaften Menschenkindes erklärte. Trotz derartiger Misgriffe war die Kenntniß der fossilen Formen nun als Zweig des Naturwissens sichergestellt, und wenn auch bei Scheuchzer, dem Vater der Versteinerungskunde, ebensowenig wie bei seinen zeitgenössischen Mitarbeitern ein Gedanke an eine historische Auffassung der Fossilen durchbrach, so ist ihnen doch das erstmalige Sammeln von Thatsachen auf einem Gebiete zu danken, von welchem in späteren Zeiten ein so wunderbares Licht auch auf andere Lehren vom Leben der Thiere und Pflanzen ausgieng. So hat sich denn in die verhältnißmäßig kurze Zeit eine reiche Periode der Syſtematik. über, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß „Naturſpiel“ nur eineBezeichnung unſerer Unkenntniß von der eigentlichen Urſache ſei (Ory- ctographia Norica. 1708). Ebenſo iſt der Lübecker Paſtor Jak. von Melle ein Diluvianer bei Beſchreibung mehrerer Lübecker Foſſilien; und ſo ſind es bald alle, welche von Verſteinerungen ſprechen. Unter der Annahme, daß die moſaiſche Sindfluth den Untergang früherer Geſchlechter verurſacht habe, war es zunächſt natürlich, daß man in den verſteinerten Formen dieſelben Arten zu erblicken glaubte, wie die jetzt lebenden. So hat z. B. Ant. de Juſſieu foſſile Reſte einer Hippopotamus-Art auf die jetzt exiſtirende bezogen. Aber wenn die erſte Schöpfung untergegangen war, ſo war zu erwarten, daß auch der Menſch dieſem Geſchick nicht entgehen konnte. Rieſige Knochen bezog man daher aller Orten auf Menſchen, deren Leiber nach man- cherlei Angaben in der Bibel von ganz andern Dimenſionen geweſen ſein ſollten als die der ſpäter die Erde bevölkernden. Kein Bericht iſt ſo berühmt geworden, als die Schrift Scheuchzer's über den Men- ſchen als Zeugen der Sindfluth (Homo diluvii testis, 1726), worin er die Knochen eines foſſilen Salamanders, den erſt Cuvier als ſolchen erkannte, für die Gebeine eines ſündhaften Menſchenkindes erklärte. Trotz derartiger Misgriffe war die Kenntniß der foſſilen Formen nun als Zweig des Naturwiſſens ſichergeſtellt, und wenn auch bei Scheuchzer, dem Vater der Verſteinerungskunde, ebenſowenig wie bei ſeinen zeitgenöſſiſchen Mitarbeitern ein Gedanke an eine hiſtoriſche Auffaſſung der Foſſilen durchbrach, ſo iſt ihnen doch das erſtmalige Sammeln von Thatſachen auf einem Gebiete zu danken, von welchem in ſpäteren Zeiten ein ſo wunderbares Licht auch auf andere Lehren vom Leben der Thiere und Pflanzen ausgieng. 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Periode der Syſtematik.
über, mit der ausdrücklichen Bemerkung, daß „Naturſpiel“ nur eine
Bezeichnung unſerer Unkenntniß von der eigentlichen Urſache ſei (Ory-
ctographia Norica. 1708). Ebenſo iſt der Lübecker Paſtor Jak. von
Melle ein Diluvianer bei Beſchreibung mehrerer Lübecker Foſſilien;
und ſo ſind es bald alle, welche von Verſteinerungen ſprechen. Unter
der Annahme, daß die moſaiſche Sindfluth den Untergang früherer
Geſchlechter verurſacht habe, war es zunächſt natürlich, daß man in
den verſteinerten Formen dieſelben Arten zu erblicken glaubte, wie die
jetzt lebenden. So hat z. B. Ant. de Juſſieu foſſile Reſte einer
Hippopotamus-Art auf die jetzt exiſtirende bezogen. Aber wenn die
erſte Schöpfung untergegangen war, ſo war zu erwarten, daß auch
der Menſch dieſem Geſchick nicht entgehen konnte. Rieſige Knochen
bezog man daher aller Orten auf Menſchen, deren Leiber nach man-
cherlei Angaben in der Bibel von ganz andern Dimenſionen geweſen
ſein ſollten als die der ſpäter die Erde bevölkernden. Kein Bericht iſt
ſo berühmt geworden, als die Schrift Scheuchzer's über den Men-
ſchen als Zeugen der Sindfluth (Homo diluvii testis, 1726), worin
er die Knochen eines foſſilen Salamanders, den erſt Cuvier als ſolchen
erkannte, für die Gebeine eines ſündhaften Menſchenkindes erklärte.
Trotz derartiger Misgriffe war die Kenntniß der foſſilen Formen nun
als Zweig des Naturwiſſens ſichergeſtellt, und wenn auch bei
Scheuchzer, dem Vater der Verſteinerungskunde, ebenſowenig wie
bei ſeinen zeitgenöſſiſchen Mitarbeitern ein Gedanke an eine hiſtoriſche
Auffaſſung der Foſſilen durchbrach, ſo iſt ihnen doch das erſtmalige
Sammeln von Thatſachen auf einem Gebiete zu danken, von welchem
in ſpäteren Zeiten ein ſo wunderbares Licht auch auf andere Lehren
vom Leben der Thiere und Pflanzen ausgieng.
So hat ſich denn in die verhältnißmäßig kurze Zeit eine reiche
Fülle von Arbeiten zuſammengedrängt, welche zum Theil bahnbrechend,
zum Theil auf gegebenem Grunde weiterbauend faſt allen Theilen der
Zoologie ein neues wiſſenſchaftlich geſichertes Anſehn gaben. Beſon-
ders waren für die formelle Ausbildung des zoologiſchen Syſtems die
wichtigſten Elemente gegeben. Ray hatte den Begriff der Art zu fixi-
ren verſucht und dadurch den einheitlichen Ausgangspunkt aller Claſſi-
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