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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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gleichem Grade bedeutend und muß in hohem Grade anregend gewesen
sein. Bisher war die Naturgeschichte nur als Anhang zur Heilmittel-
lehre, ganz wie am Ausgange des Mittelalters als Lehre von den "ein-
fachen Mitteln" behandelt und in der alten steifen mehr litterar-
historischen Weise vorgetragen worden. Linne schöpfte aus einem
außerordentlich reichen Schatze autoptischer Erfahrung und führte seine
Schüler (zu denen auch Schreber und J. E. Fabricius gehörten) in
einer völlig neuen Weise in die Natur ein. Wie seine Vorlesungen, so
war auch sein Präsidium bei Promotionen gesucht; ein reiches Zeug-
niß hierfür gibt die große Zahl von Dissertationen, welche von ihm
verfaßt oder überarbeitet, später in den Amoenitates academicae ge-
sammelt wurden. Im Jahre 1758 hatte er Hammarby gekauft und es
1764, nachdem er durch seinen Sohn Carl im Lehramte eine Ver-
tretung erhalten hatte, bezogen. Nach mehreren schweren Erkrankungen
traten Schlaganfälle ein, in deren Folge er am 10. Januar 1778 starb.

Linne's Verdienste um die Zoologie und Botanik ist man heutzu-
tage geneigt, wenn nicht zu unterschätzen, doch einer entschieden ver-
gangenen Zeit angehörig zu betrachten, da die Fragen, welche jetzt den
Inhalt der wissenschaftlichen Bestrebungen ausmachen, nur selten oder
überhaupt kaum von ihm berührt werden. Seine nicht bloß geschicht-
liche Bedeutung für die Wissenschaft der belebten Natur auch in ihrer
heutigen Form ist aber ganz außerordentlich und kaum von der irgend
eines andern Mannes übertroffen. Sollen allgemeine Wahrheiten aus
Einzelbeobachtungen abgeleitet werden, so müssen letztere so präcis
wiedergegeben werden können, daß man unter allen Umständen weiß,
wovon die Rede ist. Dies war aber bis zu Linne weder in der Zoologie
noch in der Botanik möglich. Von Thieren hatte man eine beträcht-
liche Zahl kennen gelernt; aber Niemand war im Stande, mit Sicher-

braucht hier nur noch zugefügt zu werden, daß der Leipziger Nachdruck der 10.
Ausgabe (1762) von Linne als 11. Ausgabe bezeichnet wird, während er den von
Lange besorgten Abdruck (Halle, 1760) gar nicht erwähnt. Die 12. Ausgabe ist
dann die 1766-68 in Stockholm erschienene, die letzte, welche Linne selbst besorgt
hat. An diese schließt sich dann die in Leipzig 1788 von Joh. Friedr. Gmelin
herausgegebene als 13. an.
V. Carus, Gesch. d. Zool. 32

gleichem Grade bedeutend und muß in hohem Grade anregend geweſen
ſein. Bisher war die Naturgeſchichte nur als Anhang zur Heilmittel-
lehre, ganz wie am Ausgange des Mittelalters als Lehre von den „ein-
fachen Mitteln“ behandelt und in der alten ſteifen mehr litterar-
hiſtoriſchen Weiſe vorgetragen worden. Linné ſchöpfte aus einem
außerordentlich reichen Schatze autoptiſcher Erfahrung und führte ſeine
Schüler (zu denen auch Schreber und J. E. Fabricius gehörten) in
einer völlig neuen Weiſe in die Natur ein. Wie ſeine Vorleſungen, ſo
war auch ſein Präſidium bei Promotionen geſucht; ein reiches Zeug-
niß hierfür gibt die große Zahl von Diſſertationen, welche von ihm
verfaßt oder überarbeitet, ſpäter in den Amoenitates academicae ge-
ſammelt wurden. Im Jahre 1758 hatte er Hammarby gekauft und es
1764, nachdem er durch ſeinen Sohn Carl im Lehramte eine Ver-
tretung erhalten hatte, bezogen. Nach mehreren ſchweren Erkrankungen
traten Schlaganfälle ein, in deren Folge er am 10. Januar 1778 ſtarb.

Linné's Verdienſte um die Zoologie und Botanik iſt man heutzu-
tage geneigt, wenn nicht zu unterſchätzen, doch einer entſchieden ver-
gangenen Zeit angehörig zu betrachten, da die Fragen, welche jetzt den
Inhalt der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen ausmachen, nur ſelten oder
überhaupt kaum von ihm berührt werden. Seine nicht bloß geſchicht-
liche Bedeutung für die Wiſſenſchaft der belebten Natur auch in ihrer
heutigen Form iſt aber ganz außerordentlich und kaum von der irgend
eines andern Mannes übertroffen. Sollen allgemeine Wahrheiten aus
Einzelbeobachtungen abgeleitet werden, ſo müſſen letztere ſo präcis
wiedergegeben werden können, daß man unter allen Umſtänden weiß,
wovon die Rede iſt. Dies war aber bis zu Linné weder in der Zoologie
noch in der Botanik möglich. Von Thieren hatte man eine beträcht-
liche Zahl kennen gelernt; aber Niemand war im Stande, mit Sicher-

braucht hier nur noch zugefügt zu werden, daß der Leipziger Nachdruck der 10.
Ausgabe (1762) von Linné als 11. Ausgabe bezeichnet wird, während er den von
Lange beſorgten Abdruck (Halle, 1760) gar nicht erwähnt. Die 12. Ausgabe iſt
dann die 1766-68 in Stockholm erſchienene, die letzte, welche Linné ſelbſt beſorgt
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[497/0508] Carl von Linné. gleichem Grade bedeutend und muß in hohem Grade anregend geweſen ſein. Bisher war die Naturgeſchichte nur als Anhang zur Heilmittel- lehre, ganz wie am Ausgange des Mittelalters als Lehre von den „ein- fachen Mitteln“ behandelt und in der alten ſteifen mehr litterar- hiſtoriſchen Weiſe vorgetragen worden. Linné ſchöpfte aus einem außerordentlich reichen Schatze autoptiſcher Erfahrung und führte ſeine Schüler (zu denen auch Schreber und J. E. Fabricius gehörten) in einer völlig neuen Weiſe in die Natur ein. Wie ſeine Vorleſungen, ſo war auch ſein Präſidium bei Promotionen geſucht; ein reiches Zeug- niß hierfür gibt die große Zahl von Diſſertationen, welche von ihm verfaßt oder überarbeitet, ſpäter in den Amoenitates academicae ge- ſammelt wurden. Im Jahre 1758 hatte er Hammarby gekauft und es 1764, nachdem er durch ſeinen Sohn Carl im Lehramte eine Ver- tretung erhalten hatte, bezogen. Nach mehreren ſchweren Erkrankungen traten Schlaganfälle ein, in deren Folge er am 10. Januar 1778 ſtarb. Linné's Verdienſte um die Zoologie und Botanik iſt man heutzu- tage geneigt, wenn nicht zu unterſchätzen, doch einer entſchieden ver- gangenen Zeit angehörig zu betrachten, da die Fragen, welche jetzt den Inhalt der wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen ausmachen, nur ſelten oder überhaupt kaum von ihm berührt werden. Seine nicht bloß geſchicht- liche Bedeutung für die Wiſſenſchaft der belebten Natur auch in ihrer heutigen Form iſt aber ganz außerordentlich und kaum von der irgend eines andern Mannes übertroffen. Sollen allgemeine Wahrheiten aus Einzelbeobachtungen abgeleitet werden, ſo müſſen letztere ſo präcis wiedergegeben werden können, daß man unter allen Umſtänden weiß, wovon die Rede iſt. Dies war aber bis zu Linné weder in der Zoologie noch in der Botanik möglich. Von Thieren hatte man eine beträcht- liche Zahl kennen gelernt; aber Niemand war im Stande, mit Sicher- 47) 47) braucht hier nur noch zugefügt zu werden, daß der Leipziger Nachdruck der 10. Ausgabe (1762) von Linné als 11. Ausgabe bezeichnet wird, während er den von Lange beſorgten Abdruck (Halle, 1760) gar nicht erwähnt. Die 12. Ausgabe iſt dann die 1766-68 in Stockholm erſchienene, die letzte, welche Linné ſelbſt beſorgt hat. An dieſe ſchließt ſich dann die in Leipzig 1788 von Joh. Friedr. Gmelin herausgegebene als 13. an. V. Carus, Geſch. d. Zool. 32

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/508>, abgerufen am 22.11.2024.