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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Wie hienach Linne für den äußeren sprachlichen Theil der Natur-
geschichte bestimmte Regeln aufstellt, so muß auch erwähnt werden, wie
er selbst in der Befolgung derselben ein glänzendes Beispiel gab. Wenn
auch nicht zu leugnen ist, daß er in Bezug auf Knappheit und Gedrängt-
heit des Ausdrucks manchmal bis an die äußerste Grenze des noch
Verständlichen gieng, so zieht doch selbst durch die straffest gehaltenen
Schilderungen und Definitionen ein, so deutlich das tiefste gemüthliche
Interesse wie die eingehendste Beobachtung verrathender Zug, man
möchte beinahe versucht sein zu sagen von Poesie, daß auch von dieser
Seite aus besonders die Einleitungen seiner Schriften zu den interessan-
testen und durch ihren Inhalt lohnendsten Stücken der neuern natur-
geschichtlichen Litteratur gehören47).

Wie Linne für die Arten und Gattungen scharfe Definitionen for-
derte und aufstellte, so begann er auch seine systematische Reform damit,
daß er die drei Naturreiche selbst durch kurze Diagnosen kennzeichnete.
In der letzten Aufgabe des Natursystems erscheint die berühmte Charak-
terisirung desselben: "Die Steine wachsen, die Pflanzen wachsen und
leben, die Thiere wachsen, leben und empfinden." In den späteren
Ausgaben ändert er nur den Charakter des Wachsens in den von der
Zusammensetzung hergenommenen um und nennt den Stein congesta,
Pflanzen und Thiere organisata. Diese Unterscheidung geht parallel
mit der Aenderung, welche in der Charakterisirung der Classen eintritt,
in die er das ganze Thierreich theilt. In allen Ausgaben sind es aber
dieselben sechs Classen: Vierfüßer, Vögel, Amphibien, Fische, Insecten
und Würmer. Anfangs (1.-9. Ausgabe des Natursystems) legte

maticae tamquam filo Ariadneo", und dann heißt es:
"Naturalis scientia trium
regnorum fundamentum est omnis diaetae, medicinae, oeconomiae tam
privatae quam ipsius naturae.
"
47) So schwer es ist, hier Beispiele wählen zu sollen, so sei doch auf die Be-
zeichnung des Wohnortes des Menschen hingewiesen, wie sie sich in der 12. Ausgabe
findet: habitat inter Tropicos Palmis lothophagus, hospitatur extra Tropicos no-
vercante Cerere carnivorus,
ferner auf die Diagnose des Menschen, die Beschreibung
des Hundes, die Bezeichnung der Vogelschnabelformen (Uncus trahens, Cuneus
saniens, Cribrum colans, Bacillus tentans, Harpa colligens, Forceps excipiens

u. s. w.

Wie hienach Linné für den äußeren ſprachlichen Theil der Natur-
geſchichte beſtimmte Regeln aufſtellt, ſo muß auch erwähnt werden, wie
er ſelbſt in der Befolgung derſelben ein glänzendes Beiſpiel gab. Wenn
auch nicht zu leugnen iſt, daß er in Bezug auf Knappheit und Gedrängt-
heit des Ausdrucks manchmal bis an die äußerſte Grenze des noch
Verſtändlichen gieng, ſo zieht doch ſelbſt durch die ſtraffeſt gehaltenen
Schilderungen und Definitionen ein, ſo deutlich das tiefſte gemüthliche
Intereſſe wie die eingehendſte Beobachtung verrathender Zug, man
möchte beinahe verſucht ſein zu ſagen von Poeſie, daß auch von dieſer
Seite aus beſonders die Einleitungen ſeiner Schriften zu den intereſſan-
teſten und durch ihren Inhalt lohnendſten Stücken der neuern natur-
geſchichtlichen Litteratur gehören47).

Wie Linné für die Arten und Gattungen ſcharfe Definitionen for-
derte und aufſtellte, ſo begann er auch ſeine ſyſtematiſche Reform damit,
daß er die drei Naturreiche ſelbſt durch kurze Diagnoſen kennzeichnete.
In der letzten Aufgabe des Naturſyſtems erſcheint die berühmte Charak-
teriſirung deſſelben: „Die Steine wachſen, die Pflanzen wachſen und
leben, die Thiere wachſen, leben und empfinden.“ In den ſpäteren
Ausgaben ändert er nur den Charakter des Wachſens in den von der
Zuſammenſetzung hergenommenen um und nennt den Stein congesta,
Pflanzen und Thiere organisata. Dieſe Unterſcheidung geht parallel
mit der Aenderung, welche in der Charakteriſirung der Claſſen eintritt,
in die er das ganze Thierreich theilt. In allen Ausgaben ſind es aber
dieſelben ſechs Claſſen: Vierfüßer, Vögel, Amphibien, Fiſche, Inſecten
und Würmer. Anfangs (1.-9. Ausgabe des Naturſyſtems) legte

maticae tamquam filo Ariadneo«, und dann heißt es:
»Naturalis scientia trium
regnorum fundamentum est omnis diaetae, medicinae, oeconomiae tam
privatae quam ipsius naturae.
«
47) So ſchwer es iſt, hier Beiſpiele wählen zu ſollen, ſo ſei doch auf die Be-
zeichnung des Wohnortes des Menſchen hingewieſen, wie ſie ſich in der 12. Ausgabe
findet: habitat inter Tropicos Palmis lothophagus, hospitatur extra Tropicos no-
vercante Cerere carnivorus,
ferner auf die Diagnoſe des Menſchen, die Beſchreibung
des Hundes, die Bezeichnung der Vogelſchnabelformen (Uncus trahens, Cuneus
saniens, Cribrum colans, Bacillus tentans, Harpa colligens, Forceps excipiens

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[503/0514] Carl von Linné. Wie hienach Linné für den äußeren ſprachlichen Theil der Natur- geſchichte beſtimmte Regeln aufſtellt, ſo muß auch erwähnt werden, wie er ſelbſt in der Befolgung derſelben ein glänzendes Beiſpiel gab. Wenn auch nicht zu leugnen iſt, daß er in Bezug auf Knappheit und Gedrängt- heit des Ausdrucks manchmal bis an die äußerſte Grenze des noch Verſtändlichen gieng, ſo zieht doch ſelbſt durch die ſtraffeſt gehaltenen Schilderungen und Definitionen ein, ſo deutlich das tiefſte gemüthliche Intereſſe wie die eingehendſte Beobachtung verrathender Zug, man möchte beinahe verſucht ſein zu ſagen von Poeſie, daß auch von dieſer Seite aus beſonders die Einleitungen ſeiner Schriften zu den intereſſan- teſten und durch ihren Inhalt lohnendſten Stücken der neuern natur- geſchichtlichen Litteratur gehören 47). Wie Linné für die Arten und Gattungen ſcharfe Definitionen for- derte und aufſtellte, ſo begann er auch ſeine ſyſtematiſche Reform damit, daß er die drei Naturreiche ſelbſt durch kurze Diagnoſen kennzeichnete. In der letzten Aufgabe des Naturſyſtems erſcheint die berühmte Charak- teriſirung deſſelben: „Die Steine wachſen, die Pflanzen wachſen und leben, die Thiere wachſen, leben und empfinden.“ In den ſpäteren Ausgaben ändert er nur den Charakter des Wachſens in den von der Zuſammenſetzung hergenommenen um und nennt den Stein congesta, Pflanzen und Thiere organisata. Dieſe Unterſcheidung geht parallel mit der Aenderung, welche in der Charakteriſirung der Claſſen eintritt, in die er das ganze Thierreich theilt. In allen Ausgaben ſind es aber dieſelben ſechs Claſſen: Vierfüßer, Vögel, Amphibien, Fiſche, Inſecten und Würmer. Anfangs (1.-9. Ausgabe des Naturſyſtems) legte 46) 47) So ſchwer es iſt, hier Beiſpiele wählen zu ſollen, ſo ſei doch auf die Be- zeichnung des Wohnortes des Menſchen hingewieſen, wie ſie ſich in der 12. Ausgabe findet: habitat inter Tropicos Palmis lothophagus, hospitatur extra Tropicos no- vercante Cerere carnivorus, ferner auf die Diagnoſe des Menſchen, die Beſchreibung des Hundes, die Bezeichnung der Vogelſchnabelformen (Uncus trahens, Cuneus saniens, Cribrum colans, Bacillus tentans, Harpa colligens, Forceps excipiens u. ſ. w. 46) maticae tamquam filo Ariadneo«, und dann heißt es: »Naturalis scientia trium regnorum fundamentum est omnis diaetae, medicinae, oeconomiae tam privatae quam ipsius naturae.«

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 503. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/514>, abgerufen am 22.11.2024.