Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.besonders Säugethiere, vorzüglich aber noch eine Reihe von Unter- suchungen über Würmer, welche nicht mit in das letzterwähnte Werk aufgenommen worden sind. Er gibt hier eine für ihre Zeit ganz vor- treffliche Anatomie der Aphrodite und Charakterisirungen mehrerer, gleichfalls anatomisch untersuchter Arten von Meerwürmern. Was aber diese Arbeit besonders zu einer sehr wichtigen macht, ist der Blick, welchen Pallas auf die Linne'sche Classe Würmer und die völlig natur- widrige Vereinigung der verschiedenartigsten Thierformen in derselben wirft. Er weist (S. 73) auf die nahe Verwandtschaft der Nacktschnecken (und Tintenfische) mit den schalentragenden, der Ascidien mit den zwei- schaligen Muscheln hin. Und wenn er nun freilich der letzterwähnten Gruppe diejenige für verwandt hält, welche die Seeigel und Seesterne umfaßt, wenn er die Medusen als möglicherweise den Mollusken nahe- stehend aufführt, so wird dieser auf Mangel an eigenen Beobachtungen beruhende Misgriff durch die auf anatomische Untersuchungen sich stützende Vereinigung der verschiedenen Meerwürmer, mögen sie nackt sein oder in Röhren leben, mit den Erd- und Eingeweidewürmern ent- schieden in den Hintergrund gedrängt. Bald nach dem Erscheinen der Miscellaneen kehrte Pallas nach Berlin zurück und begann dort die Herausgabe der Spicilegien, deren erstes Heft 1767 erschien. Da er in seiner Vaterstadt keine rechte Förderung fand, folgte er einem in diesem Jahre an ihn ergangenen Rufe nach Petersburg, wo er sehr bald von der Kaiserin Katharina zur Theilnahme an der zweiten oben erwähnten Expedition nach dem asiatischen Rußland bestimmt wurde. Ehe er Berlin verließ, erschienen noch mehrere Aufsätze von ihm. Unter diesen ist die Schilderung zweier "Phalänen" merkwürdig, bei welchen er die parthenogenetische Fortpflanzung beobachtet hatte; es waren dies zwei neuerdings wieder vielgenannte Pfychiden. Als von allgemeinem Interesse mag hier noch seiner Bemerkungen über die Classe der Fische gedacht werden, welche 1777 erschienen. Er tadelt darin scharf Linne's Gruppe der schwimmenden Amphibien, weist die dahin gerechneten Formen als echte Fische nach, hebt aber zugleich her- vor, daß Amphibien und Fische nur als Unterabtheilungen, als "Ord- nungen", einer gemeinsamen Classe zu betrachten seien. Seine Reise beſonders Säugethiere, vorzüglich aber noch eine Reihe von Unter- ſuchungen über Würmer, welche nicht mit in das letzterwähnte Werk aufgenommen worden ſind. Er gibt hier eine für ihre Zeit ganz vor- treffliche Anatomie der Aphrodite und Charakteriſirungen mehrerer, gleichfalls anatomiſch unterſuchter Arten von Meerwürmern. Was aber dieſe Arbeit beſonders zu einer ſehr wichtigen macht, iſt der Blick, welchen Pallas auf die Linné'ſche Claſſe Würmer und die völlig natur- widrige Vereinigung der verſchiedenartigſten Thierformen in derſelben wirft. Er weiſt (S. 73) auf die nahe Verwandtſchaft der Nacktſchnecken (und Tintenfiſche) mit den ſchalentragenden, der Ascidien mit den zwei- ſchaligen Muſcheln hin. Und wenn er nun freilich der letzterwähnten Gruppe diejenige für verwandt hält, welche die Seeigel und Seeſterne umfaßt, wenn er die Meduſen als möglicherweiſe den Mollusken nahe- ſtehend aufführt, ſo wird dieſer auf Mangel an eigenen Beobachtungen beruhende Misgriff durch die auf anatomiſche Unterſuchungen ſich ſtützende Vereinigung der verſchiedenen Meerwürmer, mögen ſie nackt ſein oder in Röhren leben, mit den Erd- und Eingeweidewürmern ent- ſchieden in den Hintergrund gedrängt. Bald nach dem Erſcheinen der Miscellaneen kehrte Pallas nach Berlin zurück und begann dort die Herausgabe der Spicilegien, deren erſtes Heft 1767 erſchien. Da er in ſeiner Vaterſtadt keine rechte Förderung fand, folgte er einem in dieſem Jahre an ihn ergangenen Rufe nach Petersburg, wo er ſehr bald von der Kaiſerin Katharina zur Theilnahme an der zweiten oben erwähnten Expedition nach dem aſiatiſchen Rußland beſtimmt wurde. Ehe er Berlin verließ, erſchienen noch mehrere Aufſätze von ihm. Unter dieſen iſt die Schilderung zweier „Phalänen“ merkwürdig, bei welchen er die parthenogenetiſche Fortpflanzung beobachtet hatte; es waren dies zwei neuerdings wieder vielgenannte Pfychiden. Als von allgemeinem Intereſſe mag hier noch ſeiner Bemerkungen über die Claſſe der Fiſche gedacht werden, welche 1777 erſchienen. Er tadelt darin ſcharf Linné's Gruppe der ſchwimmenden Amphibien, weiſt die dahin gerechneten Formen als echte Fiſche nach, hebt aber zugleich her- vor, daß Amphibien und Fiſche nur als Unterabtheilungen, als „Ord- nungen“, einer gemeinſamen Claſſe zu betrachten ſeien. Seine Reiſe <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0548" n="537"/><fw place="top" type="header"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/118591371">Peter Simon Pallas</persName>.</fw><lb/> beſonders Säugethiere, vorzüglich aber noch eine Reihe von Unter-<lb/> ſuchungen über Würmer, welche nicht mit in das letzterwähnte Werk<lb/> aufgenommen worden ſind. Er gibt hier eine für ihre Zeit ganz vor-<lb/> treffliche Anatomie der <hi rendition="#aq">Aphrodite</hi> und Charakteriſirungen mehrerer,<lb/> gleichfalls anatomiſch unterſuchter Arten von Meerwürmern. 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Peter Simon Pallas.
beſonders Säugethiere, vorzüglich aber noch eine Reihe von Unter-
ſuchungen über Würmer, welche nicht mit in das letzterwähnte Werk
aufgenommen worden ſind. Er gibt hier eine für ihre Zeit ganz vor-
treffliche Anatomie der Aphrodite und Charakteriſirungen mehrerer,
gleichfalls anatomiſch unterſuchter Arten von Meerwürmern. Was
aber dieſe Arbeit beſonders zu einer ſehr wichtigen macht, iſt der Blick,
welchen Pallas auf die Linné'ſche Claſſe Würmer und die völlig natur-
widrige Vereinigung der verſchiedenartigſten Thierformen in derſelben
wirft. Er weiſt (S. 73) auf die nahe Verwandtſchaft der Nacktſchnecken
(und Tintenfiſche) mit den ſchalentragenden, der Ascidien mit den zwei-
ſchaligen Muſcheln hin. Und wenn er nun freilich der letzterwähnten
Gruppe diejenige für verwandt hält, welche die Seeigel und Seeſterne
umfaßt, wenn er die Meduſen als möglicherweiſe den Mollusken nahe-
ſtehend aufführt, ſo wird dieſer auf Mangel an eigenen Beobachtungen
beruhende Misgriff durch die auf anatomiſche Unterſuchungen ſich
ſtützende Vereinigung der verſchiedenen Meerwürmer, mögen ſie nackt
ſein oder in Röhren leben, mit den Erd- und Eingeweidewürmern ent-
ſchieden in den Hintergrund gedrängt. Bald nach dem Erſcheinen der
Miscellaneen kehrte Pallas nach Berlin zurück und begann dort die
Herausgabe der Spicilegien, deren erſtes Heft 1767 erſchien. Da er
in ſeiner Vaterſtadt keine rechte Förderung fand, folgte er einem in
dieſem Jahre an ihn ergangenen Rufe nach Petersburg, wo er ſehr
bald von der Kaiſerin Katharina zur Theilnahme an der zweiten oben
erwähnten Expedition nach dem aſiatiſchen Rußland beſtimmt wurde.
Ehe er Berlin verließ, erſchienen noch mehrere Aufſätze von ihm.
Unter dieſen iſt die Schilderung zweier „Phalänen“ merkwürdig, bei
welchen er die parthenogenetiſche Fortpflanzung beobachtet hatte; es
waren dies zwei neuerdings wieder vielgenannte Pfychiden. Als von
allgemeinem Intereſſe mag hier noch ſeiner Bemerkungen über die
Claſſe der Fiſche gedacht werden, welche 1777 erſchienen. Er tadelt
darin ſcharf Linné's Gruppe der ſchwimmenden Amphibien, weiſt die
dahin gerechneten Formen als echte Fiſche nach, hebt aber zugleich her-
vor, daß Amphibien und Fiſche nur als Unterabtheilungen, als „Ord-
nungen“, einer gemeinſamen Claſſe zu betrachten ſeien. Seine Reiſe
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