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Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872.

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Periode der Systematik.
Standpunkte aus, andererseits benutzte man die Natur als Mittel zur
religiösen Erhebung. Durch beides suchte das idealistische Bedürfniß
eine Befriedigung zu erhalten, welche allerdings beim Mangel genügen-
der Verbreitung einer historischen Anschauung und Methode am leich-
testen durch die Naturgeschichte gewährt werden konnte. Förderung
hat die Wissenschaft durch diese Arbeiten nicht gefunden; der zuweilen
zu Tage tretende rührend kindliche Sinn ist besonders culturgeschichtlich
interessant. Es mag hier nur kurz an Folgendes erinnert werden. Der
bekannte Philosoph Johann Georg Sulzer (1720-1779) schrieb
nicht bloß moralische Betrachtungen über die Werke der Natur (1741),
sondern auch ein besonderes Buch über die Schönheit der Natur (1750).
In gleicher Weise war Heinrich Sander (geb. 1754, Professor
am Gymnasium in Karlsruhe, starb 1782) thätig, sowohl das Schöne
in der Natur (1781) als auch die weise Ordnung in derselben hervor-
zuheben (1779). Am eifrigsten war aber der Nordhäuser Pastor Frie-
drich Christian Lesser
(1692-1754) in dem Bemühen, der
Naturbetrachtung eine religiöse Stimmung zu verleihen. Er schrieb
nicht bloß eine Lithotheologie, sondern suchte auch durch eine Insecto-
theologie (1735, lateinische Dissertation, 1738 deutsch) und eine Testa-
ceotheologie (1744) "die geistliche Betrachtung" der Natur anzuregen.
Für andere Thierclassen war endlich Johann Heinrich Zorn
(Petinotheologie, geistliche Betrachtung der Vögel, 1742) und Johann
Gottfr. Ohnefalsch Richter
(Ichthyotheologie, 1754) dem Beispiel
des Nordhäuser "Geistlichen" gefolgt.

Wenn auch eine umgestaltende Anschauung des Thierreichs im
Ganzen erst später auftrat und sich hier nur in einzelnen Andeutungen
das Bewußtsein von der Nothwendigkeit einer solchen ausdrückte, so
führten doch die Untersuchungen über einzelne Classen allmählich auf
dieselbe hin. Freilich kann man die letzteren nicht als die einzige Bedin-
gung jener ansehn; es kam eben auf eine besondere allgemeine Auf-
fassung an, welche nicht ohne weiteres aus Einzeldarstellungen abgeleitet
werden konnte; doch erschienen die Fortschritte später großartiger in
Folge des auf einzelnen Gebieten bereits Geleisteten. -- Die Natur-
geschichte des Menschen hatte in Pallas den ersten wissenschaftlichen

Periode der Syſtematik.
Standpunkte aus, andererſeits benutzte man die Natur als Mittel zur
religiöſen Erhebung. Durch beides ſuchte das idealiſtiſche Bedürfniß
eine Befriedigung zu erhalten, welche allerdings beim Mangel genügen-
der Verbreitung einer hiſtoriſchen Anſchauung und Methode am leich-
teſten durch die Naturgeſchichte gewährt werden konnte. Förderung
hat die Wiſſenſchaft durch dieſe Arbeiten nicht gefunden; der zuweilen
zu Tage tretende rührend kindliche Sinn iſt beſonders culturgeſchichtlich
intereſſant. Es mag hier nur kurz an Folgendes erinnert werden. Der
bekannte Philoſoph Johann Georg Sulzer (1720-1779) ſchrieb
nicht bloß moraliſche Betrachtungen über die Werke der Natur (1741),
ſondern auch ein beſonderes Buch über die Schönheit der Natur (1750).
In gleicher Weiſe war Heinrich Sander (geb. 1754, Profeſſor
am Gymnaſium in Karlsruhe, ſtarb 1782) thätig, ſowohl das Schöne
in der Natur (1781) als auch die weiſe Ordnung in derſelben hervor-
zuheben (1779). Am eifrigſten war aber der Nordhäuſer Paſtor Frie-
drich Chriſtian Leſſer
(1692-1754) in dem Bemühen, der
Naturbetrachtung eine religiöſe Stimmung zu verleihen. Er ſchrieb
nicht bloß eine Lithotheologie, ſondern ſuchte auch durch eine Inſecto-
theologie (1735, lateiniſche Diſſertation, 1738 deutſch) und eine Teſta-
ceotheologie (1744) „die geiſtliche Betrachtung“ der Natur anzuregen.
Für andere Thierclaſſen war endlich Johann Heinrich Zorn
(Petinotheologie, geiſtliche Betrachtung der Vögel, 1742) und Johann
Gottfr. Ohnefalſch Richter
(Ichthyotheologie, 1754) dem Beiſpiel
des Nordhäuſer „Geiſtlichen“ gefolgt.

Wenn auch eine umgeſtaltende Anſchauung des Thierreichs im
Ganzen erſt ſpäter auftrat und ſich hier nur in einzelnen Andeutungen
das Bewußtſein von der Nothwendigkeit einer ſolchen ausdrückte, ſo
führten doch die Unterſuchungen über einzelne Claſſen allmählich auf
dieſelbe hin. Freilich kann man die letzteren nicht als die einzige Bedin-
gung jener anſehn; es kam eben auf eine beſondere allgemeine Auf-
faſſung an, welche nicht ohne weiteres aus Einzeldarſtellungen abgeleitet
werden konnte; doch erſchienen die Fortſchritte ſpäter großartiger in
Folge des auf einzelnen Gebieten bereits Geleiſteten. — Die Natur-
geſchichte des Menſchen hatte in Pallas den erſten wiſſenſchaftlichen

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[544/0555] Periode der Syſtematik. Standpunkte aus, andererſeits benutzte man die Natur als Mittel zur religiöſen Erhebung. Durch beides ſuchte das idealiſtiſche Bedürfniß eine Befriedigung zu erhalten, welche allerdings beim Mangel genügen- der Verbreitung einer hiſtoriſchen Anſchauung und Methode am leich- teſten durch die Naturgeſchichte gewährt werden konnte. Förderung hat die Wiſſenſchaft durch dieſe Arbeiten nicht gefunden; der zuweilen zu Tage tretende rührend kindliche Sinn iſt beſonders culturgeſchichtlich intereſſant. Es mag hier nur kurz an Folgendes erinnert werden. Der bekannte Philoſoph Johann Georg Sulzer (1720-1779) ſchrieb nicht bloß moraliſche Betrachtungen über die Werke der Natur (1741), ſondern auch ein beſonderes Buch über die Schönheit der Natur (1750). In gleicher Weiſe war Heinrich Sander (geb. 1754, Profeſſor am Gymnaſium in Karlsruhe, ſtarb 1782) thätig, ſowohl das Schöne in der Natur (1781) als auch die weiſe Ordnung in derſelben hervor- zuheben (1779). Am eifrigſten war aber der Nordhäuſer Paſtor Frie- drich Chriſtian Leſſer (1692-1754) in dem Bemühen, der Naturbetrachtung eine religiöſe Stimmung zu verleihen. Er ſchrieb nicht bloß eine Lithotheologie, ſondern ſuchte auch durch eine Inſecto- theologie (1735, lateiniſche Diſſertation, 1738 deutſch) und eine Teſta- ceotheologie (1744) „die geiſtliche Betrachtung“ der Natur anzuregen. Für andere Thierclaſſen war endlich Johann Heinrich Zorn (Petinotheologie, geiſtliche Betrachtung der Vögel, 1742) und Johann Gottfr. Ohnefalſch Richter (Ichthyotheologie, 1754) dem Beiſpiel des Nordhäuſer „Geiſtlichen“ gefolgt. Wenn auch eine umgeſtaltende Anſchauung des Thierreichs im Ganzen erſt ſpäter auftrat und ſich hier nur in einzelnen Andeutungen das Bewußtſein von der Nothwendigkeit einer ſolchen ausdrückte, ſo führten doch die Unterſuchungen über einzelne Claſſen allmählich auf dieſelbe hin. Freilich kann man die letzteren nicht als die einzige Bedin- gung jener anſehn; es kam eben auf eine beſondere allgemeine Auf- faſſung an, welche nicht ohne weiteres aus Einzeldarſtellungen abgeleitet werden konnte; doch erſchienen die Fortſchritte ſpäter großartiger in Folge des auf einzelnen Gebieten bereits Geleiſteten. — Die Natur- geſchichte des Menſchen hatte in Pallas den erſten wiſſenſchaftlichen

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Zitationshilfe: Carus, Julius Victor: Geschichte der Zoologie bis auf Johannes Müller und Charles Darwin. München, 1872, S. 544. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/carus_zoologie_1872/555>, abgerufen am 22.11.2024.